© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/99 29. Oktober 1999


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Lebensarbeitszeit
Karl Heinzen

Nach dem Machtverlust im Bund hat sich die FDP erstaunlich schnell in jene Rolle gefunden, die sie eigentlich erst im nächsten Jahrzehnt beherrschen müßte: Als einzige außerparlamentarische Opposition mit einer gewissen Reputation wird sie sich auch über 2002 hinaus noch eine Weile mit Anregungen in Erinnerung bringen können, die bedacht sein wollen, bevor sie schließlich verworfen werden. Der von Jürgen Möllemann in den Medien plazierte Vorschlag, Kinder generell schon mit fünf Jahren einzuschulen, da sie in diesem Alter bereits lernbegierig seien, soll also bloß dokumentieren, daß die Liberalen immer noch jedes Thema interessant aufzubereiten verstehen. Eine schulpolitische Konzeption ist mit dem Vorstoß nicht verbunden – und das ist schade, schlummern bei Kindern und Jugendlichen doch Ressourcen, die unserem Rentensystem eine Atempause ermöglichen könnten. Soll einer wachsenden Zahl von Rentnern ein mit den Produktivitätssteigerungen der Erwerbstätigen Schritt haltender Wohlstand ermöglicht werden, muß die Lebensarbeitszeit der Beitragszahler in die Rentenkassen verlängert werden. Da wir in einer demokratischen Ordnung leben, erübrigen sich Diskussionen, ob die Altersgrenze für den Ruhestand angehoben werden sollte – interessant ist lediglich die Frage, wie weit sie de facto unter 60 Jahren liegen muß, um mehrheitsfähig zu sein.

Alle realistischen Überlegungen zu einer Reform des Rentensystems müssen somit am anderen Ende der Alterspyramide ansetzen. Wie können junge Menschen, Probleme des Arbeitsmarkts einmal ausgeklammert, dazu gebracht werden, früher als bislang üblich beitragspflichtige Beschäftigungsverhältnisse einzugehen? Da auf Freiwilligkeit nicht zu hoffen ist und Anreize selten ausreichen, muß der institutionelle Rahmen stimmen: Eine Herabsetzung des Einschulungsalters könnte helfen, schon früh ein ganzes Jahr einzusparen. Die Kampagne gegen das 13. Schuljahr zielt in die gleiche Richtung, der Verzicht auf jenes brächte gerade diejenigen früher ins Berufsleben, von denen in Zukunft hohe Beitragszahlungen erhofft werden dürfen. Ähnliches läßt sich von den Bemühungen sagen, die Studiengänge an unseren Hochschulen abzuschlanken und zu verkürzen.

Kindheit gibt es nicht umsonst, und die Jugend wollte schon immer durch das Alter gefordert werden. Der Standort Deutschland wird sich – nicht nur als Rentenstandort – allein dann behaupten können, wenn eine Deregulierung auch die Bestimmungen zum Kinder- und Jugendschutz im Erwerbsleben nicht ausklammert. Was an vielen Orten der Welt möglich ist, darf bei uns nicht ausgeschlossen werden. Furcht vor einschneidenden Veränderungen ist aber unangebracht. Der Mensch ist und bleibt das Kapital unserer Gesellschaft. Weiterhin werden einige für andere arbeiten: Dieser humane Kern unseres Wirtschaftslebens bleibt unangetastet.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen