© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/99 01. Oktober 1999


Zitate

"Sämtliche deutsche Großdebatten des vergangenen Jahrzehnts – ob Walser-Bubis-Streit vor einem Jahr, die Polemiken um Botho Strauß‘ ’Anschwellenden Bocksgesang‘, der Historikerstreit über die Singularität von Auschwitz und die Auseinandersetzung über das Holocaust-Mahnmal in Berlin – drehten sich um die Interpretationshoheit über die Gegenwart, die sich in Deutschland immer noch und unweigerlich im Verhältnis zur jüngsten Vergangenheit, vor dem Hintergrund des Völkermords an den Juden entscheidet: Wer sagt, wie die Lage ist – und mit welchen Worten? Es ist kein Zufall, daß die großen intellektuellen Auseinandersetzungen der letzten Jahre stets eher von ’rechts‘ denn von ’links‘ angezettelt wurden – von einem aus alten Tiefen schöpfenden Kulturpessimismus, der an der ökonomisch-profanen Massendemokratie westlichen Zuschnitts irre wird und, grüblerisch-raunend, nach neuen (oder ganz alten) Ufern sucht. Jede geistige Provokation muß sich daher auf gleich zwei Objekte stürzen: auf die vermeintlich vorherrschende Denkweise (samt ihrer Theoretiker) und auf ihre Interpretation der nationalsozialistischen Vergangenheit – samt ihren Folgerungen."

Reinhard Mohr im "Spiegel" vom 27. September 1999

 

 

"Wenn wir einen Meister der kritischen Theorie und der historischen und begrifflichen Präzision gebraucht hätten, dann damals, als der Begriff des Völkermords inflationierte, Milosevic innerhalb von Monaten zu Hitlers Wiedergänger mutierte, eine Parteinahme für die Serben schon als Anzeichen von mentalem Irresein galt und als das ganze Arsenal historischer Schreckensbilder (die Menschen in den Viehwaggons, das Fußballstadion in Chile) durchgezappt wurde, um eine kriegskeptische Öffentlichkeit humanistisch aufzurüsten. Das humanistische Hirten- und Wächteramt ist nicht idyllisch und nicht immer zivil. Habermas hat – trotz aller Bedenken – seinen politischen Schülern für den Krieg der humanitären Intervention die philosophische Absolution erteilt. Vielleicht hat dies Bei-Hofe-Philosophieren mehr mit dem Ende der kritischen Theorie zu tun als das Beispiel, durch das Sloterdijk dann endgültig seine Zuhörer provozierte."

Antje Vollmer, Bundestagsvizepräsidentin der Grünen, in der "FAZ" vom 27. September 1999

 

 

"Es ist vielmehr eine verbreitete Abwehr spürbar, wenn es darum geht, die politische und geistige Kollaboration mit der SED-Diktatur kritisch zu reflektieren. Der Grund ist, daß ein Großteil der Westdeutschen sich mit der Existenz der DDR abgefunden hatte – und an diese Anpassung nur ungern erinnert werden möchte. Unter den Intellektuellen des Westens galt es als fortschrittlich, für die Anerkennung der DDR einzutreten. Am Ende suchten die Parteien mit ihren guten Beziehungen zur SED einander zu übertreffen und waren auch bereit, das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes aufzugeben. Die SPD hatte Honecker schon 1986 fest versprochen, nach einem Wahlsieg die DDR-Staatsbürgerschaft zu respektieren. Auch ideologisch gab es im Westen manche Affinität zum DDR-Sozialismus. Für viele Westdeutsche stand fest, daß der ’Feind‘ in Deutschland nur rechts stehen könnte."

Hubertus Knabe, Historiker beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, in der "Berliner Zeitung" vom 25./26. September 1999

 

 

"Vom Zentralratsvorsitzenden wird – von Juden und Nichtjuden – nahezu die persönliche und mediale Omnipräsenz verlangt. Die ständige politische Kommentierung ist außerdem eine heikle Sache: mit einem Bein in der Belanglosigkeit, mit dem anderen in der Übertreibung."

Andreas Nachama, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, in einem Interview mit "Focus" vom 27. September 1999


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen