© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/99 05. November 1999


Doppelte Staatsbürgerschaft: Wie die Bundesregierung um Verständnis kämpft
Marketing statt Politik
Alexander Schmidt

Im Kampf um die doppelte Staatsbürgerschaft steht die Bundesregierung seit vergangenem Montag in der zweiten Runde. Vor genau einem Jahr versprach Bundeskanzler Gerhard Schröder zum 75. Jahrestag der Gründung der Republik Türkei, den "türkischstämmigen Mitbürgerinnen und Mitbürgern" ein Signal zu setzen, mit dem deren Leistungen "für unser Land anerkannt und ihre volle Integration in die deutsche Gesellschaft bewirkt werden sollten." Damit wurde die Neuregelung der Staatsbürgerschaft – entgegen späteren Behauptungen der Bundesregierung – nurmehr ein Geschenk an die in Deutschland lebenden Türken, von dem alle anderen Ausländer mit profitieren konnten.

Als dann das fertige Papier zur Generalgermanisierung vorlag, mobilisierte die Union weite Teile der Bevölkerung gegen die Reform des bewährten jus sanguinis, des Abstammungsprinzips. Allein in Hessen unterschrieben 290.000 Bürger vor der Wahl gegen den Doppelpaß, am Ende der Aktion im Mai waren es nach Informationen der CDU-Geschäftsstelle fünf Millionen.

Im Gegenzug schlug die SPD in einer bis dahin nie dagewesenen Medienkampagne zurück, in der Boris Becker, Marius Müller Westernhagen und Thomas Gottschalk für die doppelte Staatsbürgerschaft warben. Rund eine Million Mark kostete die Volksaufklärung, die – weil ja von der Bundesregierung initiert – von Steuergeldern finanziert wurde. Während die Oppositionsparteien einen "klaren Verstoß gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes und ungesetzliche Wahlwerbung auf Kosten der Steuerzahler" (Westerwelle) sahen, zog sich zog sich Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye auf die "rechtlich einwandfreie Seite" zurück.Ziel der aktuellen Kampagne sei es, so der Sprecher der Ausländerbeauftrageten Marieluise Beck (Grüne), Bernd Knopf, im wesentlichen mit Broschüren die Zielgruppe für den Doppelpaß anzusprechenund zu mobilisieren. "Es gibt immer eine gewisse Trägheit" erklärt Knopf, die sowohl aus der Unkenntnis der Möglichkeiten im Bereich der Einbürgerung als auch aus Mangel an Eigeninitiative resultiere. Deshalb wolle man besonders in der Zielgruppe – den etwa 3,75 Millionen einbürgerungfähien Ausländern, speziell darunter Familien mit Kindern unter zehn Jahren – werben.

Leider sei der Etat mit 1,5 Millionen Mark sehr eng bemessen, so daß möglichst nahe der Zielgruppe geworben werden müsse. In 30 Deutschen Großstädten mit hohem Ausländeranteil läuft jetzt die Marketingaktion für den Doppelpaß, zusätzlich kommen Anzeigen in den großen deutschen Tageszeitungen sowie ausländischen Zeitungen hinzu, in dessen Leserschaft man die Klientel für den Doppelpaß vermutet. Eine Internetseite ( www.einbuergerung.de ) gibt der multimedial-kulturellen Gesellschaft dann noch das i-Tüpfelchen der Information. Falls die Broschüren, derenDruck den größten Teil der Projektkosten verschlingen, nicht ausreichen.

Knopf: "Keine Kampagne für den Doppelpaß"

"Wir müssen die Menschen, die jetzt noch keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen davon, überzeugen, daß der Schritt der richtige ist", so Knopf im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT weiter. In keinem Falle aber handle es sich um eine Maßnahme, die Bevölkerung in ihrer Meinung gegen den Doppelpaß umzustimmen, sondern um den "gesetzlichen Auftrag" der Bundesregierung, wie es in der Vergangenheit auch schon von der alten Regierung in der Rentenpolitik gemacht worden sei. Nämlich Informationspolitik für die in Deutschland lebende Bevölkerung.

Eine Umstimmung sei ohnehin bei jemandem, der die Reform ablehne nicht, möglich. Die Frage nach dem Verbleib der Unentschlossenen und Unsicheren in der Frage des Staatsbürgerschaftsrechts muß jedoch erlaubt bleiben. Kritische Stimmen könnten fragen, ob die Stimmung der Bevölkerung – zur Zeit mehr mit den eigenen Renten beschäftigt – gegen den Doppelpaß gekippt werden soll. Doch auch für die Ausländerbeauftragte steht bei der Kampagne die ausländische Bevölkerung im Mittelpunkt.

"Wir wünschen uns, daß möglichst viele Anspruchsberechtigte die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen", sagte Marieluise Beck bei der Vorstellung der Kampagne in Berlin. Weiter warnte sie die unionsgeführten Länder davor, über Verwaltungsvorschriften die großzügige Einbürgerung wieder auszuhebeln. "Die Schlacht um den Doppelpaß ist geschlagen" , sagte Frau Beck.

Begrüßt wurde die Kampagne bereits von der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs. Weiter kündigte die Religionsgemeinschaft an, mit parallelen Aktionen in allen angeschlossenen Moschee-Gemeinden die Aktion zu unterstützen. Dennoch dürfe nicht vergessen werden, daß es sich bei der Plakataktion nicht um ein durchdachtes Integrationskonzept handele. Hier hangele sich die jetzige Regierung ähnlich konzeplos durch wie ihre Vorgängerin und habe noch kein schlüssiges Integrationskonzept vorgelegt.

Trotz Kampagne hat die Regierung kein Konzept

Der Ausländeranteil in Deutschland liegt zur Zeit bei etwa neun Prozent. Fast 22 Prozent aller hier lebenden Ausländer sind in Deutschland geboren und wären damit von der Reform betroffen. Mehr als 70 Prozent der Ausländer leben in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen.

Nach dem neuen Geburtsrecht werden Kinder ausländischer Eltern unter bestimmten Voraussetzungen bei der Geburt automatisch auch Deutsche. Bis zu ihrem 23. Lebensjahr müssen sie sich für eine Staatsbürgerschaft entscheiden.

Für die rund 700.000 ausländischen Kinder im Alter von bis zu zehn Jahren gilt eine Übergangsregelung, nach der bis zum Ende 2000 für sie ein Einbürgerungsantrag gestellt werden kann. Die Wartezeiten für Einbürgerungsanträge aller anderen Ausländer werden von 15 auf acht Jahre gesenkt.


 
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