© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/99 15. Oktober 1999


CD: Pop
Markentreue
Peter Boßdorf

Type O Negative ist eine Band, die Maß zu halten versteht: In Ermangelung des großen Durchbruchs zur globalen Massenbeschallung versteht man sich auf die Tugend von Ge-winnerwartungen, die lediglich einen erfreulichen Lebensstandard ermöglichen sollen, viel mehr aber nicht. Man ist Künstler, man läßt sich von der Industrie nicht in die Musik hineinreden und weiß aus eigenem Instinkt, den Menschen etwas zu bieten. Vor allem erwarten diese, daß ihre Markentreue vom Klangerzeuger mit einer gewissen Konstanz der Markeneigenschaften honoriert wird. Veränderungen müssen Verbraucherwünsche reflektieren, berechenbar sein und in der Öffentlichkeitsarbeit begleitet werden. Type O Negative leistet hier mit "World Coming Down" (Roadrunner) Vorbildliches.

Aus dem Erfolg von "October Rust" wurde die richtige Schlußfolgerung gezogen, mit einer CD anzuknüpfen, deren Atmosphäre nicht aus der Art schlägt. Andererseits sind unterdessen drei Jahre vergangen: Das Publikum ist älter geworden, und vor allem erwartet es von der Band, daß wenigstens sie sich in der Zwischenzeit weiterentwickelt, daß sie gegrübelt und gelitten hat, um den nun gültigen Ton zu treffen. "World Coming Down" bietet gegenüber der Vorgänger-Veröffentlichung tatsächlich das gewünschte Quentchen Überraschung. Es ging also doch noch getragener, ohne daß die weiterhin grundsätzlich brachiale Stimmung gleich zur Karikatur implodierte. Das Umkippen in den Soundtrack für den Jesse-Ventura-Wahlkampf des Jahres 2004 ist aber schon bedrohlich nahe.

Type O Negative hat sich sicherlich schon vor drei Jahren unverwechselbar gemacht. Heute kann man sich nur noch selbst paraphrasieren und die nicht mehr sehr aufregende Spannung zwischen dem mürrischen und düsteren Auftritt und der als geheime Seite der Band überall nachzulesenden, sehr profanen und sehr umgänglichen Alltagswirklichkeit pflegen. Dabei empfindet man offenkundig sehr deutlich den Schönheitsfehler, dies alles tun zu müssen, ohne eine Legende geworden zu sein. Die Erklärungsnot macht aber pragmatisch: So ist halt das Leben, es ist nicht nur voller Schatten, sondern vor allem unabänderlich, und jeder ist gut beraten, wenn er seine physiologischen Möglichkeiten ernst nimmt und nutzt. Die Ironie wendet das Leiden am Leben in augenzwinkernde Hilfestellung für dasselbe. Type O Negative hat vielleicht tatsächlich beschlossen, mit seinen Hörern alt zu werden.

Die Sneaker Pimps hingegen lassen sich, darauf haben sich die Analysten geeinigt, nur als ein Relaunch ansprechen. Die Sängerin Kelli ist nämlich gegangen, aus dem Projekt sei eine richtige Band geworden, und damit wäre auch schon fast nichts mehr so, wie es einmal war. Immer noch sei es aber so, daß man sich irgendwo in dem Kosmos zwischen Radiohead, Portishead und Tricky bewege und damit schwer zu fassen sei. Ohne daß dies auch nur ein Mindestmaß an Erkenntnisgewinn brächte, müßte man vielleicht die Aufzählung noch um Kula Shaker ergänzen.

"Splinter" (Virgin) ist allerdings nicht bloß eine Kost für die Ratefreunde im Melodienerkennungsquiz und damit ein Anlaß, mit den Beständen der eigenen Sammlung und dem Facettenreichtum des eigenen Geschmacks zu renommieren. Die Sneaker Pimps bedienen einen Markt, auf dem mächtigere Probleme aufgearbeitet werden: Der Wunsch nach gefälliger Musik soll durch das Hörangebot nicht diskreditiert werden. "Splinter" lohnt diesen Selbstversuch.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen