© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/99 01. Oktober 1999


Goethe zum Hören
Helene Pavlaw

Der Musikvertrieb "Schallquelle" hat eine CD mit Gedichten und Volksliedern Goethes vorgelegt. Sie trägt den eigenwilligen Titel "Gedichte sind gemalte Fensterscheiben" und versammelt rund 50 bekannte und weniger bekannte Stücke. Der Titel wird gleich auf der Rückseite erläutert: Goethe selbst verglich Gedichte mit den bunten Butzenscheiben, die in alten Kirchen zu finden sind. Von außen wirken sie dunkel und fad, vom Innern der Kirche aus aber bunt und prächtig. Notwendig sei also der Eintritt in den Innenraum. So oder so ähnlich stellte sich Goethe wohl den Umgang mit seinen Gedichten vor: Der Leser sollte genügend Zeit für das Betrachten der Innenansichten mitbringen.

In der Tat erfordert die Beschäftigung mit der CD Zeit und Muße. Die Aufnahmen sind unspektakulär, Gedicht reiht sich an Gedicht, Abwechslung entsteht durch verschiedene Sprecherstimmen, durch eingeschaltete Lieder (Vertonungen einiger Gedichte) und wenige Klavierstücke. Nach und nach wird das Anliegen der Produzenten deutlich: Hier geht es um eine klassische Mittellage, nichts soll übertrieben oder untertrieben werden. Das ist im Zeitalter der schrillen Töne ein gewagtes Experiment. Es kommt aber Goethes eigenen Vorstellungen näher als irgendeine Gratwanderung zwischen Höhenflug und Absturz. Das Bemühen der Macher, alles Verzerrende zu vermeiden, führt deshalb seinerseits hin und wieder in den Grenzbereich des Experiments.

Ausgesprochen gut gelungen ist das Beiheft, das bei CDs oft den Eindruck erweckt, man habe mit Gewalt etwas füllen müssen. Davon kann hier keine Rede sein: Die ausführliche Einführung in Goethes Denken wird klug ergänzt durch Erläuterungen zu jedem Gedicht, insgesamt entsteht der Eindruck, die Stoffmenge quelle über die Ränder. Interpretiert wird Goethe ganz im geistesgeschichtlichen Sinn, auch der George-Schüler Gundolf steht ausdrücklich Pate.

Alles in allem: empfehlenswert. Auch läßt ein guter Anfang hoffen: Der Musikvertrieb "Schallquelle" (Postfach, 89555 Steinheim) startet mit der Goethe-CD eine neue Reihe mit Namen "LiteraTon". Im Herbst sollen Balladen folgen, gesprochen und gesungen. Daraus kann etwas werden.


 
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