© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/99 01. Oktober 1999


Bundeswehr: Ein Oberstleutnant a.D. des MAD erhält keine Chance auf Rehabilitierung
Nur den Diensteid treu befolgt
Reinhard Fink

Für den ehemaligen Oberstleutnant der Bundeswehr und Lehrer an der Schule des Militärischen Abschirmdienstes in Bad Ems, Rolf Schulze, begann die Auseinandersetzung mit seinem Fahneneid bereits 1972.1958 freiwillig in die Fallschirmtruppe der Bundeswehr eingetreten, war er bald Unteroffizier geworden und wurde bereits 1962 in die Offizierslaufbahn übernommen: er sei "ein Gewinn für das Offizierkorps". Nach verschiedenen Verwendungen wurde Schulze Chef einer Fallschirmjägerkompanie, hatte dann aber einen Sprungunfall und wurde vom Militärischen Abschirmdienst (MAD) angeworben. "Das war unter den gegebenen Umständen eine gute Lösung", sagt Schulze, "denn mein Kopf war schließlich heilgeblieben, und ich war ja immer auch ein überzeugter Verfechter dieser Bundeswehr und ihres Auftrags gewesen!"

Diese Uberzeugung wurde im MAD jedoch schon bald so mancher Belastungsprobe ausgesetzt. "Mit das erste, das ich im MAD lernte, war, wie man die in der Truppe entwendeten Briefe über selbstgebastelten Dampftöpfen möglichst spurenlos öffnet", erzählt Schulze.

Zum Major befördert, wurde er 1975 Verantwortlicher für die "Abwehr Extremismus/Terrorismus" im Wehrbereich V (Baden-Württemberg). Dort sah er sich zunächst optimal verwendet: "Ich hatte einfach das Talent für diese Arbeit." So erhielt er wiederholt Anerkennungen für vorbildliche Abwehrarbeit, war mit seinen erfolgreichen Operationen ständiger Gastlehrer bei der Aus- und Weiterbildung des MAD-Personals an der Nachrichtenschule der Bundeswehr, wurde wiederholt als "besonders förderungswürdig" beurteilt und war für eine Verwendung in der Zentrale des MAD vorgesehen.

Im Konflikt zwischen Erfolg und Einhaltung der Gesetze

Ab 1976 jedoch begann die neu formierte Ex/Te-Abwehr des MAD sich immer mehr zu verselbständigen. "Alle wollten plötzlich an den Abwehrerfolgen teilhaben, die anscheinend so leicht zu erreichen waren", berichtet Schulze. "Als sie jedoch rasch merkten, daß die meisten Extremisten keineswegs die erwartete leichte Beute waren, gerieten sie unter Erfolgsdruck und wichen immer mehr in die Illegalität aus. Dazu gehörten vor allem auch Lauschaktionen sowie die vorsätzlich ungeprüfte Verdächtigung tausender junger Leute, vorzugsweise als sogenannte Linksextremisten und mit dem erklärten Ziel, anhand der so selbst geschaffenen Arbeitsüberlastung mehr und höher dotierte Dienstposten für den MAD zu begründen. Die Folgen für die häufig zu Unrecht Verdächtigten waren im MAD bekannt, wurden aber dennoch in Kauf genommen. Sie waren unter den Bedingungen der damaligen sogenannten Berufsverbote sowie des großzügigen Datenaustauschs mit allen ’befreundeten, in- und ausländichen Diensten‘ zweifellos erheblich und dürften in vielen Fällen bis heute nachwirken."

"Doch wir hatten schließlich nicht den Auftrag, Recht und Verfassung dadurch zu schützen, daß wir sie außer Kraft setzten", sagt Schulze und berichtet von heißen Diskussionen um diese Vorgänge. Dennoch blieb er am Ende der einzige Offizier des gesamten MAD, der den Mut hatte, seine Bedenken bis hin zum MAD-Chef vorzutragen und das Geschehen als das zu bezeichnen, was es in seinen Augen war: amtlich organisierte Kriminalität.

Als dennoch auf den Maßnahmen beharrt wurde, lehnte Schulze im Oktober 1976 jede weitere Teilnahme daran für sich und seine Untergebenen unter Berufung auf Diensteid und Soldatengesetz ab: "Befehle dürfen nicht befolgt werden, wenn dadurch eine Straftat begangen würde" (§ 11(2) SG). Und: "Der Vorgesetzte darf Befehle nur unter Beachtung der Gesetze und Dienstvorschriften erteilen" (§ 10(4) SG).

Als jedoch auch weiterhin keine Änderung im MAD eintrat, meldete Schulze die Vorgänge ab Mai 1977 dem für die truppendienstliche Aufsicht zuständigen Stellvertreter des Generalinspekteurs wiederholt schriftlich. Das bedeutet, daß sämtliche Vorgänge im MAD bis hin zu den berüchtigten Lauschaktionen bereits ein Jahr vor der späteren "Affäre Leber" der militärischen Führung des Bundesverteidigungsministeriums bekannt gewesen sind. Weswegen die gesamte Affäre mit Regierungskrise, Ministerrücktritt und Ablösung des MAD-Chefs allein aufgrund der Meldungen eines pflichtgemäß handelnden Majors hätte verhindert werden können, ja verhindert werden müssen.

