© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/99 05. November 1999


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Problemlösungsstrategie
Karl Heinzen

69 Prozent der deutschen Hochschulabsolventen halten, einer Umfrage des Mannheimer IPOS-Instituts zufolge, die Entschädigung von ehemaligen Zwangsarbeitnehmern in der Zeit des Nationalsozialismus für berechtigt. Die Zustimmung der Mächtigen zu den Bedingungen ihrer Macht ist sicher noch ausbaufähig, liegt aber doch in einem Maße über dem Bevölkerungsdurchschnitt von 53 Prozent, daß der soziale Abstand als berechtigt erscheinen darf. Wie schon bei Wahlen erkennbar, wissen diejenigen, die besonders gut ausgebildet sind, wie man die Bereitschaft zur Verantwortung so zum Ausdruck bringt, daß ethische und ökonomische Motive nicht als gegensätzlich empfunden werden.

Die moralische Überlegenheit unserer Eliten ist aber nicht angemaßt, sie gründet vor allem in der durch einen unprätentiösen Wirklichkeitszugang erworbenen Fertigkeit, verantwortungsethische Entscheidungen so zu verkaufen, als seien sie gesinnungsethisch motiviert. Diese in der Abarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit bewährte Problemlösungsstrategie läßt sich auch auf andere Fragestellungen von öffentlichem Interesse anwenden und gilt als eine der wesentlichen Stärken deutschen Managements im internationalen Vergleich. Tatsächlich ist sie in diesem Fall nachträglicher Vergütungsansprüche sogar ohne Alternative: Das Dritte Reich kennt nur Superlative. Wer den Schaden, den es angerichtet hat, anhand normaler Maßstäbe bewerten will, vermag neuer Schuld, die es abzutragen gilt, nicht auszuweichen. Bei so viel Tragik kann wenigstens ein reines Gewissen nur behalten, wer sich zu generösen Angeboten ohne Betrachtung des Einzelfalles und ohne Anspruch auf Exkulpation versteht.

Die hartnäckige Weigerung der deutschen Wirtschaft, durch einen respektablen Zuschuß zum Gelingen des Entschädigungsfonds beizutragen und damit nicht zuletzt in das eigene Image zu investieren, ist daher unverständlich. Warum soll das, was vielerorts doch diskret und keineswegs knauserig dimensioniert funktionierte, nun mißlingen, bloß weil es ausnahmsweise coram publico stattfindet? Zu kurz denkt, wer in diesen Zahlungen lediglich eine Belastung deutscher Unternehmen sieht: Zum einen bieten sie die Handhabe, den Belegschaften einen Verzicht auf Lohnzuwächse als ein moralisches Gebot nahezubringen. Zum anderen weist die internationale Kapitalverflechtung einen Weg, den Standortnachteil der NS-Vergangenheit aufzuheben. Wenn jedes Unternehmen, auch jedes nach 1945 gegründete, das jemals ganz oder selbst nur zum geringsten Teil in deutschem Besitz war oder ist, zu seiner Verantwortung steht und eine entsprechende Zahlungsbereitschaft signalisiert, wird es schon in wenigen Jahrzehnten niemanden mehr geben, der sich dieser dann vielleicht sogar ersten global eingeforderten Abgabe entziehen könnte.


 
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