© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/99 22. Oktober 1999


Westanbindung: Hintergründe des israelischen-amerikanischen Türkei-Lobbyismus
Türöffner zum kaukasischen Öl
Michael Wiesberg

Am 2. August dieses Jahres schrieb Thomas Omestad in einem Beitrag für das Nachrichtenmagazin U.S. News&World Report, daß die islamische Türkei und das jüdische Israel die besten Partner geworden seien. Neben einer angeblich langen Geschichte freundschaftlicher Beziehungen zwischen Türken und Juden – Omestad verweist zum Beispiel auf die Aufnahme von rund 200.000 aus Spanien vertriebenen Juden durch das Osmanische Reich im Jahre 1492 – führt der Autor die intensiven Beziehungen zwischen der Türkei und Israel vor allem auf handfeste politische Motive zurück. Beide Staaten hätten dieselben Feinde: Syrien, Iran und den Irak. Für die Türkei zahle sich die Allianz mit Israel aus, erhalte diese jetzt doch via Israel die neuesten US-Waffensysteme. Darüber hinaus lasse Israel auch in Washington seinen Einfluß spielen, um die türkischen Anliegen zu unterstützen.

Seyfi Tashan, Direktor des Türkischen Instituts für Außenpolitik, wird von Omestad in diesem Zusammenhang wie folgt zitiert: "Es kann für die Türkei nur von Vorteil sein, wenn es in den USA eine israelische Lobby als Gegengewicht zu der dortigen armenischen und griechischen Lobby gibt." Im Gegenzug nutzt Israel seine Beziehungen zur Türkei, um seine Isolation im Nahen Osten zu durchbrechen. So hat sich der Handel Israels allein mit der Türkei innerhalb der letzten drei Jahre verdoppelt.

Wie weit die jüdische Unterstützung der Türkei geht, zeigen die Vorgänge um ein geplantes cineastisches Monumental-Epos über Kemal Atatürk, für das sage und schreibe 62 Millionen Dollar bereitgestellt worden sind. Produzent dieses Films wird Gary Frederickson sein, der bereits erfolgreich mit Francis Ford Coppola zusammengearbeitet hat. Hauptdarsteller des Filmes soll der aus dem Film "Gandhi" bekannte Schauspieler Ben Kingsley sein. "Gandhi" wird in vielerlei Hinsicht das Vorbild für den Streifen über Kemal Atatürk sein.

Unterstützt wird dieser Film durch die Tochter von Moshe Dayan, Mitglieder der Knesset und andere jüdische Freunde der Türkei, die sich sicher sind, den heftigen armenischen und griechischen Widerstand gegen diesen Film brechen zu können.

Türkei als Regionalmacht und Motor der Entwicklung

Doch damit nicht genug: Die Begeisterung der jüdischen Freunde der Türkei geht sogar soweit, ausgerechnet im griechischen Thessaloniki, dem Geburtsort von Kemal Atatürk, ein Denkmal für diesen errichten zu wollen. Der Initiator dieser Idee ist ein gewisser Yannis Horn, der jüdische Verleger einer Athener Tageszeitung. Die Griechen haben bis heute das Massaker nicht vergessen, das Atatürk bei der Einnahme der Stadt Smyrna (1922) im Zuge der "ethnischen Säuberung" Kleinasiens anrichtete. Damals wurden Zehntausende von orthodoxen Griechen und armenischen Christen umgebracht.Etwa eine Million Griechen wurden in der Folge aus Kleinasien vertrieben, was das Ende einer zweitausendjährigen Besiedelungsgeschichte bedeutete.

Alles dies scheint der jüdischen Begeisterung für die Türkei keinen Abbruch zu tun. Im Gegenteil: Ausgerechnet die amerikanisch-jüdische Anti-Defamation League veröffentlichte im Juli dieses Jahres in der New York Times eine Anzeige, in der die Türkei, die es mit den Menschenrechten bekanntlich sehr genau nimmt, enthusiastisch für ihre "demokratischen Werte" gefeiert wird. Es muß an dieser Stelle dahingestellt bleiben, warum Juden, die ihre eigene Verfolgungsgeschichte in allen ihren Verästelungen lebendig zu halten versuchen, augenscheinlich keinerlei Sensibilität für die Leidensgeschichte nichtjüdischer Völker aufbringen.

