© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/99 05. November 1999


Institute: Gespräch mit Karlheinz Weißmann über die Bedeutung wissenschaftlicher Arbeit
"Ein politisches Kolleg als Vision"
Dieter Stein

Herr Weißmann, womit erklären Sie sich den Erfolg der Wehrmachtsausstellung – trotz der aktuell aufgeflammten Debatte um die wissenschaftliche Fragwürdigkeit des Projektes?

Weissmann: Jörg Friedrich hat in einem Artikel für die Berliner Zeitung vom vergangenen Wochenende eigentlich alles Notwendige zu diesem Thema gesagt: der Erfolg der Ausstellung hängt nicht zusammen mit deren Informationsgehalt oder dem Kampf gegen die angeblich immer noch kursierende Legende von der "sauberen Wehrmacht", sondern mit der kulturellen Hegemonie der Linken und der bodenlosen Feigheit der Bürgerlichen. Es ist ganz einfach so, daß seit dem Ende des Historikerstreits niemand mehr wagt, den linken Interpretationen unserer Vergangenheit zu widersprechen. Wenn das im öffentlichen Raum doch geschieht, kann die Kritik nur von außen erfolgen – wie im Falle von Musial und Ungváry – oder sie muß – wie im Falle Friedrichs – von einem linken Dissidenten formuliert werden. Friedrich hat sich seinen Namen ja gemacht mit der Aufarbeitung der Karrieren von NS-Juristen in der Bundesrepublik, und seine große Untersuchung über den Rußlandfeldzug "Das Gesetz des Krieges" ist über jeden Verdacht der Apologie, aber auch über jeden Verdacht der Denunziation erhaben.

Hinter der Wehrmachtsausstellung steht eine wissenschaftliche Stiftung, ein Institut.

Weissmann: Die wissenschaftliche Seriosität des Hamburger Instituts für Sozialforschung dürfte durch den Skandal um die Wehrmachtsausstellung einen ziemlichen Schlag erlitten haben. Aber es ist im Grundsatz nicht zu bestreiten, daß hier keineswegs nur Propaganda vorbereitet und betrieben wird. Einer der Mitarbeiter, Heinz Bude, zählt sicherlich zu den klügsten Köpfen der Republik und befördert mit seinen soziologischen Untersuchungen manche unorthodoxe Sichtweise – neuerdings hat er es sogar auf die "Westbindung" abgesehen. In der Institutszeitschrift Mittelweg finden sich interessante Beiträge. Aber natürlich ist das Institut vor allem ein Versuch institutionalisierter politischer Beeinflussung der Öffentlichkeit. Es hat eine "Scharnierfunktion" zwischen dem Linksradikalismus und der demokratischen Linken. Es bestehen zahlreiche Verbindungen in den universitären, den publizistischen und den politischen Bereich, aber eben auch Verbindungen zur antifaschistischen Subkultur.

Meinen Sie, daß von konservativer Seite begriffen worden ist, welche Bedeutung Institutionen von der Art des Instituts für Sozialforschung haben?

Weissmann: Welche "konservative Seite" meinen Sie denn? Das Problem ist doch das Fehlen jeglicher Lagersolidarität im Bereich der Bürgerlichen, der Liberalen, der demokratischen oder konstitutionellen Rechten. Also hat die "konservative Seite" auch kaum eine einheitliche Meinung zu diesem oder einem anderen wichtigen Thema.

Bekommen wir jetzt wieder das Lamento zu hören, den "Linken" sei nach ’68 der Marsch durch die Institutionen gelungen, die "Rechten" schauten in die Röhre?

Weissmann: Wie viele Stereotypen hat auch dieses die unangenehme Eigenschaft, Tatsachen zu entsprechen. Man kann lange über den "Sieg der Achtundsechziger" streiten, aber eines ist unleugbar: in der "Kaste der Meinungsmacher" (Helmut Schelsky) haben sie triumphiert. Ihre Vorstellungen beherrschen, wenn auch in moderater Tonart, die Köpfe der meisten Professoren und Lehrer, Pfarrer und Journalisten, selbst die Wirtschaftseliten sind nicht ganz frei davon. Oder wie erklären Sie sich, daß ein großes deutsches Unternehmen eine Plakatkampagne für den Multikulturalismus macht, ohne einen einzigen Anhalt für seine Produktpalette?

Kommen wir zurück zum Thema: Das "Hamburger Institut für Sozialforschung" ist die Privatinitiative von Jan Philipp Reemtsma. Warum gibt es kein Reemtsma-Institut "von rechts"?

Weissmann: Weil es keinen "Hannes Heer von rechts" gibt. Aber lassen wir die Scherze. Ein prinzipieller Grund liegt darin, daß Konservative und die deutschen Konservativen sowieso den ideologischen Bereich für nachrangig halten. Zweitens gehört eine gewisse Begriffsstutzigkeit zum konservativen Habitus, selbst intelligente Leute dieser Couleur haben bis jetzt nicht verstanden, daß in unserem Land kein "Rechter" eine Chance hat, einen Lehrstuhl, sagen wir für Geschichte oder Politikwissenschaft, zu bekommen. Drittens gab es noch in jüngster Vergangenheit eine Reihe unionsnaher Stiftungen, die nach begründeter Meinung vieler Konservativer einen guten Teil der notwendigen Aufgaben erledigten, viertens und letztens haben Konservative Respekt vor dem Geld. Das meine ich gar nicht abschätzig, nur in dem Sinn, daß sie gerne wissen, für welche Zwecke ihre Dotationen Verwendung finden und wenig übrig haben für irgendwelche Windbeuteleien, derer es ja auch schon eine ganze Zahl gegeben hat.

Sind Sie sicher, daß es an Millionären fehlt, die sich für ein konservatives Institut engagieren würden?

Weissmann: Bei mir hat sich jedenfalls noch keiner vorgestellt. Selbstverständlich gibt es eine ganze Reihe von Persönlichkeiten, die sich als konservativ verstehen und über ein erhebliches Privatvermögen verfügen und ohne sich zu ruinieren ein wissenschaftliches Institut schaffen könnten, aber aus den erwähnten Gründen gab es meines Wissens bisher keine Schritte in diese Richtung, sieht man einmal ab vom "Institut für konservative Bildung und Forschung" in München, das in jüngster Zeit ausgebaut wird. Aber die Zielsetzung ist da deutlich anders als im Fall des Instituts für Sozialforschung.

Nehmen wir trotzdem einmal an, es gelänge, ein Pendant zu Reemtsmas Institut zu gründen. Welche Bedeutung könnte ein solches Institut bekommen?

Weissmann: Nach der Niederlage Frankreichs von 1871 forderte Ernest Renan eine "intellektuelle und moralische Reform" des Landes, um seinen Wiederaufstieg vorzubereiten. Erst müsse Frankreich an seiner Seele gesunden, bevor es seinen Körper stärken könnte. Die Gründung der Ècole Libre des Sciences Politiques ging auf diese Initiative zurück. Die Jungkonservativen um den Historiker Martin Spahn haben sich das nach der deutschen Niederlage von 1918 zum Vorbild genommen und ein "Politisches Kolleg" geschaffen, eine Art privater Hochschule, die Forschung, Information und Orientierung ausdrücklich miteinander verknüpfen sollte.

Was könnte es bedeuten, dieses Modell auf die Gegenwart zu übertragen?

Weissmann: Nun, ein neues Politisches Kolleg müßte mehrere Aufgaben erfüllen, angefangen bei der Sammlung von Nachlässen und allgemeiner der Archivierung wichtiger Materialien sollte die finanzielle Ausstattung auch erlauben, Stipendien für die Erforschung interessanter Themenfelder auszuloben, dann sollte eine Seminar- und Vortragstätigkeit jenseits von Volkshochschulniveau gewährleistet sein, und schließlich ginge es natürlich darum, den Schritt in die Öffentlichkeit zu machen, sagen wir mit einer Ausstellung zum Thema "Von der Größe der deutschen Geschichte", gefolgt von dem Projekt "Deutschland als Schlachtfeld – Vernichtungsfeldzüge gegen die Mitte Europas". Das alles klingt angesichts der heutigen Lage natürlich wie eine Vision, aber wenn man sich schon Ziele steckt, sollten es hohe sein.

Was wäre notwendig, um eine solche Vision zu verwirklichen?

Weissmann:Das, was immer notwendig ist, um eine Vision zu verwirklichen: die richtigen Männer, die richtigen Mittel, der richtige Zeitpunkt.

 

Dr. Karlheinz Weißmann Jahrgang 1959, studierte Geschichte und Evangelische Theologie in Göttingen und promovierte 1989 zum Dr. phil. mit einer Arbeit über die politische Symbolik der deutschen Rechten 1890–1945. Zuletzt veröffentlichte er die Bücher "Der Weg in den Abgrund. Deutschland unter Hitler 1933–1945" (Herbig, 1995) und "Der Nationale Sozialismus. Ideologie und Bewegung 1890–1933" (Herbig, 1998). Seit 1983 unterrichtet Karlheinz Weißmann als Gymnasiallehrer.


 
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