© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/99 08. Oktober 1999


Pankraz,
Mephisto Jörg Haider und das Prinzip Überdruß

Den Österreichern gehe es doch gut, wie konnten sie nur so "undankbar" sein und der so "erfolgreichen" rot-schwarzen Endlos-Koalition einen solchen Nasenstüber versetzen! So also die Klage der Wiener Großkoalitionäre, die die Welt nicht mehr verstehen. Einer von ihnen sah sogar teuflische Kräfte am Werk, zitierte in der Wahlnacht Goethes Mephisto: "Ich bin des trocknen Tons nun satt; / Muß wieder recht den Teufel spielen…"

Aber braucht es wirklich des Teufels, um des trockenen Tons satt zu werden? Wir haben in Deutschland ja unsere Erfahrungen. Sechzehn Jahre lang immer dieselben Masken im Fernsehen und in der Zeitung, immer dieselben Rüssel in den Futtertrögen, immer dieselben Gesten und Phrasen – das schlauchte, das ermattete, das verminderte die Lebensqualität. Zumindest in der Politik, so kam heraus, bedarf es irgendwann einmal der Abwechslung, selbst auf die Gefahr hin, daß die Neuen die Sache auch nicht besser machen. Speziell in der Demokratie ist ein "Prinzip Überdruß" wirksam, gegen das am Ende kein Argument mehr ankommt.

Mit Undankbarkeit hat dergleichen am allerwenigsten zu tun. Der Wähler weiß sehr wohl zu unterscheiden zwischen wirklichen politischen Taten und bloßer Anwesenheit bei positiver Entwicklung. Er sieht, daß die meisten Politiker die meiste Zeit nur anwesend sind, daß sie "nichts dafür können", daß sie den Gang der Dinge allenfalls illuminieren, oft aber behindern und verzögern. Wahrscheinlich gilt (wenigstens in relativ ruhigen Politphasen) folgende Grundregel: "Alles Gute kommt von allein, alles Schlechte kommt von den Politikern."

Wenn man sich ein und die selben Politiker trotzdem immer eine Weile gefallen läßt, so deshalb, weil es ganz ohne sie eben auch nicht geht, weil ein Gemeinwesen nun einmal ein Gesicht haben muß, eine Repräsentanz, einen offiziellen Betrieb. In der Monarchie sind Betrieb und Gesicht von den Launen der Massen weitgehend abgekoppelt, leben aus sich selbst und aus ihrem Gottesgnadentum. In der Demokratie will sich das Volk unmittelbar abgebildet sehen, und da es den Wechsel liebt, nicht nur Brot haben will, sondern auch "Spiele", müssen die Politiker früher oder später wechseln. Es sind Schachfiguren, die nicht selber spielen, sondern gespielt werden.

Politiker und Koalitionen, die nicht weichen wollen, obwohl die Zeiten längst auf Wechsel stehen, gleichen jenen Damen, Bischöfen und Türmen im Schachmuseum, die man von unten auf bestimmten Spielfeldern festgeschraubt hat, um entscheidende Konstellationen berühmter Partien zu verewigen. Sie demonstrieren nur noch etwas, sind aber nicht mehr einsatzfähig, gehören eindeutig in historische Vitrinen.

Und weil die aktuelle Politik kein Museum ist, sondern auch bei größter Sterilität immer noch ins Volk hineinwirkt, immer Folgen hat, haben auch die klebenden, gleichsam festgeschraubten Koalitionen Folgen, und zwar negative. Sie erzeugen den oben genannten Überdruß, ein schlimmes Produkt, das noch den schönsten Wirtschaftsboom in Säuernis verwandelt. Überdruß schlägt aufs Gemüt, verdirbt die Laune, macht Witzbolde verstummen.

Eine Sache, derer man überdrüssig ist, die man loswerden will und doch nicht los wird, ist der wohl größte Pointenkiller, den man sich vorstellen kann. Alle Scherze und sonstigen heilsamen Überlegungen sind dann verbraucht, es gibt – wie im Wien der Vorwahlzeit – nur noch die trostlosesten Ankündigungen, etwa die, daß Herr Manesse bei einem Wahlsieg Haiders auswandern will oder Frau Pluhar bei einem Wahlsieg Klimas als Kultusministerin zur Verfügung steht. Was da einzig noch zum Ausdruck kam, war Galgenhumor, mit dem kein Publikum zu unterhalten ist.

Angesichts solcher Schrecken dürfte es in Wien eigentlich nur noch eine Devise geben: "Haider for president! Haider soll Bundeskanzler werden!" Die Positionen und das Erscheinungsbild des Mannes (das ihm nicht zuletzt die gegnerische Presse verpaßt hat) sind doch geradezu ideal! Auch der schlimmste Gott-sei-bei-uns-Rufer kann nicht glaubhaft machen, daß mit Haider "alles aus" sei, daß nun der blanke Terror ausbreche; andererseits garantiert er doch einen gründlichen Wechsel, nicht bloß ein Stühlerücken. Er ist eine echte "black box", bis zum Rand mit Diskussionshaltigkeit gefüllt. Unter ihm würde die Politik schlagartig wieder interessant, nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland und Europa.

Auch in Deutschland und in anderen europäischen Ländern akkumuliert sich unendlicher politischer Überdruß. Nicht nur Gesichter und Standard-Kungeleien sind schier unerträglich geworden, sondern im Grunde schon das ganze politische Panorama, das den Wählern Tag für Tag vor Augen geführt wird, die fruchtlose Alternative "Hie Neoliberalismus, da Staatssozialismus", die penetrante Erhebung des demokratischen Regierungssystems zur "Zivilreligion" (Rüdiger Safranski), die abgebrauchten Horrifizierungs-Rituale der PC-Ideologen, das Gespenster-Ballett der Brüsseler EU-Kommissare.

Wie lästert Mephisto? "Ich bin des trocknen Tons nun satt; / Muß wieder recht den Teufel spielen ..." Genau genommen dürfte nicht Mephisto, sondern sollte Faust das sagen. Mag sein, Politik ist über weite Strecken tatsächlich ein trockenes Geschäft, doch soll man die Trockenheit nicht übertreiben, soll die Materie nicht in strohtrockenen Steppen-Zunder verwandeln, aus dem bei kleinster Gelegenheit die Flammen schlagen können. Wer hier dagegenhält, spielt nicht Teufel, sondern St. Florian.

Schließlich kommt "Politik" von "Polis", "Stadt", und schon der Prophet Jeremia hat gemahnt: "Suchet der Stadt Bestes, denn wenn’s ihr wohl geht, so geht’s euch auch wohl." Zum Wohlergehen gehört mit Sicherheit, daß man’s niemals allzu trocken angehen läßt und sich dem Überdruß fernhält.


 
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