© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/99 15. Oktober 1999


PDS: Der wundersame Aufstieg der SED-Nachfolgepartei zehn Jahre nach dem Fall der Mauer
Die knallroten Kinder der Bankrotteure
Siegmar Faust

Die PDS eine Geschwulst? Nein, jeder geschwollene Vergleich, der zu literarisch wird, verharmlost das Problem nur. Alles ist so, wie es ist, nur schlimmer, denn die PDS wächst und gedeiht in einem Klima, das hauptsächlich von dem deutschen Sonderbewußtsein der 68er Generation im Westen geprägt wurde.

Das feige Bürgertum, selber durch die vorangegangene Geschichte des "Tausendjährigen Reiches" blamiert und belastet, konnte schlecht ein Geschichtsbewußtsein ihren Kindern vermitteln, das diese sich dann aus den "Geschichtsgesetzen" des Marxismus zusammen klaubten. So zerbrach der antitotalitäre Konsens, der sich sowohl unter der Umerziehungsstrategie der Besatzungsmächte als auch unter dem "deutschen Wirtschaftswunder" herausgebildet hatte. Vor allem das Geschichtsbild, das "fortschrittliche" Pädagogen vermittelten, brachte die schon oft beklagte "geschichtslose Generation" hervor.

Sogar in den Kreisen, die sich für rechts halten, tritt dies zu Tage, wenn der Publizist Harald Neubauer im Interview der JUNGEN FREIHEIT vom 17. September 1999 sagt: "Die deutsche Rechte sollte sich generell nicht an Fragen vergangener Positionen aufrichten. Wir werden weder aus der Tradition des Nationalsozialismus noch aus der Tradition des Widerstandes unsere heutigen Probleme lösen können. Geschichte eignet sich nicht, heutige Probleme zu lösen und Wahlen zu gewinnen."

Daß man in der DDR im Geschichtsunterricht weniger mit den historischen Tatsachen als vielmehr mit dem ideologischen Wunsch- und Rechtfertigungsgedanken der terroristisch Herrschenden vollgepfropft wurde, versteht sich von selber. Erst als ich mich nach meiner Entlassung aus dem Zuchthaus und dem Volksgefängnis "DDR" mit Zeitzeugen furchtlos streiten, in der Welt herum reisen und fast ohne Zensur alle möglichen oder unmöglichen Bücher und Medien benutzen durfte, begriff ich, daß es nicht die Geschichte gibt, sondern eine unübersehbare Fülle von allen möglichen Geschichten, über interpretierbare Philosophiegeschichten bis hin zu Geschichten über Geschichten.

Eigene, neue Freiheit und "soziale Gerechtigkeit"

So lernte ich bald meine eigene Freiheit ohne Notwendigkeit, man kann auch sagen Zufälligkeit, zu ertragen und erlangte Verständnis für die pluralistische, marktwirtschaftliche Vielfalt einer demokratischen Gesellschaft, wo ein Konkurrent oder Gegner kein Feind und die Spontaneität kein Schimpfwort ist. Freilich bekommt das alles nur seinen würdigen Sinn, wenn diese nie durchschaubare "Ordnung" von einem stabilen Rechtsstaat samt seinem Gewaltmonopol umfaßt, also zusammengehalten wird.

Friedrich Schillers Erkennntnis "Nur die Fülle führt zur Klarheit / Und im Abgrund wohnt die Wahrheit", führte mich weder in die Hölle noch in die schwindelerregende Höhe derer, die sich anmaßen, die Welt, die es angeblich nötig hat, verändern zu wollen, natürlich nach ihren dümmlich egoistischen Vorstellungen, wo angeblich alles gerecht zugeht.

Und da sind wir schon wieder bei der PDS und ihrem populistischen Schlagwort von der "sozialen Gerechtigkeit" gelandet, das ja nicht neu ist, denn hier fehlt ein weder oder noch: Linksparteien, Linke aller Parteien setzen es genauso demagogisch ein, wenn es darum geht, Wahlen um jeden Preis zu gewinen. Ohne Rück-Sicht in und auf die Geschichte würde man es gar nicht merken, wie alle Parteien von Jahr zu Jahr weiter nach links gerückt sind.

Ein Mann wie der ehemalige SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher würde heute sogar vom Verfassungsschutz als potentieller Rechtsextremist beobachtet, wie mir der vor kurzem ausgeschiedene Verfassungsschutzpräsident Sachsens zugab. Ergo? Jede der staatstragenden Parteien, sogar die CSU, hat sich schon zu DDR-Zeiten mit der SED in peinliches Benehmen gesetzt. Warum sollten sie sich heute nicht mit der Nachfolgepartei, die tonnenweise Kreide verschlungen hat, die Regierungsverantwortung teilen?

