© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/99 22. Oktober 1999


Südtirol: Verwirrung um Interview-Äußerungen zum Selbstbestimmungsrecht
Warten auf Haiders Rückkehr
Jakob Kaufmann

Südtirol lehnt die Rückkehr nach Österreich ab", titelte in dieser Woche die Welt am Sonntag. Der Vorsitzende der Südtiroler Volkspartei (SVP), Siegfried Brugger, wird in einem Bericht des Springer-Korrespondenten Andreas Englisch in Rom mit dem Satz zitiert: "Ich halte diese Forderung für unrealistisch."

In dem Bericht wird behauptet, der Parteichef warne vor Bestrebungen in Südtirol, ein Referendum über die Rückkehr ins österreichische Staatsgebiet abzuhalten. Brugger bezweifle, daß eine solche Abstimmung Erfolg hätte. "Den Südtirolern geht es gut, sehr gut. Ich glaube nicht, daß sie eine Grenzverschiebung wollen." So zitiert die Sonntagszeitung den Chef der regierenden Südtiroler Volkspartei.

Auf Nachfrage der JUNGEN FREIHEIT meinte der Vorsitzende der Freiheitlichen in Südtirol, der Landtagsabgeordnete Pius Leitner, über das Interview: "Wenn er das gesagt hätte, wäre das ein Skandal." Brugger ließ es so weit nicht kommen: Seine angeblichen Aussagen gegenüber dem Springer-Korrespondenten hatten am vergangenen Montag für Wirbel im Land zwischen Brenner und Salurner Klause gesorgt, als die italienischen Zeitungen Alto Adige und Il Mattino das Interview aus der Welt am Sonntag wiedergaben. Die SVP-nahe Zeitung Die Dolomiten hatte die vermeintlichen Äußerungen trotz der gewohnten Gründlichkeit in der Berichterstattung nicht wiedergegeben. Siegfried Brugger beeilte sich, noch am selben Tag eine Erklärung in italienischer Sprache zu versenden, in der er den Aussagen in der Springer-Zeitung widerspricht: "Der Inhalt meines Interviews mit der Welt am Sonntag, soweit es den Wohlstand in Südtirol und die positiven Früchte der Autonomie betrifft, wurde weitgehend korrekt wiedergegeben, ausgenommen zwei Punkte, in denen mir Aussagen in den Mund gelegt werden, die ich nie gemacht habe, sondern die vollkommen meiner Politik und meinen politischen Überzeugungen widersprechen."

Er habe nie geäußert, daß der Verbleib bei Italien besser für Südtirol sei, als zu Österreich zurückzukehren. Er halte vielmehr eine Volksabstimmung zum jetzigen Zeitpunkt für ungeeignet. "Dies wäre völlig anders, wenn wir uns einer politischen Situation gegenübersähen, die zu einer Stärkung der Nationalstaaten führen würde, und wenn wir uns als ethnische Minderheit inakzeptablem Druck unterworfen sähen", erklärte Burgger. Das Recht auf Selbstbestimmung bliebe unantastbar. Eine ethnische Minderheit könne nie auf dieses Grundrecht verzichten, ganz unabhängig von der gerade aktuellen Lage, heißt es weiter in der Erklärung.

Die Situation, in der die Südtiroler nun doch die Selbstbestimmung einfordern könnten, umschreibt der Parteivorsitzende mit einem "inakzeptablen Druck". Das ist weiter ausgelegt als noch vor einigen Jahren: 1991 erklärte eine Gruppe um den SVP-Europaabgeordneten Michl Ebner, die Selbstbestimmung erst einfordern zu wollen, wenn die Südtiroler durch einen Völkermord bedroht seien. Diese SVP-Politiker äußerten dies zwar parteiintern, ihre Argumente drangen aber an die Öffentlichkeit und wurden damals lebhaft in den Medien diskutiert. Die Edelweiß-Partei hat schließlich nie eine solche Erklärung abgegeben. Sie hätte damit ein Grundrecht ihrer Wähler auf ein Minimum reduziert. In ihrem Programm vom Mai 1993 bekräftigte die SVP dann "die Unverzichtbarkeit des Selbstbestimmungsrechtes der Südtiroler". Der Parteivorsitzende kann demnach nicht einfach in einem Interview eine Verzichtserklärung abgeben.