Doch es geschah nichts dergleichen. Statt dessen überschlugen sich nun für Schulze die Ereignisse. Von einem Tag auf den anderen wurde er seiner Verwendung enthoben, als "Verräter" diffamiert und in einen Abstellraum gesetzt. Es wurde ihm verboten, die Dienst- bereiche zu betreten, weiterhin Lehrübungen an der Nachrichtenschule abzuhalten und mit seiner Familie an gesellschaftlichen Veranstaltungen des MAD teilzunehmen.

Straftaten im MAD dürfen nicht zum Thema werden

Deshalb schließlich an den Inspekteur gerichtete Beschwerden wurden immer wieder unterschlagen, "aus dem Dienstweg genommen", wie sein Kommandeur ihm erklärte. Disziplinarrechtliche oder sonstige offizielle Maßnahmen wurden dagegen gegen Schulze nicht eingeleitet, dafür fehlte jede Voraussetzung.

Doch Schulze ließ sich nicht weichkochen. "Ich habe das alles nicht eingesehen", sagt er noch heute, "ich hatte mir ja nichts zuschulden kommen lassen!" Doch obwohl er durch die Leber-Affäre in seinen Bedenken bestätigt worden war, wurde Schulze erst nach zwei Jahren übelster Schikanen langsam wieder "eingegliedert". Inzwischen aber waren seine Beurteilungen insgesamt dreimal herabgesetzt worden, und das bedeutete einen laufbahnentscheidenden Einbruch. Dieser ist bis heute nicht korrigiert worden.

Nachdem Schulze, inzwischen Oberstleutnant, Lehrer des MAD für die "Abwehr des Extremismus/Terrorismus" an der Nachrichtenschule der Bundeswehr geworden und wiederholt als "Sehr gut" und "Besonders förderungswürdig" beurteilt worden war, wurde er schließlich Dezernent in einer MAD-Gruppe. Doch dort traf er auf just denselben und inzwischen zum Oberst und MAD-Gruppenkommandeur avancierten Personaloffizier des MAD, der schon 1977 ganz wesentlich an der Unterschlagung von Schulzes Meldungen und damit am Sturz von Verteidigungsminister Leber beteiligt gewesen war.

"Das Problem dieses MAD ist", sagt Schulze, "daß nicht ein einziger der an Einbruch und Verfassungsbruch, an Diebstahl, Unterschlagung und Betrug Beteiligten dafür jemals zur Verantwortung gezogen worden ist. Im Gegenteil: infolge ihrer angeblich nachgewiesenen Spitzenleistungen blieben und wurden viele dieser Leute bevorzugt Obristen im MAD und prägten mit dieser Erfahrung fortan den Geist dieses Geheimdienstes. Schon die Kießling-Affäre war eindeutig eine Folge dieser Fehlentwicklung."

Als Schulzes neuer Kommandeur auch noch versuchte, an die alten Schikanen anzuknüpfen, da reichte Schulze seinen vorzeitigen Abschied ein und verließ, bis zum Schluß als "Sehr gut" und "Besonders förderungswürdig" beurteilt, am 1. April 1987 MAD und Bundeswehr. "So haben mich nach zwölf Jahren offener und versteckter Hatz genau jene Strolche doch noch geschafft", stellt Schulze resigniert fest, "die nach allen Regeln dieser Republik schon spätestens 1978 fristlos aus Bundeswehr und MAD hätten entfernt werden müssen."

Doch seine Hoffnung, nun endlich in Ruhe gelassen zu werden, erwies sich als Irrtum. In allerlei Auskünften an alle möglichen Stellen setzte das Verteidigungsministerium die Diffamierungen auch nach Schulzes Dienstende mit immer neuen Anwürfen fort. Um denen endlich ein Ende zu setzen, beantragte er 1990 seine Rehabilitierung. Doch von den wiederholt angeschriebenen CDU-Verteidigungsministern Stoltenberg und Rühe erhielt er nicht einmal eine Antwort.

Eine daraufhin an den Petitionsausschuß des Bundestages gerichtete Eingabe endete mit dessen Beschluß, daß sämtliche Straftaten im Militärischen Abschirmdienst, insbesondere auch die der "Affäre Leber", nie stattgefunden hätten ("entbehrt jeder Grundlage"), weswegen Widerspruch auch nicht erforderlich gewesen sei und eine Rehabilitierung nicht in Frage komme.

Mit diesem kuriosen Beschluß vom 30. Januar 1997 hat der Deutsche Bundestag nicht nur einen loyalen MAD-Offizier samt seiner 54 Zeugen zum Lügner erklärt, sondern auch den ehemaligen Bundesminister Leber. Dieser hat hinsichtlich der Kriminalität im MAD seit seinem Rücktritt 1978 immer wieder erklärt: "Ich habe mich damals vor meine Offiziere gestellt, sie hätten sonst bestraft werden müssen."

Bündnis des Schweigens zwischen den Ministern

Nach dem Regierungswechsel 1998 beantragte Schulze nochmals seine Rehabilitierung, diesmal in der festen Überzeugung, daß gerade Sozialdemokraten jenen Offizier nicht länger diffamiert sehen wollten, der damals versucht hatte, ihre Reputation und die ihres Ministers zu retten. Doch auch von Scharping erhielt Schulze bis heute weder eine Antwort noch auch nur eine Eingangsbestätigung.

"Natürlich ist die Sache für das Verteidigungsministerium inzwischen höchst peinlich, und zu viele haben sich in ihr festgerannt und immer noch eins draufgelegt", sagt Rolf Schulze. "Es ist immer noch der gleiche Mechanismus wie damals bei General Kießling. Aber die Flucht ins Vogel-Strauß-Gehabe ist sicherlich nicht weniger peinlich!"


 
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