© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/99 22. Oktober 1999


Gedenken: Vor dreißig Jahren starb Jack Kerouac
Poet der Beat-Generation
Werner Olles

Jack Kerouac (Jean-Louis Lebris de Kerouac) wurde am 12. März 1922 in der Kleinstadt Lowell nahe Boston in Massachusetts geboren. Die Familie war französisch-kanadischer Herkunft, der Vater arbeitete als Drucker. Im Alter von 18 Jahren schrieb er sich für kurze Zeit an der Columbia-Universität in New York ein. Während des Zweiten Weltkrieges diente er als Seemann in der amerikanischen Handelsmarine. Nach dem Ende des Krieges trampte er bis 1950 durch die USA und Mexiko. In diesem Jahr erschien auch sein erstes Buch "The Town and the City", in dem er von seinen Jugendjahren in Lowell erzählte.

Nachdem ihm ein größerer literarischer Erfolg nicht beschieden war, schlug er sich weiter mit Gelegenheitsarbeiten durch. Schon bald nahm er aber seine eigentliche Leidenschaft, das Trampen, wieder auf. Kreuz und quer reiste Kerouac durch die Vereinigten Staaten, bis er 1955 ein Stipendium der "National Academy of Arts and Letters" bekam. Mit seinem Roman "Unterwegs" ("On the Road") wurde er 1957 auch weit über die USA hinaus bekannt.

In einem an Henry Miller und William Faulkner erinnernden Erzählstil beschrieb er die abenteuerlichen Erlebnisse seiner meist mittellos durch den Kontinent trampenden Freunde. "On the Road" wurde schon bald zum "literarischen Manifest einer Jugend, die inmitten der schlechtesten aller Welten ein dröhnendes Bekenntnis zum glücklichen Leben ablegt". Kerouac setzte damit der sogenannten Beat-Generation, ihrer Revolte gegen die bürgerliche Gesellschaft, ihrer durch Alkohol, Drogen und ungehemmte Sexualität rauschhaft gesteigerten Lebensgier, ihrer rastlosen Suche nach neuen Lebenswerten und Erfahrungen, ihrem pubertären Überschwang und ihrer ekstatischen Lebensgestaltung ein Denkmal. Daneben wurde das Buch aber auch zum Vorbild jedes noch so lausigen Roadmovies, und Dennis Hoppers Kult-Klassiker "Easy Rider" wäre ohne dieses Vorbild wohl undenkbar gewesen.

In loser Bilderfolge und ohne durchlaufende Handlung erzählt der Autor spontan und unbekümmert witzige, spannende und abenteuerliche Geschichten und schildert reich an Schattierungen, voller Wärme und Rauhheit die traurigen Dramen der amerikanischen Nacht, in denen es um fallende Tränen, Mondlichtschatten, Sternschnuppen, Liebeskummer, Sterben, Tod, verlorene Schafe, läutende Glocken und blühende Lilien geht. Aus jeder Zeile sprechen Selbstzweifel, Trauer, Konfusion und ein unerfülltes spirituelles Verlangen, und dennoch springt einen die Energie, die damals geflossen sein muß, auch heute noch förmlich an.

"On the Road" wurde weniger zum literarischen als durch seine subkulturelle Substanz zum soziologisch bedeutsamen Dokument der Beat-Generation, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ruhelos durch den nordamerikanischen Subkontinent zog und in dieser Flucht in ein moralisch-soziales Vakuum die einzig reale Möglichkeit sah, ihre traumatischen Erlebnisse, ihre Kriegsneurosen und sexuellen Frustationen abzureagieren. Doch die mühselig und liebevoll aufgebauten Mythen des "amerikanischen Traums" von Freiheit und Glück, die rauschhafte Suche nach Liebe, Abenteuern und der Erlösung der Menschheit durch "sex and drugs" hatte kaum Aussicht auf Erfolg. Wieder einmal erwies sich die alte, als erstarrt erlebte Wohlstandsgesellschaft als stärkste integrative Kraft, weil sie es als einzige Klasse gelernt hatte zu verzichten um teilzuhaben an der Kontinuität und Erhaltung der Macht.