Der Bericht der Welt am Sonntag ist indes nicht der erste des Springer-Auslandsdienstes, der seit dem Wahlerfolg der FPÖ zum österreichischen Nationalrat zur Südtirolfrage erschien und dem Dementis folgten. In der vorigen Woche mußte bereits die Vorsitzende der Union für Südtirol, Eva Klotz, der Behauptung widersprechen, sie habe "den Anschluß Südtirols an Österreich" nach Haiders Sieg gefordert (die JF berichtete).

Der Obmann der Freiheitlichen Pius Leitner sprach gegenüber der JUNGEN FREIHEIT von "einem medialen Störmanöver" und einer "Inszenierung", die er hinter diesen Falschmeldungen vermute. Es sei unklug, zu diesem Zeitpunkt diese Diskusion vom Zaun zu brechen. Vor dem Gespräch mit dieser Zeitung hatte der Parteichef und Landtagsabgeordnete gerade in einer eilig einberufenen Sitzung mit dem Tiroler Freiheitlichen-Chef Franz Linser gesprochen. Anlaß waren Äußerungen des FPÖ-Vorsitzenden Jörg Haider, mit denen ihn italienische Medien wie der Corriere della Sera zitiert hatten. Er habe dabei die Südtirolfrage für erledigt erklärt und gemeint, daß die Mehrheit der Südtiroler sich in einer Abstimmung für den Verbleib bei Italien aussprechen würden. Eine Europaregion Tirol habe zudem nach der Öffnung der Grenzen mit dem Inkrafttreten des Schengener Abkommens keinen Sinn mehr. Haider habe seinen Standpunkt auch schon der Forza Italia vorgetragen.

Linser und Leiner bezweifeln, daß der Freiheilichen-Chef das gesagt hat. Eine Bestätigung dieser Aussagen hat auch die JUNGEN FREIHEIT bislang bei der FPÖ nicht erhalten. Da Haider bis Donnerstag dieser Woche auf Reisen ist, bleibt die Frage für seine Parteifreunde und die Öffentlichkeit bis dahin offen.

Unterdessen heizte das Zeitungsinterview die Debatte um das Selbstbestimmungsrecht weiter an: Eva Klotz meinte, eine Volksbefragung zur Selbstbestimmung Südtirols sei das Recht der deutschsprachigen Südtiroler, und nur ihres. Wenn die Mehrheit der Südtiroler davon Gebrauch machen möchte, könnte Wien das nur zur Kenntnis nehmen, mehr nicht. Siegfried Brugger zeigte sich äußerst erstaunt über Haiders Kehrtwende, die das Zitat suggeriert. Pius Leitner hielt sich zunächst mit einer Stellungnahme zurück, um das Treffen mit Franz Linser abzuwarten. Die beiden beschlossen dann am Montagabend, an ihrer Südtirolpolitik festzuhalten.

Im JF-Gespräch betonte Leitner, daß Österreich Schutzmacht bliebe und sich nach dem mehrheitlichen Willen der Südtiroler richten müsse. In einem Interview habe der Südtiroler Landeshauptmann jedoch selbst geäußert, daß das Ergebnis eines Referendum davon abhinge, wofür die Südtiroler Volkspartei die Werbetrommel rühre. Die beiden Freiheitlichen-Chefs werden in den nächsten Tagen in einer Pressekonferenz ausführlich zu dieser Frage Stellung nehmen. Sie wollen aber erst abwarten, bis sie erfahren, was Haider nun wirklich gesagt hat. Dann wird sich herausstellen, wer gegen das Recht auf Selbstbestimmung der Südtiroler "die Werbetrommel rührt".


 
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