Zu klären bleibt, was eigentlich genau den Staat Israel und die Vertreter jüdisch-amerikanischer Organisationen bei ihrem "Türkei-Lobbyismus" umtreibt. Denn der Eifer, mit dem sich zum Beispiel das American Jewish Committee, der American Jewish Congress, die bereits genannte Anti-Defamation League und der jüdische Orden B'nai B'rith für die Türkei einsetzen, geht weit über die zwischen den USA, der Türkei und Israel Anfang der neunziger Jahre vereinbarte "strategische Partnerschaft" hinaus. So besuchte vor kurzem eine Delegation aus Mitgliedern der oben genannten jüdischen Organisationen die türkische Regierung, um dieser nachhaltig zu versichern, daß die guten Beziehungen der Türkei mit Israel und den USA auch weiterhin durch die amerikanischen Juden unterstützt werden.

Licht hinter diese auffälligen Aktivitäten brachte die Journalistin Yasemin Dobra-Manco in einem Hintergrund-Artikel für die Turkish Daily News vom 29. Juli d.J. Die jüdischen Organisationen unterstützten die Türkei deshalb, so Dobra-Manco, weil diese davon überzeugt seien, daß die Türkei eine großartige Zukunft als Regionalmacht und als machtvolle ökonomische Lokomotive für die ganze Region hätte. Deshalb setzten sich die amerikanisch-jüdischen Organisationen für eine intensive Beziehung der Türkei mit Israel ein. Und zwar nicht nur auf militärischem Gebiet, sondern auch in den Bereichen Sicherheitspolitik, Landwirtschaft, Handel, akademische Austauschprogramme sowie Forschung.

Doch damit ist die Attraktivität der Türkei aus jüdischer und amerikanischer Sicht bei weitem noch nicht erschöpft. Erfolgversprechend ist die amerikanisch-israelisch-türkische Zusammenarbeit darüber hinaus im Nahen Osten, Zentralasien und dem Kaukasus. Insbesondere im Kaukasus kommt der Türkei die Rolle eines Türöffners zu, über den Verbindungen geknüpft und Projekte angestoßen werden können.Daniel Mariaschin, Direktor des in Washington ansässigen Internationalen Zentrums für politische Öffentlichkeitsarbeit des jüdischen Ordens B’nai B’rith, wird in diesem Zusammenhang von Dobra-Manco wie folgt zitiert: "Als Amerikaner und als Förderer Israels sind wir uns der Wichtigkeit der Türkei in dieser Region vollkommen bewußt."

Die durch die Türkei eröffnete Möglichkeit für Israel, den Kreis befreundeter Staaten innerhalb der islamischen Welt auszudehnen, hat zu erheblichen Aktivitäten der jüdisch-amerikanischen Organisationen geführt, die ihre diplomatischen Beziehungen nach Zentralasien und in den Kaukasus erheblich gesteigert haben. Einmal geht es den jüdisch-amerikanischen Organisationen darum, die Zahl der Handelspartner Israels auszudehnen, und zum anderen darum, die Staaten des Kaukasus und Zentralasiens für den Westen zu gewinnen.

