© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/99 08. Oktober 1999


Südafrika: Die deutschen Freiwilligenverbände vor 100 Jahren im Zweiten Burenkrieg
Himmelschreiende Schlächterei
Claus Nordbruch

Der Zweite Burenkrieg brach am 11. Oktober 1899 aus. Die Buren des Oranje-Freistaats und der Südafrikanischen Republik (ZAR) standen dem übermächtigen Weltreich Großbritannien keineswegs allein gegenüber. Insgesamt traten etwa 3.000 Freiwillige aus Europa (und einige aus Amerika) als Waffenbrüder an die Seite der Buren. Unter ihnen fanden sich Abenteurer und Landsknechtnaturen, Bauern und Soldaten, Minenarbeiter und Goldgräber, Lehrer und Ärzte, deutsche und österreichische Adlige, französische Berufssoldaten, russische Politiker, irische Revolutionäre, niederländische Staatsanwälte und skandinavische Berserker.

Dem rund 38.000 Mann starken Burenheer schlossen sich bei Kriegsausbruch unverzüglich viele in den Republiken lebende Ausländer an. Diese Freiwilligen trugen nicht die Staatsbürgerschaft der Burenrepubliken und unterlagen somit nicht der Wehrpflicht. Sie mußten sich also den Burenkommandos nicht anschließen. Im Laufe des Krieges sollten Hunderte von Europäern, allen voran Deutsche, Niederländer und Iren, in die Burenrepubliken kommen, um an der Seite der Buren gegen Großbritannien zu kämpfen. Böse Zungen behaupten, daß es sich bei diesen Freikorps um nichts anderes als um Söldnerheere gehandelt habe. Diese Unterstellung ist geschichtlich unhaltbar, denn keiner der Angehörigen der europäischen Verbände wurde für seinen Dienst besoldet. Vielmehr finanzierten die Freiwilligen ihre Reise und ihren Unterhalt entweder aus eigener Tasche oder wurden von den proburischen Bewegungen Europas unterstützt. Im Unterschied zu den Freiwilligenverbänden im Zweiten Weltkrieg, beispielsweise den norwegischen, französischen, niederländischen oder dänischen Bataillonen der Waffen-SS, gab es im Burenkrieg keine eigenständigen, ethnisch homogenen französischen, niederländischen oder russischen Einheiten. Vielmehr dienten in den einzelnen europäischen Freiwilligenverbänden neben einer Vielzahl Europäer auch Buren. Ebenso dienten verschiedene europäische Freiwillige in reinen Burenkommandos.

Den einzelnen Kampfeinheiten europäischer Freiwilliger müssen noch die Sanitäts- und Lazaretteinheiten (Ambulanzen) hinzugefügt werden; sie trafen zwischen Dezember 1899 und Februar 1900 in den Burenrepubliken ein. Diese Verbände wurden nicht vom Roten Kreuz ausgestattet, sondern ausschließlich von Spenden aus den Heimatländern finanziert und ausgerüstet. Es waren dies die Irisch-Amerikanische Ambulanz, die Belgische, die Russisch-Holländische, zwei niederländische, zwei deutsche (mit starker flämischer Beteiligung) und die Skandinavische Ambulanz. Ende Februar 1900 pflegten nicht weniger als 54 ausländische Ärzte verwundete Buren und ihre europäischen Bundesgenossen.

Die Deutschen waren die ersten Ausländer, die vor Ausbruch des Krieges mit der Bitte an die Regierung der ZAR getreten waren, ein eigenes Korps aufstellen zu dürfen. Die maßgeblichen Initiatoren in der Anfangsphase des Krieges waren hierbei Adolf Schiel und Richard Albrecht. Adolf Schiel, 1858 in Frankfurt/Main geboren, war Chef des Gefängniswesens im Transvaal. Vor Ausbruch des Krieges wurde er zum Oberst befördert und schuf das gut organisierte Deutsche Kommando Johannesburg mit einer Stärke von mindestens 400 Mann. Richard Albrecht, in Berlin geboren, wurde Befehlshaber der Freistaat-Artillerie und baute diese nach deutschem Muster auf. Selbst die Uniformen glichen denen Preußens. Unter Baron A. von Goldeck wurde eine österreichische Aufklärungseinheit ins Leben gerufen. Ebenso schlossen die Schweizer, vor allem die mit deutscher Muttersprache, sich den verschiedenen deutschen Verbänden an.

