© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/99 15. Oktober 1999


Europa: Steuerzahlerbund und Tierschützer protestieren gegen Subventionen für Tiertransporte
"Grenzenlose Tierquälerei"
Gerhard Quast

Bei Eiseskälte, Wind, Regen und Hitze, in der Vorweihnachtszeit genauso wie an verkaufsoffenen Samstagen standen europäische Tierschützer mit ihren Listen auf Straßen und Plätzen und sammelten Unterschriften für eine Protestnote gegen "die grausamen Tiertransporte" durch Europa, in den Nahen und in den Fernen Osten.

Insgesamt 1,2 Millionen Europäer unterstützten dieses Anliegen. In Form einer Urkunde wurden diese Unterschriften im Juli letzten Jahres an EU-Landwirtschaftskommissar Franz Fischler übergeben. Doch sichtbar verändert hat sich seither nichts. Immer noch überschreiten tagtäglich Transporter mit lebenden Rindern, Schweinen oder Schafen die Außengrenzen der EU, Tag für Tag werden Schlacht- und Zuchtrinder in Drittländer verbracht und mit Subventionen aus dem EU-Haushalt belohnt. Trotz einer Entschließung des Europaparlaments gegen diese Finanzspritzen und obwohl diese den Regeln des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) widersprechen, wurden die Exportsubventionen im Oktober 1998 sogar um acht Prozent erhöht.

Aus Protest gegen die "unverändert grausamen Tiertransporte" haben Tierschützer diese 1,2 Millionen Unterschriften nun in einem symbolischen Akt "zu Grabe getragen": In Brüssel, am Sitz der Generaldirektion für Landwirtschaft der EU-Kommission, und vor dem Reichstag in Berlin wurden die ausgefüllten und unterschriebenen Listen anläßlich des Welttierschutztages in zwei Etappen öffentlich vernichtet. Die gemeinsam vom Bundesverband der Tierversuchsgegner und dem Bund der Steuerzahler in Europa durchgeführten Aktionen sollten der Ohnmacht vieler EU-Bürger Ausdruck verleihen, daß bis zum heutigen Tag mit Steuergeldern die qualvollen Ferntransporte in außereuropäische Länder unvermindert fortgesetzt und gefördert werden.

Die Zeitbegrenzungen gelten nur für Deutschland

Wir erinnern uns: Vor fast fünf Jahren wurde mit der EU-Richtlinie "über den Schutz von Tieren beim Transport" ein gesetzlicher Rahmen geschaffen, der den brutalen Lkw- und Schiffstransporten ein Ende bereiten sollte. Darin wurden unter anderem die zulässigen Transportzeiten, die Anforderungen an die Fahrzeuge, die maximale Ladedichte, die Versorgungs- und Ruheintervalle, das Mitführen bestimmter Dokumente und sogar die Kontrolle von Tiertransporten geregelt. Im März 1997 wurde diese Richtlinie durch die deutsche Tiertransport-Verordnung in nationales Recht umgesetzt. Die damalige Regierung verkündete dazu, damit seien Tiertransporte auf acht Stunden begrenzt. Doch weit gefehlt: Verschwiegen wurde, daß diese Begrenzung nur innerhalb der Grenzen Deutschlands gilt und Kontrollen zur Einhaltung praktisch nicht erfolgen. Auch die geforderten Versorgungsstationen existieren kaum. Trotz europaweiter Initiativen zur Verschärfung der gesetzlichen Regeln für Lebendtransporte hat sich am Elend der Tiere somit wenig verändert: Nach einem trostlosen Dasein in der landwirtschaftlichen Intensivhaltung müssen die Tiere auch noch einen leidvollen Transport zu fernen Schlachthöfen durchstehen. Bei kombinierten Land-See-Transporten, beispielsweise mit einer Fähre nach Marokko, bleiben die Rinder nahezu 100 Stunden in den engen und schlecht belüfteten zweistöckigen Lkw eingepfercht, ohne auch nur einmal abgeladen zu werden. Daß diese Transporte "mit den Grundsätzen eines modernen Tierschutzes unvereinbar" sind, mußte selbst die EU-Kommission zugestehen.

Allein im vergangenen Jahr wurden aus Deutschland 75.488 "Schlachttiere" in Drittländer exportiert, davon 72.146 in den Libanon, zudem 51.552 "Zuchtrinder", die zum großen Teil in die Maghrebstaaten Algerien (12.983), Marokko (8.895) und Tunesien (6.325) geliefert wurden. Insgesamt wurden damit nach Erkenntnissen der Tierschützer 44 Millionen "Kilo lebende Rinder", so der offizielle Sprachgebrauch, in Länder außerhalb der Europäischen Union exportiert. Insgesamt wurden 1998 exakt 266.219 Rinder lebend in Drittländer exportiert, neben Deutschland vor allem aus Frankreich, der Niederlanden, Österreich und Irland.

Der Tierschutz endet meist hinter den Grenzen

Über die Höhe der Exporterstattungen gibt es nur für Deutschland verläßliche Zahlen. Demnach wurden für die in Drittländer exportierten 127.040 deutschen Rinder knapp 58 Millionen Mark gezahlt. Die derzeitige Exporterstattung beträgt bei Schlachttieren für den Nahen und Mittleren Osten, Afrika und die GUS-Staaten 118 Mark pro 100 Kilogramm Lebendgewicht, für Zuchtrinder 123 Mark pro Kilogramm Lebendgewicht, so das Hauptzollamtes Hamburg Jonas gegenüber dem Bundesverband der Tierversuchsgegner. Im Vergleich zu Gefrierfleisch wird demnach der Export von Lebendtieren (und von Kühlfleisch) höher subventioniert. Über die Exporterstattungen für alle aus der Gemeinschaft ausgeführten Rinder gibt es zwar keine verläßlichen Zahlen. Entsprechend der Anzahl der ausgeführten Tiere muß von schätzungsweise 200 Millionen Mark Subventionen ausgegangen werden.

Nach Ansicht der Tierschützer greifen die bestehenden gesetzlichen Vorgaben nicht genügend, weil die Richtlinie zu viele Schlupflöcher bietet und zudem die Tiere hinter den europäischen Grenzen meist "ein tierschutzrechtliches Niemandsland" erwartet, so Hannelore Jaresch, stellvertretende Vorsitzende der Tierversuchsgegner. "Die EU-Bestimmungen oder gar das deutsche Tierschutzgesetz gelten hier auch nicht für die Tiere, die aus Deutschland exportiert werden." Erschwerend kommt hinzu, daß in Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens "religiöse Traditionen wie das betäubungslose Schächten und ein kaum vorhandenes Unrechtsbewußtsein im Umgang mit Tieren" oft zu erheblichen Leiden führen. Deshalb könne nur durch eine Streichung der Subventionen für den Export lebender Schlachttiere – die der Bund der Steuerzahler als "Steuerverschwendung für Tierquälerei" tituliert – sowie durch eine noch weitreichendere zeitliche Begrenzung des Transports von lebenden Tieren – möglicherweise auf vier Stunden – spürbare Verbesserungen erreicht werden. Zudem müßte bei Tiertransporten dafür gesorgt werden, daß die gesetzlichen Vorschriften auch eingehalten und Zuwiderhandlungen auch verfolgt würden. Im Moment finden Sanktionierungen der EU-subventionierten Tierquälerei kaum statt. Es wird belehrt, mündlich verwarnt, bestenfalls ein geringes Bußgeld verhängt.


 
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