Auch die weiteren Bücher Kerouacs waren eine Hommage an die ewigen Verlierer und beschrieben den alten, aber längst zerstörten Traum von Erlösung und Reinkarnation. Immer wieder beschwor er – oft tragikomisch – die verzweifelten Versuche der Katharsis und Menschwerdung und die unstillbaren Sehnsüchte der Beatniks. Er schrieb von Verlusten und Einsamkeit in "Gammler, Zen und hohe Berge" (1958), dichtete wunderschön-traurige Lyrik in "Mexiko City Blues" (1959), erzählte von seinen eigenen traumhaften Entdeckungsreisen im "Traumtagebuch" (1961), von der ewigen Suche nach Tempo, Jazz, Freiheit und Sex in "Big Sur" (1962) und vom elenden Leben der Tramps in "Engel, Kif und neue Länder" (1965).

Jack Kerouac, Allen Ginsberg, William S. Burroughs, Neil Cassidy, Gary Snyder und die anderen "Beat-Poeten" waren zwar in gewisser Weise Vorläufer der amerikanischen Hippie-Kultur der 60er Jahre und somit auch der 68er- Kulturrevolution, aber ihre Bereitschaft Standpunkte zu räumen, aufzubrechen und weiterzuziehen, bewahrte sie vor jeder Vereinnahmung durch politische Hitzköpfe. Besonders Kerouac wischte die Auffassung, Schriftsteller müßten auch als moralisch-integre und politisch wegweisende Vorbilder agieren – die natürlich direkt ins Zentrum der künstlerischen Autonomie zielte –, stets lachend beiseite, was Dogmatiker jeglicher Coleur gegen ihn aufbrachte. Seine mit leichter Hand, aber liebevoll und voller Poesie geschriebenen Bücher zeigen ihn hingegen als einen Dichter, der als Chronist einer bestimmten Epoche und jenes Lebensgefühls der sich selbst als "verlorene Generation" bezeichnenden amerikanischen Nachkriegsjugend durchaus mit den französischen Existenzialisten verglichen werden kann. Anders als diese erkannte er jedoch, daß die letzte Wahrheit allein in der Vergewisserung des individuellen Daseins besteht. Das große Thema des Nihilismus und der Existenzialphilosophie, bestand für ihn in der Erkenntnis, daß die Hölle des Nichts und das Grauen der Menschen davor nur durch die speziellen Bestätigungsrituale und Evidenzstiftungen der Liebe und Freundschaft, wenn schon nicht besiegt, so wenigstens doch vorübergegend tröstlich gemildert werden kann.

Kerouac starb im Alter von nur 47 Jahren nach einem intensiven Leben am 21. Oktober 1969 in St. Petersburg an der Westküste Floridas an den Folgen eines Gehirnschlages, der auch als Resultat seiner exzessiven Drogen- und Alkoholabenteuer zu werten ist. Mit seinem Tod verlor die amerikanische Gegenwartsliteratur den wohl profiliertesten Protagonisten einer neuen Ethik der Freundschaft und Solidarität. Noch in seinem Todesjahr erschien in deutscher Übersetzung der autobiographische Bericht "Die Verblendung des Duluoz". In dem 1997 zu seinem 75. Geburtstag herausgegebenen Buch "Warten auf Kerouac" schilderte seine ehemalige Freundin und Geliebte Joyce Johnson atmosphärisch dicht jene atemberaubende Zeit des Aufbruchs und der rastlosen Suche der Beat-Generation. Francis Ford Coppolas Projekt einer Verfilmung von "Unterwegs" ließ sich dagegen bis jetzt noch nicht realisieren.

Daß Kerouac heute, 30 Jahre nach seinem Tod, immer noch lebendiger ist als die meisten, die ihn schon damals totgesagt haben, gehört auch zu seinem beständigen Nachruhm. Als ungebärdiges Fossil einer längst vergangenen Zeit bieten seine Bücher jenen intellektuellen und vor allem ästhetischen Genuß, der in Zeiten der allgemeinen Abstumpfung und Anästhetisierung eine normative moralische Kraft besitzt. So lebt seine Interpretation einer amerikanisch modifizierten Romantik, die ihm oft genug die Kritik des etablierten – und von ihm verachteten –, utilitaristischen und saturierten Ostküsten-Literaturbetriebes eingebracht hat, weiter in der Schönheit der ungeheuren Weiten des Landes, atmet und blüht in den Bergen und Obstgärten Kaliforniens, in den gewaltigen Wäldern des Nordwestens, in den Straßen, Kneipen und Vierteln von San Franzisko und in den erlesenen rauchgeschwängerten, blaßgrauen Morgenstunden jener, deren Leben außerhalb aller gesellschaftlichen Konventionen steht.


 
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