Das Projekt "Neue Seidenstraße" der US-Regierung spielt in diesem Zusammenhang eine herausragende Rolle. Hinderlich bei diesem Projekt ist aus jüdischer Sicht insbesondere der Paragraph 907 des Freedom Support Act, der eine direkte Unterstützung Aserbaidschans durch die US-Regierung seit 1992 untersagt. Um den Hintergrund des Paragraphen 907 zu begreifen, bedarf es eines kurzen Exkurses:

Im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Armenien und Aserbaidschan um die in Aserbaidschan gelegene armenische Enklave Berg Karabach (1988–94) hat Aserbaidschan über Armenien eine Blockade verhängt, die bis heute die Einfuhr lebenswichtiger Güter verhindert. Diese Situation nutzten die armenischen Interessenvertreter in den USA, um ihrerseits Restriktionen von seiten der USA gegenüber Aserbaidschan durchzusetzen. Durch die Machtübernahme von Robert Kochrian in Armenien, der seitdem kompromißlos die Interessen Armeniens verficht, hat sich die Situation unterdessen weiter verhärtet.

Aserbaidschan im Projekt der "Neue Seidenstraße"

Kochrian fordert inzwischen nicht nur einen Autonomiestatus, sondern die völlige Unabhängigkeit Berg-Karabachs von Aserbaidschan. Sollte es aufgrund dieser Lage zu erneuten bewaffneten Auseinandersetzungen kommen, dann wäre Aserbaidschan gezwungen, die geplante Pipelineverbindung von Baku über Armenien zum Mittelmeerhafen Ceyhan (Türkei) bzw. die im Bau befindliche Pipeline Baku-Supsa/Poti (Georgien) aufzugeben. Aserbaidschan müßte statt dessen das Erdöl über eine bereits vorhandene Pipeline durch Rußland (Baku-Grozny-Noworossijsk) transportieren, mit der Folge, daß Ruland weiter die fällig werdenden Gelder für die Erteilung der Durchleitungsrechte zufallen. Darüber hinaus wären die Investitionen von US-Firmen in Aserbaidschan im Konfliktfall unwiederbringlich verloren. Eine derartige Entwicklung käme Rußland nicht ungelegen, gehören doch Rußland und der Iran zu den wichtigsten Verbündeten Armeniens, das zwischen 1996 und 1998 für rund eine Milliarde US-Dollar Waffen von Rußland gekauft hat.

Es überrascht bei diesem Hintergrund nicht, daß das US-Embargo gegen Aserbaidschan längst nicht mehr in die Pläne der jüdisch-amerikanischen Lobby und der US-Regierung paßt. Einflußreiche Kreise in den USA machen sich deshalb seit langem für eine Aufhebung des Paragraphen 907 stark. Letztes Jahr scheiterte allerdings eine diesbezügliche Initiative des republikanischen Abgeordneten Brownback im Repräsentantenhaus. Wie brisant die Auseinandersetzungen um den Paragraphen 907 sind, zeigt ein Hinweis des republikanischen Abgeordneten Sonny Callahan, der in der Aussprache im Repräsentantenhaus über die Beibehaltung oder Rücknahme der Sanktionen zu Protokoll gab: "Außenministerin Albright rief mich an und sagte mir, daß die Aufhebung der Sanktionen eine der wichtigsten Maßnahmen sei, die der Kongreß für die Regierung Clinton zur Sicherung einer effektiven Außenpolitik leisten könne."

Callahan war nicht der einzige Abgeordnete, auf den die amerikanische Außenministerin massiv einwirkte. So war in einer Pressemitteilung der "Armenian Assembly of America" zu lesen, daß Frau Albright immer wieder darauf verwies, daß die Sanktionen den amerikanischen Vermittlungsversuchen in Berg-Karabach zuwiderliefen. Damit würden aber auch die Aussichten sinken, die Reformen (insbesondere in den Bereichen Wirtschaft und Rechtsprechung) in Aserbaidschan voranzubringen. Dieser Zustand schade – so Albright – dem Projekt eines Ost-West-Energietransportkorridors.

Brownback hat in diesem Jahr eine neue Initiative gestartet, die dem Präsidenten die Befugnis zuerkennt, den Paragraphen 907 für ungültig zu erklären, falls er diese Maßnahme im nationalen Interesse für notwendig halten sollte. Der Senat nahm diese Initiative zwar an, nicht aber die damit verbundene Ausweitung der präsidialen Befugnisse.

