© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/99 08. Oktober 1999


Rituale
von Dieter Stein

Jörg Haider ist in Österreich mit seinen "Freiheitlichen" knapp an der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), dem alpenländischen Pendant zur CDU, vorbeigezogen und rückt auf gefährliche fünf Prozent an die SPÖ des Bundeskanzlers Klima heran. Der Aufstieg des Kärntner Politikers, der als junger Mann 1986 die völlig zur linksliberalen Unkenntlichkeit abgewirtschaftete FPÖ übernommen hat, nötigt Respekt ab.

Einige Ausrutscher in der Anfangszeit reichten aus, um Haider immer wieder in die rechtsradikale Ecke zu prügeln. Man jubelte seiner Anhängerschaft die Täterschaft an widerwärtigen Briefbombenattentaten auf führende österreichische Politiker unter – bis der geistig verirrte Urheber gefaßt wurde. Wieder und wieder versuchte man seitens staatlicher Stellen, seitens halboffizieller Institute und der Medien, Querverbindungen des freiheitlichen Lagers zu Neonazis zu konstruieren, um diese politische Kraft zu diskreditieren.

Anstatt zurückzuweichen hat Haider dies mit Gegenangriffen pariert. Und er hat nicht den Fehler mancher Protagonisten der bundesdeutschen "rechten Szene" begangen, sich in der Ecke heimisch zu fühlen, in die er geprügelt wurde. Haider hat die FPÖ zu einer Partei der Bürgerinteressen gegen Staatsmonopole, der demokratischen Freiheit gegen Bevormundung, des direkten Mitwirken gegen staatliche Lenkung gemacht. Und er hat sich zielsicher der Themen angenommen, die den Menschen tagtäglich auf den Nägeln brennen, um die die etablierten Parteien aus ideologischer Verbohrtheit oder Feigheit einen Bogen machen: Überfremdung, Innere Sicherheit, nationale Identität.

Es ist skandalös, zu welchen Reaktionen sich Vertreter des Auslands hinreißen lassen. Nur noch Kopfschütteln kann die Forderung des israelischen Staatspräsidenten hervorrufen, die österreichischen Juden sollten aufgrund des Wahlsiegs von Jörg Haider das Land verlassen. Hat sie dazu jemand aufgerufen, als der Sozialdemokrat Bruno Kreisky eine israelkritische und propalästinensische Politik verfochten hat? Wie kommt der israelische Präsident dazu, die Loyalität der österreichischen Juden für sich zu reklamieren? Mit dieser Aufforderung lenkt er Wasser auf die Mühlen derer, die die Loyalität jüdischer Bürger gegenüber ihrer Heimat Österreich anzweifeln.

Die Freiheitlichen demonstrieren, daß selbst ein derart zur Korruption und Vetternwirtschaft neigender Parteienstaat wie Österreich zur Erneuerung aus sich heraus fähig ist: daß nämlich Wahlen tatsächlich etwas ändern können. Das österreichische Ergebnis macht denen Mut, die auf die Veränderung auch der politischen Landschaft nördlich der Alpen hoffen.


 
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