© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/99 08. Oktober 1999


Kommentar: Warum die Nobelpreisverleihung an Günter Grass keinen Anlaß zum Jubeln bietet
"Ich schäme mich meines Landes"
Thorsten Thaler

Die Schwedische Akademie hat mit der Verleihung des Literaturnobelpreises an Günter Grass eine fragwürdige, sie hat eine falsche Entscheidung getroffen. Darüber kann auch der nahezu einstimmige Jubelchor nicht hinwegtäuschen.

In der Begründung für die Preisverleihung hat die Akademie – neben einer Würdigung vor allem der "Blechtrommel" – ausdrücklich auch das außerliterarische Wirken des Schriftstellers hervorgehoben. So habe sich Grass "als ’Spätaufklärer‘ bekannt in einer Zeit, die der Vernunft müde geworden ist". Doch genau das hat Grass nicht getan. Im Gegenteil, in seinen öffentlichen Reden, Interviews und Artikeln wirkt er alles andere als aufklärerisch. Er agitiert und polemisiert, diffamiert und denunziert, er verdreht Sachverhalte und verweigert sich der Wirklichkeit. Was an Grass stört, hielt der Münchner Politikwissenschaftler und Publizist Paul Noack bereits im Frühjahr 1991 in seinem Buch "Deutschland, Deine Intellektuellen" fest, "ist die Unduldsamkeit, mit der er diejenigen verbal denunziert, die anderer Meinung sind als er."

Beispielhaft dafür steht seine ablehnende Haltung zur Wiedervereinigung. Seit den sechziger Jahren redete Grass einer dauerhaften Zweiteilung Deutschlands das Wort, etwa 1967: "Die Wiedervereinigung ist ein sinnentleerter Begriff, den wir, wollen wir glaubwürdig werden, streichen müssen." Auf die Spitze trieb Grass seine Tiraden nach dem Fall der Mauer in einem Vortrag ("Kurze Rede eines vaterlandslosen Gesellen") Anfang 1990 vor der Evangelischen Akademie Tutzing: "Wer gegenwärtig über Deutschland nachdenkt und Antworten auf die deutsche Frage sucht, muß Auschwitz mitdenken. Der Ort des Schreckens schließt einen zukünftigen deutschen Einheitsstaat aus." Diesem Versuch einer Instrumentalisierung des Holocaust erteilte Rudolf Augstein in einem Fernsehstreitgespräch mit Grass im Februar 1990 eine deutliche Abfuhr. "Auschwitz ist nicht konstituierend für den künftigen Lauf der Welt", sagte der Spiegel-Herausgeber. Trotzdem hielt Grass noch im Oktober 1990 in einem Artikel in der Zeit trotzig dagegen: "Ein Monstrum will Großmacht werden. Dem sei mein Nein vor die Schwelle gelegt."

Je mehr die literarische Bedeutung von Grass nachließ, urteilte der Berliner Historiker Arnulf Baring in der Welt am Sonntag anläßlich der Nobelpreisverleihung, desto mehr habe seine "politische Rechthaberei" zugenommen. "Seine Landsleute fanden vor seinem Blick selten Gnade. Er mag die Deutschen nicht, traut ihnen noch immer alles erdenklich Schlimme zu." Im In- und Ausland habe Grass "oft maßlos Ängste uns Deutschen gegenüber geschürt", stellte Baring fest.

Günter Grass’ Neigung, sich "unmäßig zu verbiestern, weltfremd zu verbohren" (Baring) zeigt sich auch in seinen Äußerungen zur Asylpolitik. Im Oktober 1997 nutzte er eine Laudatio zur Verleihung des Friedenspreises des deutsche Buchhandels an den türkischen Autor Yasar Kemal zu einer heftigen Attacke. "Ich schäme mich meines Landes, dessen Regierung todbringenden Handel zuläßt und zudem den verfolgten Kurden das Recht auf Asyl verweigert." Und: Es sei eine Schande für ein zivilisiertes Land, "wenn über 4.000 Menschen hinter Schloß und Riegel gehalten werden, die nichts verbrochen haben und einfach abgeschoben werden". Dies sei ein "Rückfall in die Barbarei", empörte sich Grass.

Die passende Antwort erhielt Grass abermals von Rudolf Augstein. "Was weiß dieser Dichter von den Türken, was von den Kurden, was von dem heimlichen Bürgerkrieg, den beide Parteien nach Deutschland einschleusen? Ist ihm denn völlig unbekannt, daß beide, Türken wie Kurden, unter unserem Grenzzaun hindurchschlüpfen, um hier ihren Stellvertreterkrieg auszutragen?"

Doch natürlich wird Grass auch weiterhin kräftig die Trommel schlagen. Unmittelbar nach der Bekanntgabe des Nobelpreises an ihn kritisierte Grass erneut, daß zahlreiche Asylanten in der Bundesrepublik in Abschiebehaft sitzen und dadurch Familien zerrisssen würden. Die Zeit der "grotesken Belehrungen" (Baring) mag also noch nicht vorbei sein, die Zeit des Günter Grass schon.


 
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