© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/99 29. Oktober 1999


Welthandel: Deutsche Chemiekonzerne spielen in der "Liga der Global Players"
Die Politik verliert ihren Einfluß
Rüdiger Ruhnau

Die Chemiekonzerne Degussa in Frankfurt/Main und Hüls in Marl, beides mittelgroße Wettbewerber, sind zur Degussa-Hüls AG verschmolzen. Wie es heißt, soll die Fusion weder der Hebung von Synergieeffekten noch dem Abbau von Arbeitsplätzen dienen, dagegen möchte man eine starke Plattform schaffen, die ein erhebliches Wachstum erwarten läßt. Der neue Konzern beschäftigt 47.000 Mitarbeiter, hat einen Jahresumsatz von 20 Milliarden Mark und zählt damit zur "Liga der Global Players", wie der Vorstand stolz berichtet. Der Ausbau soll noch weiter internationalisiert werden, obwohl schon jetzt 80 Prozent des Umsatzes im Ausland erzielt wird, angeblich ist in Europa kein wesentliches Wachstum für Chemieprodukte mehr zu erwarten.

Das vor 126 Jahren als "Deutsche Gold- und Silber-Scheideanstalt" gegründete Unternehmen hatte einst aus alten Münzen mit kochender Schwefelsäure die Edelmetalle abgetrennt. Heute betreibt Degussa in Hanau-Wolfgang die größte Edelmetallraffinerie auf dem europäischen Kontinent. Dort gewinnt das Unternehmen aus fotografischen Filmabfällen auch geringste Spuren von Silber zurück. Mehr als 16 Millionen Katalysatoren liefert die Firma jährlich an die Autoindustrie. Zu den weiteren Geschäftsbereichen gehören Spezialchemikalien, Futtermitteladditive, Pharmaka und Dentalprodukte.

Fusionen sind in Europa Rationalisierungsfusionen

Auf eine ganz andere Entstehungsgeschichte blickt der in Marl/Westfalen angesiedelte Fusionspartner Hüls zurück. Das 1938 auf der grünen Wiese gebaute I.G.-Farbenwerk produzierte bis zum Kriegsende 150.000 Tonnen Buna. Für das rohstoffarme Deutschland mit seinem damaligen Autarkieanspruch war die Beherrschung der großtechnischen Kautschuksynthese außerordentlich bedeutsam. Ausgangssubstanz war Acetylen, das noch bis 1989 mittels des Lichtbogenverfahrens produziert wurde. Dieser Technologieprozeß galt als technische Sensation ersten Ranges, weil mit ihm in einer Wasserstoffatmosphäre von sehr hoher Temperatur nicht nur Methan, sondern auch Abgase von Kokereien und Treibstoffwerken zu Acetylen synthetisiert werden konnten.

Nachdem Hüls Anfang der neunziger Jahre schon nahe an den wirtschaftlichen Abgrund geraten war, setzte nach Sanierung der Hauptverlustquellen, verbunden mit einer Reduzierung der Belegschaft, eine Umschichtung des Produktportfolios in Richtung wertschöpfungsstarker, konjunkturell weniger anfälliger Performance-Produkte ein, als da sind Textilhilfsmittel, Superabsorber und Verbraucherprodukte. Mit dem neuen "Global Fitness Programm" soll die internationale Wettbewerbsfähigkeit gestärkt und die Produktpalette von Degussa-Hüls den außereuropäischen Gegebenheiten besser angepaßt werden.

"Keine andere Wirtschaftsordnung entfaltet so viel Dynamik wie der Kapitalismus", sagte neulich auf einem Colloquium in Berlin Robert Eaton. Eaton, neben Jürgen Schrempp Mitvorsitzender von Daimler-Chrysler, widersprach der Ansicht, daß die ansteigende Zahl der Fusionen ein Ende der Nationalstaaten bedeute, und betonte, daß es keine Möglichkeit gebe, dem Kapitalismus Einhalt zu gebieten, "die Schwachen müssen sich verändern, oder sie gehen ein". Beim kürzlichen Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der acht wichtigsten Industriestaaten stand das Bekenntnis zum internationalen Freihandel und zu einem weltweit noch liberaleren Investitionsklima im Mittelpunkt der Beratungen. Man war sich einig, daß der globale Kapitalismus mit seinen Wachstums- und Wohlstandskräften nicht aufzuhalten sei.