Es wird wohl keinen Menschen geben, der den Republikanern (als Partei) irgendwelche Verbrechen nachsagen könnte, doch sie werden wie Kriminelle verachtet, nicht vom Volke allgemein, sondern von der Mehrheit der Medien und ihren hörigen Politikhanswürsten. Die SED-PDS hingegen darf man zwar gerichtsnotorisch sogar als Verbrecherpartei bezeichnen, aber im Bild der Medien wird sie als eine ganz normale Linkspartei dargestellt. So als hätte sie nicht das Milliardenerbe der SED übernommen, das geraubte Volksvermögen des bankrotten Staates "DDR", hinter dem sich nebem räuberischen Enteignungswellen üble Ausbeutung von "Helden der Arbeit" und "Planerfüllern" in den sogenannten volkseigenen Betrieben verbirgt.

Das furchtbare Sozialismus-Experiment an lebenden Menschen hinterließ nicht nur eine zerstörte Natur mit vergifteten Flüssen und Böden, eine verwahrloste Infrastruktur, schrottreife Fabriken, stinkende, häßliche Autos, triste Wohnblöcke zur "Arbeiterintensivhaltung", armselige Kaufhallen und Krankenhäuser, verfallene Altstädte, die zwar den Krieg überlebten, jedoch kaum den Sozialismus. Dafür gab es um so mehr Militäranlagen und Waffen, politische Gefangene, hunderttausende Stasi- und SED-Mitarbeiter, die allein neben 180 km Stasi-Akten ein ideologisch verbildetes und psychisch krankes Volk hinterließen. Und das alles nach Deutschlands größter Katastrophe, die von den Nationalsozialisten ausgelöste wurde.

Typisch für den Realitätsverlust unserer modernen Gesellschaft ist, daß nach über fünfzig Jahren die hohlsten "antifaschistischen" Rituale zur Bewahrungskultur aufgeblasen werden, gewissermaßen als "Organ ihrer geistigen Kompensation" (Joachim Ritter). Sogar das Versagen, nichts oder zu wenig gegen die zweite Diktatur getan zu haben, wird kompensiert durch wildes Herumfuchteln der Faschismuskeule sowie gepflegten Antifaschismus gegen tote Diktatoren. Das Betroffenheitsfinale erschöpft sich dann in irrwitziger Kapitalismuskritik, was das moralische und intellektuelle Defizit nur noch deutlicher werden läßt.

Obwohl ich keinen so großen Kopf wie Peter Sloterdijk habe, erkannte ich, der ich ja ebenfalls aus der linken Ecke komme, schon einige Jahre füher die "Gefährdungsfaktoren" der Demokratie durch die jakobinischen Mentalitätsmachthaber. Die sogenannte "Kritische Theorie" war für mich also schon lange vor dem 2. September 1999 gestorben. Die Gesetze der Ungleichzeitigkeit werden uns immer in Spannungen zueinander bringen, vor allem diejenigen, die nicht als Soldaten des Zeitgeistes im Gleichschritt marschieren wollen.

Heute ist die linke Mitte quasi sozialistisch

Doch diese Zeitgeistsöldner haben nun ihre verdiente Unterstützung aus der geschlagenen Polit-Armee der kommunistischen Einheitspartei erhalten. Neben der unter Ex-Bundeskanzler Kohl abgedrifteten CDU ins christsozialistische Lager haben wir nicht nur die weit vom Godesberger Programm abgekommenen 68er-Sozis im Bundestag sitzen, nein, auch noch die Linksliberalen und die antiliberalen Grün-Sozialisten. Für eine wirklich bürgerliche, also nichtlinke Partei, klassisch liberal und marktwirtschaftlich orientiert, die sich vor allem für die Freiheit von Staatsbürokratie und jeglicher Art von Sozialismus einsetzt, gibt es in dieser gesamtdeutschen "Volkskammer" keinen Platz, dafür aber für die knallroten Töchter und Söhne der Bankrotteure der westlichen Sowjetunion.

Die geistigen Vorturner dieser SED-Erbschleicherpartei sind durchaus gebildet und noch besser ausgebildet. Sie schulen sich nicht mehr an dem Schwachsinn, der "DDR"-Schülern eingebläut wurde, sondern nutzen auf Kosten der nichts zu sagen habenden Steuerzahler voll das Bildungsangebot unserer angeblich bürgerlichen Hochschulen. Dort nämlich kann man sich wie die Walter-Ulbricht-Verehrerin Sarah Wagenknecht bestens für den neuen, den echten, den wirklichen, den menschlichen Antlitz aufrüsten.

Sofern uns die Geschichte noch einige Zeit zum weiteren Verrotten läßt, wird sich die extremste, also wirklichkeitsfernste, aber machtgierigste und deshalb sozialdemagogischste Partei des Demokratischen Sozialismus zur heimlichen Meinungsführerschaft auswachsen. Nachdem es ihr gelungen ist, ihren ideologischen Hauptkonkurrenten, die SPD, immer mehr in die Tasche zu stecken, fehlt ihr nun "zum Regieren der Partner", wie der Geschäftsführer der PDS-Bundestagsfraktion süffisant von sich gab.

