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Zeitgeschichte: Die Wehrmachtsausstellung als große politische Kampagne enttarnt
Optische Täuschung
Dieter Stein

Die Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht" ist eine der erfolgreichsten politischen Kampagnen der letzten Jahre gewesen. Urheber der Ausstellung ist ein vom Hamburger Mäzen und Tabak-Erben Jan Philipp Reemtsma gegründetes "Hamburger Institut für Sozialforschung". Engster Mitarbeiter von Reemtsma ist Hannes Heer. Beide haben die tiefe Verstrickung ihrer Väter in den Nationalsozialismus und eine politische Sozialisation in der 68er-Studentenbewegung gemeinsam.

Ursprünglich als Präsentation für zwölf Städte geplant, soll die Ausstellung bis Ende 1999 durch 40 Städte in Österreich und Deutschland gezogen sein. Kommunen aller Couleur förderten die umkämpfte Ausstellung mit jeweils bis zu 400.000 Mark. Öffentliche Räume wurden zur Verfügung gestellt, der Besuch der Exposition wurde zum Pflichtprogramm für Schüler und Studenten.

Von Anfang an gab es Zweifel an Intention und Realitätsgehalt der Ausstellung. Jetzt haben Enthüllungen zweier junger Historiker eine sensationelle Wende ausgelöst (siehe Berichte und Interviews auf Seiten 3-5 und 7). Bogdan Musial und Krisztián Ungváry weisen umfangreiche Bild- und Textfälschungen bzw. Verdrehungen nach, die über den bloßen Vorwurf schlampiger Arbeitsweise hinausgehen. Hiermit ist das wissenschaftliche Renommee der Ausstellungsmacher ruiniert.

Es ist aber ein bemerkenswertes Phänomen, daß eine solche fragwürdige Veranstaltung es schaffen konnte, zur "raffiniertesten historischen Irreführung seit dem Dritten Reich" zu werden, wie Rüdiger Proske, schärfster Kritiker der Ausstellung, jüngst schrieb. Proske, einst Mitarbeiter Adornos, Fernsehjournalist (Panorama) und ehemaliger Chefredakteur des NDR, griff die Ausstellungsmacher in bislang drei Büchern an und entzauberte die Bilderschau frühzeitig als linksradikale Agitprop-Veranstaltung. Er analysierte auch das psychologische Grundmotiv der Väterbewältigung bei Reemtsma und Heer, deren Vorgehen den "Haß unzähliger 68er auf ihre Nazi-Väter" dokumentiere. Statt mit ihren eigenen Vätern fertig zu werden, die sich offensichtlich tief in konkrete Schuld verstrickt haben, dehnen die Ausstellungsmacher Schuld und Verantwortung auf eine ganze Generation aus.

Die Ausstellung konnte zu einem Erfolg werden (über 800.000 Besucher sollen sie bis heute gesehen haben), weil sie generalstabsmäßig als Medienkampagne inszeniert wurde. Auftakt bildete das Jahr 1995 mit dem 50. Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht vom 8. Mai 1945. Bei der Lancierung der Ausstellung und des bis dahin unbekannten Reemtsma-Instituts wirkte die Hamburger Zeit in einer ideologischen Schlüsselposition mit. Sie hatte bereits 1992 gefordert: "Was bald 50 Jahre nach Kriegsende immer noch fehlt, ist eine öffentliche Darstellung der größten Mord- und Terrororganisation der deutschen Geschichte: der deutschen Wehrmacht." Wissenschaftlich geadelt wurde die Ausstellung ausgerechnet durch Mitarbeiter des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes (MGFA) der Bundeswehr. Was trieb eine wichtige staatliche Institution zur Unterstützung einer Kampagne, die ins Zentrum der Definition von deutscher Zeitgeschichtsdeutung zielte?

Wer die Auseinandersetzung um die Wehrmachtsausstellung verfolgt hat, dem sind die Enthüllungen der osteuropäischen Historiker im Grunde nicht neu. Einiges ist schon seit längerem bekannt und publiziert, nur von den großen Medien ignoriert worden. Daß die falsch zugeordneten Bilder ausgerechnet Opfer des sowjetischen NKWD und nicht der Wehrmacht zeigen, ist eine unbeabsichtigte Chance zur Erweiterung des historischen Blickes. Einer der Hauptmängel der Wehrmachtsausstellung ist es nämlich, die Rolle des Kriegsgegners völlig zu unterschlagen.

So ist der nun medienwirksam offenbarte wissenschaftliche Bankrott der Hamburger Propaganda-Ausstellung auch ein Debakel für die "kritische Öffentlichkeit" Deutschlands. Die Wehrmachtsausstellung mit dem Versuch, die Geschichte für einen politisch-ideologischen Feldzug zurechtzubiegen, ist eine letzte Ausgeburt jener 68er Bewegung, die sich moralisch über ihre Väter erhob. Sie ist aber auch eine Blamage für die Geschichtswissenschaft. Sind sich die Verantwortlichen im Klaren, welchen nachhaltigen Vertrauensverlust sie insbesondere bei den zu Tausenden durch die Ausstellung Geschleusten in diesen Wissenschaftszweiges ausgelöst haben?


 
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