© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/99 15. Oktober 1999


Konzert: Die Frauenband "Rockbitch" auf Tour
Ruch des Verbotenen
Ellen Kositza

Das Bild ist bekannt: Ein niedlicher Popstar tritt auf, ein Schmusesänger oder eine tanzende Gruppe adretter Knaben, die talentiert die gelernten Schritte und Sprünge aufführen, um dabei von Verliebtheit, Verlassensein, Verzeihung und einer neuen Liebe zu erzählen, während kreischende Mädchen mit Fingernägeln und Zähnen um einen Platz in den ersten Reihen kämpfen, um schließlich dem Schwarm das angerotzte Kuscheltier vor die Füße zu werfen.

Was aber im umgekehrten Fall? Restlos ausverkaufte Konzerthallen, unter dem Publikum ein Frauenanteil gegen ein Prozent. Männerschweiß in der Luft, eine sehr aufgeregte Masse erwartet den Auftritt einer Frauenband, die in ihrer Musik und vor allem in ihrer Bühnendarbietung vor allem eines darzustellen verspricht: Sex? Bündelung von Männerwünschen?

Die britische – oder, in eigenen Worten: multinationale – Frauengruppe Rockbitch hurt mal wieder durch Europa und kann sich wieder nicht einkriegen vor Empörung: Die meisten ihrer Konzerte werden von den Ordnungsämtern der jeweiligen Städte mit Auflagen belegt, die gewöhnlich sexuelle Kontakte zwischen Bandmitgliedern und Publikum, das Hantieren mit Körperflüssigkeiten und gelegentlich auch bühneninterne orale und anale Maßnahmen untersagen. Zensur nennen das die dauerempörten Madames und zerreißen die amtliche Verfügung: Well fuck that! Die Menge johlt – also doch volle Show? Wer werden die Auserwählten sein, die erst live auf der Bühne und dann backstage das kriegen, was ihnen von der Freundin vielleicht versagt bleibt?

Auch wenn sich Rockbitch zu einer terroristischen Verbreitung ihres Glaubens (an die sexuelle Befreiung des Individuums) bekennen, in Offenbach hält man sich letztlich doch bieder an die Auflagen der Antisexfaschisten, der Moral-Nazis und drückt selbst kräftig auf die Moraltube, irgendwie muß man seinen Glauben ja heiligen. Nach einer einführenden lüsternen Videoeinlage mit den sich räkelnden, sich küssenden sechs nackten Frauen, wie man sich ihr Alltagsleben in einer französischen Bauernhauskommune eben vorstellen soll, greift Hauptsängerin Julie, langhaarig und hübsch wie ihre Kolleginnen, tief hinein in die Welt sexuellen Grauens: "Diese Bilder könnten Euch erschrecken. Täglich werden auf unserer Welt 6.000 Frauen beschnitten." Buuuh, johlt die Masse, den Frauen soll es schon auch Spaß machen. Auf der Videoleinwand Nahaufnahmen des perversen Rituals, blutig dahinwankende Negermädchen. Alle Hälse recken sich, so sieht das also aus. The Bitch, Beast, Luci und wie sie sich nennen hauen in die Tasten , auf die Saiten ihrer Instrumente, die Halle bebt. We will fuck you all, die Botschaft, um die alles kreist.

Vor acht Jahren soll sich das dezidiert politische, linke Projekt gegründet haben, eine etwas unglaubwürdige Behauptung, da das Durchschnittsalter der auftretenden Frauen bei 23 Jahren liegen soll. Lebensziel der größtenteils angeblich lesbischen, teilweise bisexuellen Musikerinnen ist neben der sexuellen Emanzipation ("Wir glauben an die Sex-Gender-Liberation wie Ihr Arschgesichter an Euer Geld glaubt"), soviel Sex mit soviel interessanten Leuten wie möglich zu haben. Viel ist sonst nicht an positiver Botschaft, Haß, Aggressivität und Machbessesenheit bestimmen ihre Äußerungen.

Ein weiteres bete noir stellt für die Band, die in ihren Shows das bieten, wofür Männer sonst mehr als nur Eintritt zahlen müssen, das Christentum dar, sie beschwören Luzifer, setzen auf die Vulva einer kopfstehenden Rockbitch einen kerzenentflammten Totenkopf. "Jesus Christus hielt alle Frauen für Huren. Wir sagen: er hatte recht!"

"Was gefällt Dir daran?" frage ich einen Tätowierten. "Die Musik. Hört sich vielleicht blöd an, aber die sind echt professionell." Ja, hört sich wirklich ein bißchen blöd an. Zumal Rockbitch bereits vor ausverkauften Hallen auftraten, bevor irgendein Tonträger von ihnen erschienen war.

Sex geht immer, wissen Marketingfachleute, und der Ruch des Perversen und Verbotenen verspricht einen zusätzlichen Stimulus. Rockbitch wollen mindestens so sexuell aggressiv und pervers wie Männer sein. Ein Sprachrohr für die Frauenwelt scheinen sie nicht zu sein bei ein paar Dutzend Frauen unter Tausenden männlichen Zuschauern. Härteste Musik, laute Stimmen, weit ausholende Gestik, wildes Stampfen, eine um die zierlichen Hüften geschnallte Penis-Attrappe – Feminismus konfus.


 
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