© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/99 08. Oktober 1999


Peter Sloterdijk
von Thorsten Thaler

Bis vor sechs Wochen konnte kaum jemand außerhalb der philosophischen Zunft seinen Namen auch nur fehlerfrei buchstabieren. Seit aber das linksliberale Feuilleton von Hamburg (Zeit, Spiegel) bis München (Süddeutsche Zeitung) in immer neuen Beiträgen über den Karlsruher Philosophen Peter Sloterdijk herfällt, hat der Hochschulprofessor die Sphäre der Fachöffentlichkeit verlassen und ist in die Niederungen eines entfesselten Medienzirkus getreten (worden).

Aufhänger für die von einigen journalistischen Meinungssoldaten mit erheblicher Verzögerung entfachte Kontroverse ist eine bereits im Juli auf Schloß Elmau in Bayern gehaltene Rede Sloterdijks über "Regeln für den Menschenpark". Darin hatte der Philosoph die Frage gestellt, "ob eine künftige Anthropotechnik bis zu einer expliziten Merkmalsplanung vordringt". Weil Sloterdijk dabei auch Begriffe wie "optionale Geburt" und "pränatale Selektion" verwendete, warfen ihm seine Kritiker "faschistische Rhetorik" vor und mühten sich, das Horrorbild gezüchteter Herrenmenschen an die Wand zu malen.

1947 in Karlsruhe geboren, studierte Sloterdijk Philosophie, Germanistik und Geschichte in München und Hamburg. In seiner Magisterarbeit befaßte er sich 1971 mit dem Thema "Strukturalismus als poetische Hermeneutik". 1976 promovierte er im Fachbereich Sprachwissenschaften der Universität Hamburg mit einer Arbeit über "Literatur und Organisation von Lebenserfahrung". Darin untersuchte er Autobiographien während der Weimarer Republik unter gattungsstrukturellen und sozialpsychologischen Aspekten. Seit 1992 lehrt Peter Sloterdijk Philosophie an der Karlsruher Hochschule für Gestaltung und seit 1993 auch an der Wiener Akademie der bildenden Künste.

Aufsehen erregte der Philosoph erstmals 1983 mit seiner zweibändigen, fast 1.000 Seiten starken "Kritik der zynischen Vernunft"; das Werk zählt heute bereits zu den meistverkauften philosophischen Büchern dieses Jahrhunderts. Mit seinen folgenden Publikationen – "Der Zauberbaum" (1985), "Kritik der politischen Kinetik" (1989), der zusammen mit Thomas H. Macho veröffentlichten zweibändigen Gnosis-Sammlung "Weltrevolution der Seele" (1991) und dem Großessay "Weltfremdheit" (1993) – festigte Sloterdijk seinen Ruf als veritabler Denker der (Nachkriegs-)Generation.

Um so bemerkenswerter mutet die Kritik an, mit der Jürgen Mittelstraß, Präsident der Allgemeinen Gesellschaft für Philosophie in Deutschland, am Montag dieser Woche den 18. Deutschen Kongreß für Philosophie in Konstanz eröffnete. Sloterdijk habe sich mit seinem Elmauer Vortrag naiv und unsolide über "alle wissenschaftlich und philosophisch legitimierbaren Grenzen" hinweggesetzt, erklärte Mittelstraß unter dem Beifall der Zuhörer. Aber ist es nicht gerade das Wesen philosophischen Denkens, Grenzen zu mißachten?


 
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