Die deutschen Soldaten kämpften wie Löwen

Aufgrund persönlicher Differenzen zwischen den deutschen Offizieren untereinander, vor allem zwischen Oberst Schiel und Kommandant Paul Kranz, war es nicht möglich gewesen, einen großen und starken deutschen Großverband – Schiels Traum – zu verwirklichen. Folglich wurden im Laufe der Kriegsauseinandersetzungen immer wieder mehrere kleinere deutsche Einheiten ins Leben gerufen. So zum Beispiel das Deutsche Korps Pretoria unter Leutnant Hans Ulrich von Quitzow mit einer Stärke von etwa 400 Mann. Nach diversen Schlachten in Natal und internen Streitereien übernahm Leutnant Paul Kranz das Kommando. Von Quitzow stellte daraufhin mit 50 neu rekrutierten Deutschen ein eigenes Kommando auf und diente an der Front im Oranje-Freistaat. Wie ein englischer Kriegsberichter zu sagen pflegte: Die deutschen Soldaten kämpften wie Löwen, ihre Anführer benahmen sich wie Schulmädchen. Weitere deutsche Einheiten waren u.a. die unter der Befehlsgewalt von Graf von Albedyll, Georg Badicke, Fritz Runck, Kapitän Fritz Brall – übrigens in seiner noch nicht gar so lang zurückliegenden Jugend ein aktiver Anarchist.

Die für die Deutschen tragischste Schlacht wurde bereits am 21. Oktober 1899 bei Elandslaagte geschlagen. Über die Kriegsgeschehnisse ist folgendes überliefert: Alles ging in Deckung. Nicht weit von den Deutschen entfernt war ein Fluß, und 200 Meter dahinter lagen die Buren, die es schnellstens zu erreichen galt. Oberst Schiel gab Befehl zum Sturmlauf. Alles sprang auf und gab den Pferden die Sporen. Schiel hatte das Gewässer bereits durchquert, als er sah, daß dies mit ihm nur etwa 30 Mann gelungen war. Die anderen kämpften mit ihren Pferden noch in den Fluten. Diese Gelegenheit ließen sich die Engländer nicht entgehen und richteten verstärkt das Gewehrfeuer auf die Schwimmenden. Schiel wußte, daß sein Ziel so nah und doch so fern war. Er gab Befehl, zu dem Fluß zurückzukehren und den sich noch im Wasser befindlichen Kameraden Deckung zu geben. Dies gelang, und die Deutschen zogen sich an einen kleinen Hügel zurück, formierten sich neu und setzten nochmals zu einem Gewaltritt zu den eigenen Linien an.

Den Engländern war dieser Entsetzungsversuch natürlich nicht verborgen geblieben. Sie nahmen die Deutschen unter unaufhörlichen Beschuß. Das Blei wütete fürchterlich unter ihnen. Zudem gaben die Engländer gegen 16.30 Uhr den Befehl zum Sturmangriff. Direkt vor Oberst Schiel fiel Ludwig von Borries mit Kopfschuß. Potgieter wurde von einer Feuersalve regelrecht niedergemäht. Die Engländer setzten zum Gnadenstoß an: Die Infanterie ging zum Bajonettangriff über, die Dragoner preschten mit schwingenden Säbeln hervor, und auch die Ulanen stürmten, ihre fürchterlichen Lanzen zum todbringenden Stoß bereit, mitten in die Linien der Buren und Freiwilligen hinein. Die ersten befiel nun Panik. Kock hatte alle Mühe, seine Männer auf ihren Posten zu halten. Einige Buren – und auch Freiwillige – hielt jedoch nun nichts mehr. Sie flohen Hals über Kopf, während die Mehrheit in Todesverachtung erbittert weiterkämpfte.

Die Schützengräben waren voller gefallener Soldaten

Aber auch in der Schlacht um den Spioenkop vom 17. bis 24. Januar 1900 fiel eine deutsche Einheit als besonders tapfer auf. Den Buren und ihren Verbündeten bot sich ein Bild der Überraschung und des Grauens: Die Engländer hatten sich erneut zurückgezogen, und eine Feuerpause war eingetreten! Aber die Schützengräben waren voll von gefallenen Soldaten. Viele von ihnen durch Granateneinschlag und Schrapnellsplitter entsetzlich verstümmelt. Der Erdboden war mit geronnenem Blut überzogen, auf dem gesamten Gefechtsfeld lagen Leichen, Leichenteile, aufgerissene Munitionskisten, Gewehre, Bajonette, beschmutztes Eßgeschirr und unzählige Patronen und Hülsen, und zwischendurch stöhnten immer wieder die Verwundeten. Die Toten gaben bisweilen ein groteskes Schauspiel. Hier lagen sich zwei Kameraden in den Armen – verkrampft in der Leichenstarre; dort lag ein Soldat zusammengekrümmt mit ausgestreckter Hand, in der sich das Foto eines jungen Mädchens befand. An anderer Stelle lehnte ein Soldat gegen einen Felsen – ohne Kopf. Ein anderer wiederum hielt sich noch im Tode, das Gesicht schmerzverzerrt, die Reste seines zerfetzten Beines. Hans Jannasch, der als Angehöriger des deutschen Verbandes unter Paul Kranz diese himmelschreiende Schlächterei miterlebt hat, verdeutlichte in seinen Aufzeichnungen die bis aufs äußerste angespannte Lage eines jeden einzelnen Kämpfers: Etwas abseits waren ein Bur und ein Engländer handgemein geworden. Der erstere hatte ein Bajonett durch den Leib gejagt bekommen, aber noch im Sterben hatte er seinen Revolver hervorgerissen und dem Gegner eine Kugel durchs Hirn gejagt. Auf den verzerrten Gesichtern beider prägten sich noch im Tode unbegrenzter Haß und bestialische Wut aus.

Es ist heute kaum nachzuvollziehen, was europäische Freiwillige dazu bewegt haben könnte, in diesem Kriege – fernab der Heimat – Gesundheit und Leben aufs Spiel zu setzen. Der Grund hierfür liegt in einer heute nicht mehr greifbaren europäischen Geisteshaltung: Es war dies die vor dem Ersten Weltkrieg in allen europäischen Staaten vorbehaltlose Bewunderung für Tugenden wie Tapferkeit, Pflichterfüllung und Freiheits- und Vaterlandsliebe eines Volkes. Diese Tugenden wurden nach Auffassung der Europäer von den Buren vorbildlich vorgelebt. Deshalb ist es erklärbar, daß in Europa die Sympathie, ja eine Begeisterung für die Buren, von allen Berufsständen und Klassen und mit wenigen Ausnahmen auch von allen politischen Organisationen getragen wurde. Es war unter den Völkern Europas allgemein der Drang vorherrschend, einer als Brudervolk betrachteten Nation, die in einem existentiellen Verzweiflungskampf stand, zur Seite stehen zu müssen.

Die gefallenen Freiwilligen sind indes nicht vergessen. Ab dem 8. Oktober 1999 wird in monumentalen Gedenkfeiern der burischen und europäischen Helden gedacht. Aus diesem Grunde werden Delegationen aus Europa – unter ihnen Abordnungen aus Deutschland, Flandern und den Niederlanden – nach Südafrika reisen und an diesen Feiern mitwirken.

 

Dr. Claus Nordbruch , Jahrgang 1961, war Leutnant der Bundeswehr und Universitätsdozent und lebt heute in Südafrika. Der vorliegende Artikel basiert auf seinem dreisprachigen (dt., frz., engl.) Bildband "Die Europäischen Freiwilligen im Burenkrieg 1899–1902" (Pretoria 1999).


 
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