© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/99 15. Oktober 1999


Walter Schertz-Parey: Winifred Wagner. Ein Leben für Bayreuth
Zwistigkeiten werden nur angedeutet
Mina Buts

Als sie nach dem frühen Tod ihrer Eltern von Verwandten in Berlin aufgenommen wurde, hatte Winifred Williams Glück im Unglück: Schon als junges Mädchen hatte sie sich aus Verehrung für das Werk Richard Wagners den Vornamen Senta – nach der Protagonistin aus dem "Fliegenden Holländer" – zugelegt. Nun lernte sie durch ihre Adoptiveltern bei den Bayreuther Festspielen 1914 Cosima und deren Sohn Siegfried Wagner persönlich kennen. Eine Begegnung mit Folgen: Nur ein Jahr später heiratete die Britin Siegfried, der 28 Jahre älter war als sie, und erfüllte sich damit ihren Lebenstraum.

An seiner Seite unternahm sie ausgedehnte Konzertreisen durch Europa und die USA, bei denen Siegfried nicht nur seine eigenen Werke, sondern vor allem die seines Vater Richard dirigierte. Die beiden warben um Spenden und Unterstützung, damit auch nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wieder Festspiele auf dem Grünen Hügel in Bayreuth stattfinden könnten.

1924 war es dann soweit; Dirigenten wie Arturo Toscanini, Wilhelm Furtwängler, Richard Strauss und Heinz Tietjen konnten verpflichtet werden. Behutsame Neuerungen der Inszenierung wurden vorgenommen, ohne damit das oberste Ziel zu gefährden, Wagner als Gesamtkunstwerk unangetastet zu lassen. Als Siegfried 1930 plötzlich starb, übernahm Winifred die Leitung der Bayreuther Festspiele.

Die persönliche Freundschaft mit Adolf Hitler, den Siegfried und Winifred Wagner schon 1923 kennengelernt hatten, führte nach Kriegsende zu heftigen Anfeindungen. Hitler war ein großer Freund und – wie Winifred bescheinigte – auch intimer Kenner des Wagnerschen Werkes, zudem privat ein gern gesehener Gast, er spielte mit den vier Kindern und genoß – so Winifred – die familiäre Atmosphäre. Nach seiner Machtübernahme besuchte er nicht nur regelmäßig die Festspiele, wofür Winifred ein geeignetes Quartier zur Verfügung stellte, sondern sorgte auch für deren finanzielle Grundausstattung. Darüber hinaus gab er 1938 den Anstoß für die Deutsche Richard-Wagner-Forschungsstätte.

Da Winifred schon 1926 der NSDAP beigetreten war, wurde sie nach dem Krieg als Minderbelastete eingestuft und ihr eine unternehmerische Tätigkeit verboten. Sie sah sich daher gezwungen, die Leitung der Festspiele 1949 an ihre Söhne Wieland und Wolfgang abzutreten. Die beiden versuchten, das Wagnersche Werk zu entmythologisieren und zu "entdämonisieren": "In einem Gewaltakt des Exorzismus aller deutschen Assoziationen an Wagner wird seine Entdeutschung, seine Entideologisierung vorangetrieben", so urteilte darüber noch kürzlich Wielands Tochter Nike in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Winifred Wagner konnte den neuen Inszenierungen in Bayreuth wenig abgewinnen, zudem lasteten familiäre Streitigkeiten auf ihr. Friedelind, ihre älteste Tochter, war bereits während des Dritten Reiches in die USA emigriert und forderte nun ihren Teil am väterlichen Erbe. Auch die Witwe Wielands, der 1966 gestorben war, reklamierte Rechte an diesem für sich.

Um eine Kontinuität auch nach ihrem Ableben zu ermöglichen, wurde auf Winifreds Initiative hin die Richard-Wagner-Stiftung errichtet, an der neben der Familie auch zahlreiche öffentliche Institutionen beteiligt sind. Winifred Wagner starb am 5. März 1980.

Walter Schertz-Parey, ein "Urgroßneffe Richard Wagners" fühlte sich nun berufen, eine "erste Biographie über Winifred Wagner" zu schreiben. Dabei kann ihm in der Tat nicht die Mühe abgesprochen werden, auch einige bislang unveröffentlichte Fotos und Briefe aufgetrieben zu haben: Sie können nun in dem Band bewundert werden. Was dem Buch aber leider fehlt, sind präzise und verläßliche Informationen über Winifred Wagner gerade dort, wo sie besonders interessant wären. So müßte es heute eigentlich möglich sein, ihre Beziehung zu Adolf Hitler und ihr Bekenntnis zur NSDAP nachzuzeichnen, ohne darüber eine Diskreditierung ihrer Persönlichkeit fürchten zu müssen. Auch ihre Rolle nach 1945 ist wenig überzeugend dargestellt; Schertz-Parey beschränkt sich leider darauf, Babysitterdienste bei den Enkelkindern und Reiserouten termingenau festzuhalten. Gerne aber würde man mehr zu den Auseinandersetzungen um die Werksinterpretation erfahren.

Enttäuschung bereiten auch stilistische Mängel, ein betulicher Tonfall und die zwar erheiternden, aber wenig erhellenden Wiederholungen. Manches ist schlicht überflüssig: So zeichnet der Autor zwar minutiös nach, in welchem Brief sich Winifred während eines längeren USA-Aufenthalts mit welchen Worten an welches ihrer vier Kinder wandte, nur wozu? Auch das Wissen um die Hollywood-Schaukel, die sie zu ihrem 80. Geburtstag geschenkt bekam, rundet das Persönlichkeitsbild nicht ab. Familiäre Zwistigkeiten nach dem Zweiten Weltkrieg werden hingegen bloß angedeutet, denn "uns kümmern keine Einzelheiten". Dieses Lebensbild von Winifred Wagner ist sicher authentisch, zufriedenstellen kann es aber leider nicht.

 

Walter Schertz-Parey: Winifred Wagner. Ein Leben für Bayreuth. Leopold Stocker Verlag, Graz 1999, 312 S., 39,90 Mark


 
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