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Nach den Landtagswahlen: CDU und PDS profitieren von dem Unwillen zu Veränderungen
Die deutsche Krankheit
Michael Wiesberg

Sieben Landtagswahlen und die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen haben vor allem eines gezeigt: die Deutschen wollen keine Experimente. Von dieser Grundhaltung haben vor allem zwei Parteien profitiert: die CDU und die PDS. Die PDS schafft es mit der Suggestion von "sozialer Wärme", die Erniedrigten und Beleidigten der Republik unter ihrem Banner zu sammeln. Weiter profitiert die PDS davon, daß sich die DDR im Rückblick mehr und mehr zum Hort "sozialer Gerechtigkeit" verklärt.

Vom Weichzeichner im Blick der Wähler profitiert auch die Union. Vergessen zu sein scheint, daß es die Unionsparteien sind, die für die gravierenden Fehlentwicklungen der Staatsfinanzen, der sozialen Sicherungssysteme, des Arbeitsmarktes und der Ausländerpolitik verantwortlich sind. Dessen ungeachtet eilen die Christdemokraten von Erfolg zu Erfolg. Erfolge, die diese Partei nicht verdient hat und die darauf hindeuten, daß der Wähler Alternativen scheut.

Die SPD ist bezeichnenderweise bei ihrem bescheidenen Versuch, die über Jahrzehnte genährten Anspruchshaltungen zurückschneiden zu wollen, bisher beim Wähler gescheitert. Oskar Lafontaine schmiß das Handtuch und zerlegt in aller Öffentlichkeit die Schröder-Regierung in ihre Einzelteile. In deren Wahrnehmung sind die Sozialdemokraten von einer Partei der "sozialen Gerechtigkeit" zu einer Partei der "sozialen Kälte" mutiert. Das scheint aber so ziemlich das Letzte zu sein, das der deutsche Wähler goutiert.

Alle Parteien, die in den zurückliegenden Landtagswahlen den Deutschen Opfer (Stichwort: Sparen) abverlangen wollten, sei es nun die SPD, die FDP oder die Republikaner, haben die rote Karte vor die Nase gehalten bekommen. Dieses Faktum muß zu denken geben. Die Vollkasko-Mentalität, die bei den Deutschen nach Jahrzehnten sozialstaatlicher Beglückung eingerissen ist, hat ganz offensichtlich zu einer Art Willensschwäche geführt, die für die weitere Entwicklung der Republik verhängnisvoll zu werden droht. Man muß es so deutlich sagen: Proportional zum Zurückdrängen von materieller Armut hat der Sozialstaat bei vielen Deutschen offensichtlich zu einen Mangel an Energie und Veränderungsbereitschaft geführt, der sich gerade in Zeiten erhöhten Problemdruckes als besonders resistent gegenüber Neuerungen erweist. Es ist diese Mentalität, von der heute sowohl die CDU als auch die PDS profitieren.

So sind für die zentralen Probleme weiter keine durchgreifenden Lösungen in Sicht. Weder im Hinblick auf die Beschäftigungsschwäche noch auf die Sanierung der sozialen Sicherungssysteme, noch im Hinblick auf die Staatsverschuldung oder die ungeregelte Massenzuwanderung sind wirkliche Reformen zu erwarten. In dem Maße aber, wie durchgreifende Maßnahmen auf sich warten lassen, schwindet die Fähigkeit der Politik, auf die Herausforderungen der deutschen Gesellschaft zu reagieren.

Bundeskanzler Schröder hatte zu Beginn seiner Amtszeit die Chance, den Deutschen mit einer Blut, Schweiß und Tränen-Rede klaren Wein einzuschenken. Er hat diese Chance nicht nur vertan, sondern auch noch Erwartungen geweckt, die er nicht einhalten konnte. Schröder zeichnet sich vor allem durch leere Rhetorik aus, die alle Klippen umschifft. Wie will dieser Kanzler, der Wasser predigt und Wein trinkt, von den Deutschen noch Opfer verlangen? Schröders Selbstdarstellung spricht eine ganz andere Sprache. Ein Ärmelhochkrempeln unter den Deutschen wird dieser Kanzler niemals auslösen.

So schlittert Deutschland mehr und mehr auf eine Systemkrise zu, die ihren derzeit augenfälligsten Ausdruck in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme angesichts einer immer älter werdenden Bevölkerung findet. An der Krise der sozialen Sicherungssysteme zeigt sich die Wahrheit einer Einsicht des Ökonomen Wilhelm Röpke, der mit Blick auf den Wohlfahrtsstaat einmal feststellte, daß innerhalb von diesem "eine Umkehr genauso schwer ist wie das Wenden eines Wagens auf einer schmalen Alpenstraße".

Daß es zu einer Umkehr in Deutschland kommen könnte, ist auch angesichts der Kurzatmigkeit, die die heutige Mediendemokratie prägt, nicht zu erwarten. An die Stelle langfristiger Politik und konsistenter wirtschafts- und sozialpolitischer Konzepte ist hektischer Aktionismus getreten. Dies alles bildet den Kern der "deutschen Krankheit", für die weit und breit kein Therapeut in Sicht ist.


 
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