© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/99 22. Oktober 1999


Horst Hensel: Sprachverfall und kulturelle Selbstaufgabe
Deutsch – eine sterbende Sprache
Philip Plickert

Mit deutschen Ausdrücken pries der polnische Autohändler seine Ware: schicke "alu-felgi" und "szyberdach". Damit ist jetzt Schluß. Das Parlament hat sich diesen Sommer ein Herz gefaßt und ein Gesetz zum Schutz des Polnischen vor fremdsprachigen Wörtern erlassen. Eine Geldstrafe droht nun dem, der in der Werbung oder den Medien ohne Not Anglizismen oder Germanizismen verwendet und so die Sprache verwässert. Auch Frankreich ist nicht zimperlich, wenn es um den Erhalt des kulturellen Erbes geht. Die staatliche Académie Française wacht über die Reinhaltung der Sprache.

"Kulturchauvinistisch, hinterwäldlerisch und nationalistisch" mögen progressive deutsche Intellektuelle die Nase rümpfen, nicht so Horst Hensel, zweiter Vorsitzender des "Vereins zur Wahrung der deutschen Sprache" (VWdS). In seiner kleinen Streitschrift "Sprachverfall und kulturelle Selbstaufgabe" untersucht er die Hintergründe des Niedergangs der deutschen Sprache, die einstmals Weltgeltung hatte. Er stellt fest: "Wenn es um Sprache und Kultur geht, gibt es in Deutschland zu wenig Eigenliebe und zuviel plakative Fremdenliebe." Mit Verweis auf die Vergangenheit seien viele Deutsche nicht bereit, die eigene nationale Existenz überhaupt noch zur Kenntnis zu nehmen.

Das deutsche Versteckspiel sei jedoch kein Ausweis von Weltläufigkeit, sondern eher von Verkrampfung. Auf die Phase der maßlosen Selbstüberschätzung folgt nun die Selbsterniedrigung. So schlagen die Deutschen vom einen Extrem ist andere. Einem bestimmten Schlag linker Intellektueller sei es kaum noch möglich, fremde kulturelle Leistungen zu schätzen und zu loben, ohne reflexartig das eigene verächtlich zu machen. Aber, so folgert Hensel, wer sich selbst nicht achtet, den können andere auch nicht achten.

Die Flut von Anglizismen und englischen Versatzstücken allein bedrohe die deutsche Sprache noch nicht in ihrem Kern. Zu allen Zeiten nahm unsere Sprache fremde Wörter auf – und keinen Schaden daran. Ganz entscheidend komme es aber auf die Kraft der Sprache an, sich Fremdes einzuverleiben und zu verdauen. Damit ist gemeint, daß das Neuerworbene nach den Regeln der deutschen Grammatik behandelt wird, damit der natürliche Fluß der Sprache erhalten bleibt.

Jedoch die Überschrift "Inforecherche total im Onlinedienst für Homenutzer" beispielsweise verlangt dem Leser ein mehrmaliges Wechseln der "Tiefencodes", der gedanklich-sprachlichen Ebene ab. Es schwindet die sprachliche Sicherheit. Die deutsche Sprache ist nach Meinung einiger Linguisten bereits irreparabel geschädigt. "Die zur Assimilation unfähige Sprache ist eine tote Sprache", urteilt Hensel und steht damit im krassen Widerspruch zu den Leuten, die in dem Überhandnehmen "flippiger" englischer Modewörter ein Zeichen von Lebendigkeit erkennen wollen.

Langsam aber sicher werde die Muttersprache verdrängt. Sie verarme durch Selbstverstümmelung, oder was noch steckt dahinter? Zu kurz greift der, der die Schuldigen allein in der Werbebranche oder im Musikbetrieb sucht: "Die geschichtliche Schuld wird im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf als Waffe eingesetzt", meint Hensel, dem irgendwelche "rechtsradikale" Tendenzen zu unterstellen völlig verfehlt wäre. Es gehe um "geldwerte Macht und tributäre Unterwerfung". Englisch entwickle sich so zunehmend zur universellen Sprache der Wissenschaft und der Politik, der lingua franca der Neuzeit.

Noch vor hundert Jahren war Deutsch eine anerkannte Wissenschaftssprache, eine beliebte Fremdsprache und stand bei ausländischen Studenten in hohem Ansehen. Der spürbar antideutschen Berichterstattung englischer und amerikanischer Medien sei es zu verdanken, daß Deutsch nun gemieden werde. Die deutsche Forschung und Wissenschaft habe daher einen greifbaren Nachteil etwa bei Veröffentlichungen.

Sollen wir, quasi als Strafe für die Vergangenheit, unsere kulturelle Identität aufgeben? Haben wir das Recht, die deutsche Sprache, die zum Weltkulturerbe gehört, so zu verwahrlosen lassen? Hensel möchte den "Sündenstolz der tonangebenden Intellektuellen" nicht übernehmen. Im "Finis Germaniae" betitelten letzten Teil seiner Streitschrift argumentiert er, das Absterben unserer Sprache sei das Vorspiel zum Verschwinden der Deutschen als (Kultur-)Nation. Ein Volk, das seine Einheit stets über die gemeinsame Sprache definierte, droht sich aufzulösen, entfällt dieses kulturelle Band. "Die allmähliche Aufgabe der Sprache kann Ausdruck für die allmähliche Aufgabe als Volk sein."

Diese Entwicklung werde gefördert durch die ungebremste Zuwanderung, die fremde Sprachinseln mitten im eigenen Land entstehen lasse. "Sprachverfall und kulturelle Selbstaufgabe" ist eine provokante Schrift, die einen weiten Bogen zieht vom Verfall der deutschen Sprache aufgrund unseres speziellen Minderwertigkeitskomplexes bis hin zur drohenden weltweiten kulturellen Vereinheitlichung und Nivellierung.

 

Horst Hensel: Sprachverfall und kulturelle Selbstaufgabe. Eine Streitschrift, DruckVerlag Kettler, Bönen/Westfalen 1999, 120 Seiten, 16,80 Mark


 
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