© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/99 29. Oktober 1999


Ausstellung: Leonardo und Beuys im Haus der Kunst in München
Bill und Ede im Sauseschritt
Philip Plickert

Der Direktor des Hauses der Kunst in München, Christoph Vitali, versprach, hier und heute träfen Genies aufeinander: Leonardo da Vincis Codex Leistecer "im Dialog" mit 96 Zeichnungen von Joseph Beuys, welche "in Auseinandersetzung" mit Leonardos Skizzen Mitte der siebziger Jahre entstanden. "Genies treffen heute zusammen" hallten die Worte im Ohr des Edmund Stoiber, und er lächelte Bill Gates, dem Leihgeber des Codex, freundlich zu. Toll, der reichste Mann der Welt und der bayerischste Ministerpräsident der Welt – ein Traumpaar, fast wie Leonardo und Beuys, dachte sich die Vollversammlung der kunstversessenen Münchner Schickeria.

Politiker müssen keine Banausen sein! Vom Bundeskanzler weiß man, daß er "am Sonntag auch schon mal ein Buch liest". Warum schmunzeln die Leute, wenn Stoiber sich als Liebhaber der Malerei outet? In höchsten Tönen schwärmte er vom Genie des Leonardo, umschiffte alle kunsthistorischen Klippen, und kam endlich doch noch zu seinem Lieblingsthema, dem Technologiestandort Bayern: "Kann es sein, daß die nachlassenden Fertigkeiten unserer Kinder zu malen, zu zeichnen, mit dem Bleistift umzugehen, daß das mit ein Grund für die mangelnde Kreativität in der Wirtschaft ist?" fragte der Ministerpräsident. Ratlose Gesichter. Ein möglicher Ausweg aus dem Dilemma, so Stoiber, sei in Zukunft vielleicht das Zeichnen mit der Maus am PC.

"Yeah, yeah", war nun der Leihgeber der Skizzenblätter an der Reihe: Ganz schön geguckt habe seine Frau Melinda, als er ihr sagte, er wolle sich ein Notebook kaufen für fast fünfzig Millionen, denn sie dachte, er brauche ein neues Computer-Notebook. Er hoffe, vor allem Kinder mögen die Blätter mit den phantasievollen Zeichnungen sehen. Sie sollten sich von den naturwissenschaftlichen Beobachtungen des Renaissance-Künstlers inspirieren lassen.

Alle wollten am liebsten noch vor "Ede" und "Bill" in die verdunkelten Ausstellungsräume stürmen. Doch die geladenen Gäste des exklusiven Vereins "Freunde des Haus der Kunst" mußten sich noch ein wenig im Zelt auf der Terrasse zum englischen Garten gedulden. Dort strullert und plätschert Wasser in Aquarien. An Computern kann man im Codex herumsurfen und bekommt eine sehr gute Übersetzung der 24 mit Spiegelschrift gefüllten Seiten. Derweil rauschten Gates und Stoiber, dieser immer einen halben Schritt hinter dem jugendlichen Computermilliardär, durch die Ausstellung. Erst nach rechts, rein in den Beuys, raus aus dem Beuys, dann nach links, rein in den Leonardo, schnell wieder raus, die Geschäfte warten. Noch ein knappes "Hello" und "Grüß Gott", dann sind die beiden verschwunden.

Vielen ging es nun so wie den von Stoiber zitierten "vielen, denen das Werk Leonardos, obwohl fast 500 Jahre alt, näher steht als das von Beuys". Vor Leonardos Blättern drängelten sich die Menschen, der Raum mit den Beuys-Zeichnungen dagegen war fast leer. Leonardo da Vinci, der sich selbst als "Ingenieur" bezeichnete, war einer der größten Maler aller Zeiten und ein visionärer Erfinder. Seine Skizzenbücher enthalten erstaunliche Entwürfe für Kriegsmaschinen, Baugeräte, Tauch- und Schwimmapparate, diverse Fahrzeuge und Flugmaschinen. Der Code Leicester gilt als das längste zusammenhängende Dokument Leonardos, ist jedoch nur sparsam illustriert – zu sparsam, wie man an den langen Gesichtern vieler Besucher ablesen konnte.

Leonardo erweiterte den Begriff des Künstlers und der Kunst durch die rationalistische Naturbeobachtung. Auch Beuys bewegte sich im Grenzbereich zwischen Kunst und Wissenschaft, doch muß er deshalb auf eine Stufe mit Leonardo gestellt werden? Im Katalog heißt es: "Beuys’ Verfahren, Text, Modelle und Diagramme zu einem programmatischen wie gleichermaßen offenen Ideengebilde zu verknüpfen, verbindet ihn mit der Denkweise Leonardos". Leonardo sah die Welt als eine von einem universellen Geist getriebene Maschine, ein logisches System. Beuys dagegen entwickelte nach und nach eine energetische Theorie der Welt, alles andere als rationalistisch also. Seine Zeichnungen, als "Hommage an den berühmten Künstlerkollegen" angekündigt, nehmen sich ausgesprochen dürftig aus. Man erkennt schemenhaft Felsen oder Wasserquelle, menschliche Profile innerhalb verworrener Kraftfelder. Alles mit flüchtiger Hand aufs Papier gebracht.

Was Leonardo mit Beuys gemeinsam hat, bleibt im Dunkeln. Was Beuys gerne mit Leonardo gemeinsam gehabt hätte, kann man sich denken. Das Haus der Kunst erhofft sich von der Gegenüberstellung zweier so großer Namen neue Besucherrekorde – der Kunst wird man dadurch nicht gerecht.

Die Doppelausstellung ist bis zum 9. Januar 2000 im Haus der Kunst in München zu sehen. Die beiden im Richter-Verlag erschienenen Kataloge kosten zusammen 79 Mark.


 
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