© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/99 22. Oktober 1999


Buchmesse I: Ein Rundgang von "Criticón" bis Elefanten Press
Neue Medien, alte Themen
Ellen Kositza

Zehn Jahre nach dem Mauerfall stellte sich erstmals ein Staat des ehemaligen Ostblocks als Gastland der Frankfurter Buchmesse vor: Ungarn unbegrenzt. Über hundert ungarische Schriftsteller in den Hallen und Tagungsräumen, 111 Teilnehmerländer insgesamt, nahezu 90.000 Neuerscheinungen international. Und alle Jahre wieder lautet die Frage: Wer soll das alles lesen?

Zumindest als Alternative scheint es einen neuen Boom literarischer Hörcassetten zu geben. Auch auf die Frage, wohin mit den vielen Büchern, wo Wohnraum knapp und die Regale bereits gefüllt sind, bahnt sich eine Antwort an: das eBook, das elektronische Buch, ein Rechner zum Lesen mit 36.000 Buchseiten Speicherkapazität.

Das in diesem Herbst ausgegebene Schwerpunktthema Buch@Internet, Online-Buchhandel und elektronische Publikationen betreffend, tangierte dabei die schon seit Jahren regelmäßig geunkte Lieblingsfrage der Kulturseiten zur Buchmesse: Verdrängt das elektronische Buch die guten alten Papierseiten?

Inhaltlich ein deutlicher Zuwachs bei in weiterem Sinne religiösen Themen, Schamanismus und der Weg dazu an jedem fünften Stand in irgendeiner Form. Spiritualität à la carte als neue Selbsterfahrung des Individuums. Nicht nur sekteneigene Verlagshäuser und esoterische Klüngel reagieren auf eine zunehmende Orientierungslosigkeit und die Hoffnung, Lösungen konsumieren zu können. Schutzengel, mediale Lebensberatung oder Aids und seine naturheilpraktische Behandlung – Heilsverlangen allenthalben.

Starker Andrang herrschte auch am Stand des Arun-Verlages. Prospekte gingen weg wie warme Semmeln, und Fachgespräche beschäftigten Verlagsleiter Stefan Ulbrich über alle Maßen. Der "Verlag der Kulturen und Traditionen" scheint mit seiner Schiene eines mittlerweile fast ausschließlich naturreligiös und kulturanthropologisch begründeten Programms auf breiten Publikumserfolg zu stoßen. Indianische Sandmalerei, japanisches Trommeln und der Sonnentanz der Sioux umspielen auf vielfältige Weise die Annäherung des modernen Menschen an eine naturgemäße Lebensweise. Renner bei Arun ist in diesem Jahr "Weltenesche – Eschewelten", eine ausführliche Beschäftigung mit dem germanischen Götterorakel. Befremdend wirken hier allein die Werbesprüche aus der Agenturküche: "pagan", "tribal", "Celtic", "Indian", "cult". Es muß halt peppen.

Auch bei Criticón konnte man sich nicht beklagen. Eigens für die Buchmesse hatte man das konservative Grundlagen-Magazin einer gründlichen Reform der Gestaltung unterzogen. Statt des gewohnten Salonzimmerblaus beherrscht nun glänzendes Grau-Schwarz das Titelbild, zusätzlich wurden die Innenseiten aufwendig bebildert und insgesamt modernen Layout-Tendenzen Rechnung getragen mit der Absicht, das Blatt an eine neue Generation junger konservativer Leser heranzutragen.

Traditionell präsentierte auch der Leopold Stocker-Verlag aus Graz sein Programm. Der Verlag hat bereits zahlreiche zeithistorische Klassiker verlegt, so Caspar von Schrenck-Notzings "Lexikon des Konservativismus", eine Neuauflage von Mohlers "Konservative Revolution in Deutschland" oder auch den Sammelband "Bye-bye ‘68" ehemaliger Apo-Aktivisten. Ein derzeitiger Bestseller bei Stocker ist Rudolf Czernis "Das Ende der Tabus" – ein Buch, das für eine unbefangene Zeitgeschichtsforschung plädiert.

Auf der Linken nicht viel Neues. Waren es noch vor einiger Zeit die Hände Che Guevaras, die die Gemüter erhitzten, so hat man einen zentralen Themenschwerpunkt diesmal nicht finden können. Allenfalls die antifaschistischen Enthüllungen und Strategien gehören wie jedes Jahr zum Standardrepertoire. Bringt man selbst nichts zustande, kann man wenigstens verärgert über die anderen berichten. So wird die Walser-Bubis-Debatte gleich in mehreren einschlägigen Publikationen breitgetreten. Und immer wieder lautet die Frage, was denn nun die beste Vorgehensweise gegen den drohenden rechten Dämon sei. Jens Mecklenburg hat sich einmal mehr diesbezüglich bemüht und mit "Was tun gegen rechts?" im Rahmen der "Antifa Edition" der Elefanten Press das jährliche Pflichtbuch geliefert. Im November folgen die antifaschistischen Forscher Wolfgang Benz und Rainer Erb mit "Wege aus der Gewalt", das im Metropol-Verlag geliefert wird.

Links daneben der Kleinverlag Olga Benario und Herbert Baum, der sich bewußt auf die Seite der Verdammten dieser Erde stellt, indem er solidarisch an die wirklichen kommunistischen Traditionen anknüpft. Ein gähnender junger Zotteltyp, lesend, als Standpersonal, im Programm neben Lenin und Stalin das Buch über den Partisanenkampf. Laut Verlagsbroschüre eine Waffe im Kampf gegen den revisionistischen friedlichen Weg zum Sozialismus.

Wo an den größeren Verlagen nur eine Fernsehkamera, nur ein Mikrophon auf den Menschen am Vorlesepult gerichtet sind, wo statt Masse sich ein bescheidener Neugierigenkreis bildet, darf man fast wetten: Es liest eine der neuen Schreiberinnen, die derzeit auf den Romanmarkt gepusht werden. Die Streeruwitz war es nicht, auch nicht die Noll, die Lind, die Fried oder die Hermann. Die Gestimmtheit der Inhalte dürfte sich bei leicht differierender Qualität ähneln.

Hier eine treu dreinblickende Endvierzigerin vor einer Handvoll Menschen, dort eine Resolute mit Zopf und zornigen Stirnfalten, nur von einer Minderheit der durch die Gänge eilenden beachtet. Achtzig Prozent Frauenanteil in der Buchbranche, jubelte der Hessische Rundfunk in seiner Frauensendung euphorisch. Ist das Buchmessenpanorama samt Ausstellern auch noch um einiges von dieser Quote entfernt, so fällt eines auf, gerade das Personal der großen Verlagsstände betreffend: der abschätzigste Blick, die frostigste Auskunft, die hochgezogensten Augenbrauen – Frauen.

Gedränge verheißt Prominente, meistens jedenfalls. Rummel um Verona Feldbusch bei ihrer Kochbuchpräsentation, Massen bei Manfred Krug, bei Oskar und Christa. Man dreht sich um nach Ephraim Kishon und Mutter Beimer, Guido Westerwelle, Klaus von Dohnany und Ulrich Wickert, allein Wolf Biermann und Alfred Dregger schenkt keiner einen zweiten Blick, und ein gemurmeltes "… aber alt geworden" durchweht den Gang.

Neue Medien, alte Themen, und Imre Kertesz liest dreimal täglich aus seiner Auschwitz-Trilogie vor. Und so verabschiedet sich die Frankfurter Buchmesse ins nächste Jahrtausend.


 
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