Logisch, daß die Führungskräfte dieser obskuren Partei, deren Mitglieder erschreckend älter, aber ihre Wähler immer jünger werden, jetzt begierig auf die CDU blicken und in ihr plötzlich "sozialdemokratische Traditionen" entdecken. Und als gewiefter Stasi-Dialektiker findet Gregor Gysi auch den Erklärungsdreh: "Wenn SED und CDU tragende Kräfte im Kalten Krieg waren, dann müssen PDS und CDU jetzt die treibenden Kräfte bei seiner Überwindung und der Vereinigung sein."

Irgendwann, so frage ich wunschdenkend, müßten sich doch die Wähler fragen, warum brauchen wir drei oder vier linke Parteien im Parlament? Das könnte die entscheidende Stunde Deutschlands werden, die dann einen "tanzenden Stern" (Friedrich Nietzsche) gebiert in Form einer wirklich bürgerlichen Partei. Oder noch mehr Wähler unterlassen den sinnlosen Gang zur Wahlurne, und der gegen das deutsche Volk regierende Rest darf sich ungestraft zur Sozialistischen Einheitspartei zusammenschließen.

All das, was hier tatsächlich in diese Richtung unterwegs ist, läßt sich weder mit Vernunft noch mit der jüngsten Hinwendung zur CDU aufhalten. Denjenigen jungen Menschen, die wirklich Zukunft erstreiten und gestalten wollen, kann ich nur zurufen: Beschäftigt euch mit der Herkunft unserer Entwicklung, bastelt keine Bomben, sondern setzt euch mit den vergessenen, verdrängten Geschichten eurer Altvordern auseinander, denn dort liegt der Sprengstoff, mit dem das verfilzte und ranzige pseudopluralistische Parteienkartell eventuell zu knacken ist. Pfeift auf die Westernhelden der amerikanischen Dauerberieselung genauso wie auf die deutschen Krimiserien mit den stets verbrecherischen Unternehmern und den Gutmenschen aus dem Ausländer- oder Proletariermilieu, pfeift auf die verordneten Antifaschisten, die für Stalins nicht weniger möderischere Diktatur ihr Leben einsetzten.

Es gibt noch einige unter uns Lebenden, deren Erfahrungswissen wir uns aneignen sollten; Menschen, die in Deutschlands erster Demokratie im "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" oder als unabhängige junge Widerständige sowohl gegen die Nationalsozialisten als auch gegen die anderen Feinde der Demokratie, gegen die Komunisten kämpften.

Der antitotalitäre Konsens muß erneuert werden

Es gab sie und gibt sie noch vereinzelt, die durch ihre Lebensführung und geistige Klarheit uns den leider verlorengegangenen antototalitären Konsens verdeutlichen könnten. Ich bin froh, solchen geschichtsbewußten und couragierten Menschen begegnet zu sein, die fast alle der SPD nahe standen, wie Prinz Hubertus zu Löwenstein und seiner Frau, Volkmar Zühlsdorff, Robert Becker, Hans Bonkas, Hermann Kreutzer und Holm Schöne oder vielen Jüngeren, die später wie Ulrich Schacht oder Jürgen Fuchs unter Opfern gegen die zweite Diktatur in Deutschland die Fahne der Menschenwürde hoch hielten.

Die PDS, um auf den Anfangssatz zurückzukommen, ist also, verglichen mit dem Verschuldungsdesaster des Staates, dem ideologischen Irrsinn unserer sogenannten Geisteswissenschaften und Medien, der geknebelten Marktwirtschaft durch Gewerkschafts- und Parteiensyndikate, den salzlos gewordenen Religionen, der Geschichtsvergessenheit und Verdrängungswut seiner Bewohner und dergleichen mehr, nur ein weiteres bösartiges Geschwür auf dem krebskranken Körper unserer Gesellschaft.

Wer Alexander Solschenizyns Buch "Die Krebsstation" kennt, wird dennoch nicht aufgeben, denn die Geschichte ist wie die Marktwirtschaft und der Körper des Menschen, ganz abgesehen von dem niemals zu fesselnden Geist, ein Wunder.

 

Siegmar Faust, 55, Schriftsteller, wurde in der DDR zweimal wegen "staatsfeindlicher Hetze" zu Gefängnisstrafen verurteilt und 1973 von der Bundesregierung freigekauft. Von 1996 bis zum Frühjahr 1999 war er Sächsischer Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen. Zuletzt veröffentlichte er in der JF 40/99 einen Aufsatz zum Umgang mit der SED.


 
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