Die jüdisch-amerikanischen Gruppen unterstützen mit Vehemenz die Brownback-Initiative, weil Aserbaidschan als vermutlich erdölreicher Staat im Rahmen des "Projektes Neue Seidenstraße" eine Schlüsselrolle spielt. Ohne Kapital und entsprechende Technik, um infrastrukturelle Maßnahmen für den Pipelinebau durchführen zu können, kann Aserbaidschan allerdings nicht zum Transitland für Erdöl und Erdgas aus dem Kaukasus werden. Darum geht es im Kern bei den Auseinandersetzungen um den Paragraphen 907. US-Investitionen sind nötig, um die entsprechenden Voraussetzungen für Aserbaidschan zu schaffen.

Inwiefern Israel von diesem Projekt profitiert, erläutert Mariaschin: Nach dem Erdölembargo gegen Israel in den Jahren 1978/79, so Mariaschi, als Israel das Opfer dramatischer Erdölpreiserhöhungen nach dem Yom Kippur-Krieg war, seien die Israelis zu der Erkenntnis gekommen, daß Israel einseitige Abhängigkeiten im Hinblick auf seine Energieversorgung überwinden müsse. Deshalb seien viele Anbieter und vielfältige Energietransportwege im allgemeinen israelischen Interesse. Genau aus diesem Grund unterstützt die jüdisch-amerikanische Lobby die geplanten Pipelines von Baku nach Ceyhan bzw. von Baku nach Supsa (Georgien).

Welche Motive für die US-Regierung bei ihrem Engagement für die Türkei bestimmend sind, ergibt sich aus den Schlußfolgerungen, die der österreichische Abgeordnete im Europaparlament, Hans Kronberger, in seinem Buch "Blut für Öl" (Wien 1998) gezogen hat.

Kronberger weist darauf hin, daß wer die Pipelines besitze, im "21. Jahrhundert auch die Macht über die Lieferländer" haben werde, "aber ebenso über die Verbraucherländer. Die Pipelines werden die Nabelschnüre der Industriegesellschaft sein, mit all ihrer Verletzlichkeit, insbesonders im Erdgasbereich, wo die Flexibilität beim Ausfall der Versorgung relativ gering" sei.

Da diese "Nabelschnüre" auch und gerade durch die Türkei führen sollen, gehen jüdisch-amerikanische Organisationen sogar soweit, europäische Regierungen bezüglich eines möglichen Beitritts der Türkei in die EU unter Druck zu setzen. Um hier ein letztes Mal Daniel Mariaschin zu zitieren: "Als wir (Vertreter von B’nai B’rith, dem American Jewish Committee und der Anti-Defamation League, d.V.) mit Vertretern verschiedener europäischer Regierungen sprachen, haben wir darauf verwiesen, daß der Türkei der Beitritt in die Europäische Union nicht aufgrund religiöser, kultureller oder historischer Argumente verwehrt werden sollte."

Garantiemacht USA zeigt sich noch unentschlossen

Daß dem jüdisch-israelischen Lobbyismus für die Türkei ein erheblicher Rückschlag ins Haus stehen könnte, zeigt eine Meldung der türkischen Zeitung Istanbul Sabah vom 4. August dieses Jahres. Laut dieser Zeitung gibt es im Hinblick auf den geplanten Bau der Pipeline Baku-Ceyhan derzeit keinen Fortschritt, weil die US-Regierung keine finanziellen Garantien für dieses Projekt geben will. Die beteiligten US-Erdölfirmen sind der Überzeugung, daß nicht genug Erdöl über die (ohnehin sehr teure) Trasse transportiert werden wird, weil das kasachische Erdöl über den russischen Schwarzmeerhafen Noworissijk geleitet werden soll.

Allein für den Transport des aserbaidschanischen Erdöls sei die Verbindung Baku-Ceyhan nicht wirtschaftlich genug. Sollte es bei dieser Ausgangslage bleiben, könnte sich das Interesse an der Türkei bald wieder abkühlen.


 
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