In Europa sind die Firmenzusammenschlüsse häufig Rationalisierungsfusionen, sie bringen zwar Wachstumschancen, weil eine Konzentration auf wenige Geschäftsbereiche erfolgt, gleichzeitig werden aber Fabriken geschlossen. Die Vorteile einer Fusion sehen die Unternehmen im gemeinsamen Einkauf, in der Zusammenfassung von Vertrieb, Marketing und Teilen der Produktion. Als Paradebeispiel für die positiven Zusammenschlüsse gilt Daimler-Chrysler. Der im November vorigen Jahres fusionierte Automobilkonzern soll bereits 80 Prozent des Integrationsprozesses bewältigt haben, obwohl die räumliche Trennung es mit sich bringt, daß die Führungsmannschaft einen großen Teil ihrer Arbeitszeit im Flugzeug verbringt. Im 14köpfigen Vorstand von Europas größtem Konzern sitzen acht Deutsche sechs US-Amerikanern gegenüber.

Die Chemieindustrie nahm einen rasanten Aufschwung

Wie die Umstrukturierung des Frankfurter Chemieriesen Hoechst sich auswirken wird, ist noch nicht absehbar. Vorstandsvorsitzender Dormann hat jedenfalls eine völlige Umkrempelung des Vorzeigeunternehmens der deutschen Chemie-Industrie herbeigeführt. Die früheren "Farbwerke Hoechst" gehörten bis 1945 zum I.G.-Farbenkonzern, seinerzeit weltgrößtes Chemieunternehmen, das von den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges aufgelöst wurde, "um jede künftige Bedrohung seiner Nachbarn oder des Weltfriedens durch Deutschland unmöglich zu machen". Es entstanden Bayer, BASF und Hoechst, die trotz Demontagen, Produktionsbeschränkungen und Wegnahme von Patenten einen erstaunlichen Aufschwung nahmen und bald wieder an die frühere Weltgeltung anknüpfen konnten. In den achtziger Jahren kaufte Hoechst für 5,5 Milliarden Mark die US-Firma Celanese. Niemals vorher in der deutschen Industriegeschichte ist ein ausländisches Unternehmen dieser Größenordnung aquiriert worden. Die Integration der Pharmabereiche von Hoechst, der US-Firma Marion Merrell Dow sowie der französichen Roussel Uclaf führte schließlich zum Tochterunternehmen Hoechst Marion Roussel, das zum drittgrößten Pharma-Anbieter aufrückte.

Hoechst fusioniert zum weltgrößten Pharmakonzern

Zum letzten Auflösungsakt gab erst im Juli 1999 der Hoechst-Hauptaktionär, die Kuwait Petroleum Corp., seine Zustimmung. Die staatliche arabische Ölgesellschaft hat mit ihrem 24,5-Prozent-Anteil am deutschen Chemiekonzern ein entscheidendes Wort mitzureden: Hoechst fusioniert mit der französischen Rhone-Poulenc zu einem der weltgrößten Pharmaunternehmen, das den Namen "Aventis" tragen und in Straßburg angesiedelt werden soll. Mit der Zusammenlegung der Arbeitsgebiete Gesundheit und Ernährung ("Life Sciences") sollen die Bereiche Pharma, Diagnostika, Tiergesundheitsprodukte, Saatgut und Pflanzenschutz international wettbewerbsfähiger gemacht werden. In einer bisher in Deutschland nicht dagewesenen Transaktion wird der Konzern in zwei Teile zerlegt. Der zweite Teil umfaßt die komplette Industriechemie (Kunststoffe, Farbstoffe, Waschmittelrohstoffe und Chemikalien), er soll in eine eigene börsennotierte Aktiengesellschaft eingebracht werden. Ob die Auffächerung in klassische Chemie einerseits und "Life Sciences" andererseits die Spitzenstellung der deutschen Chemie-Industrie weiterhin begünstigen wird, bleibt abzuwarten. Die beiden anderen Großkonzerne, Bayer und BASF, verfolgen jedenfalls die Linie integrierter chemisch-pharmazeutischer Unternehmen.

Der globale Wettbewerb treibt den technischen Fortschritt immer schneller voran. Deutschlands Unternehmen versuchen sich durch Umstrukturierung und Rationalisierung darauf vorzubereiten. Diese Internationalisierung birgt allerdings auch die Gefahr in sich, daß den Staaten die Kontrolle über die Wirtschaft mehr und mehr entgleitet.


 
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