© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/99 01. Oktober 1999


Erinnerung: Zum 95. Geburtstag des Schriftstellers Graham Greene
Die Grausamkeit des Daseins
Werner Olles

Der amerikanische Abenteuer-Schriftsteller Holley Martins kommt nach Wien und muß zu seinem Entsetzen feststellen, daß sein alter Freund Harry Lime in der kriegszerstörten Stadt zum Penizillin-Schieber geworden ist. Martins versucht seinen Freund zu retten, gerät dabei aber in ein Wirrwarr von zynischer Menschenverachtung und brutalem Machtkampf. Doch ist nicht der verlorene Sohn ebensoviel wert wie jeder andere Mensch? In diesem christlichen Gedanken lebt Anna, ein tschechischer Flüchtling mit falschem Paß. Sie gibt nicht die Hoffnung auf, ihren Freund Harry wiederzusehen, der nur noch in der Unterwelt lebt, aber zum Schluß in den Kloaken Wiens gestellt wird.

Graham Greenes berühmtester Roman "Der dritte Mann" war 1948 zunächst als Erzählung entstanden. Hieraus entwickelte er dann das Drehbuch zu dem gleichnamigen Film von Carol Reed. Beide hatten sie gemeinsam den versunkenen Glanz des alten Wien mit der erschreckenden Intensität des Ausländers erlebt. Im Film drückte sich dies genial aus durch eine ständig sich wiederholende suggestiv und aufreizend gespielte Zithermelodie. Der nervös gehetzte Rhythmus unterstrich in aller Deutlichkeit die irrationale Atmosphäre, aber auch die Wehmut über die unwiederbringlich verlorene Zeit. Erst ein Jahr später schrieb Greene nach seinem Drehbuch dann den eigentlichen Roman.

Der am 2. Oktober 1904 in Berkhampstead im County Hertfordshire als Sohn eines Schulleiters geborene Henry Graham Greene war der Neffe des berühmten Schriftstellers Robert Louis Stevenson ("Dr. Jekyll und Mr. Hyde", "Die Schatzinsel"). Nach einem Studium im Balliol College in Oxford begann er eine journalistische Laufbahn bei der Provinzzeitung Nottingham Journal. Später trat er in die Nachrichtenredaktion der Times ein und wurde zu Beginn des Krieges Feuilletonredakteur der Wochenzeitung Spectator. Während des Krieges gehörte er dem Foreign Office an und war in Sondermissionen vor allem in Afrika unterwegs. In den fünfziger Jahren wurde Greene Direktor des Verlages Bodleyhead.

Schon in seinen ersten Büchern "Zwiespalt der Seele" (1929), "Das Attentat" (1936) und "Am Abgrund des Lebens" (1938) kündigten sich die Motive seines Gesamtwerks an. Beeinflußt von den großen Erzählern Frankreichs, Bernanos, Mauriac und Julien Green, verband er die illusionslose Sachlichkeit der Darstellung und die Abscheu vor der Sinnlosigkeit des äußeren Lebens sowohl mit dem Existenzialismus Sartres als auch mit dem Realismus Hemingways. Weltliche Macht und göttliche Gnade, Gut und Böse, Verbrechen und Strafe sind die polaren Gegensätze, um die seine Bücher immer wieder kreisen.

Gegen Ende der dreißiger Jahre war Greene mit journalistischen Aufträgen in Mexiko, um dort die Situation der katholischen Kirche zu beobachten. Hier fand er auch den Stoff für sein Reisebuch "Gesetzlose Straßen" (1939) und für einen seiner bedeutendsten Romane, "Die Kraft und die Herrlichkeit" (1940), der das Martyrium eines mexikanischen Priesters während der kommunistischen Verfolgung darstellt. Greene selbst war mit 22 Jahren zur katholischen Kirche übergetreten, und in den Mexiko-Büchern äußerte sich sein kämpferischer Katholizismus am deutlichsten.

1948 erschien "Das Herz aller Dinge", auch hier offenbarte der Greene die Ohnmacht des sündigen Menschen, der dennoch ein Gefäß der göttlichen Gnade wird. Scobie, ein katholischer Polizeioffizier, der seine Frau und ein junges Mädchen liebt, endet durch Selbstmord. Jedoch ist das eigentliche Thema dieses Romans, daß die Liebe und Barmherzigkeit Gottes grenzenlos sind. Auch der Ehebruch-Roman "Das Ende einer Affäre" (1951) schildert die Geschichte eines in Lebensangst und Begierde verstrickten Menschen, der, der unerbittlichen Grausamkeit des Daseins ausgeliefert, die Hoffnung auf Gnade und Erlösung dennoch nicht aufgibt.

Als Korrespondent der Sunday Times ging der Autor in das Kriegsgebiet von Indochina und schrieb "Der stille Amerikaner"(1955). Das Ergebnis seines Aufenthalts in Kuba war der satirische Roman "Unser Mann in Havanna" (1958). In "Die Stunde der Komödianten" (1960) beschrieb Greene eine konfliktreiche Liebesbeziehung vor dem Hintergrund der Diktatur Papa Doc Duvaliers auf Haiti.

Graham Greene, dessen letzter Roman "Ein Mann mit vielen Namen" 1988 erschien, starb am 3. April 1991 im Alter von 86 Jahren in Vevey am Genfer See. Durchzogen von einer existentiellen Angst, fasziniert sein Werk durch die Darstellung der Unsicherheit allen irdischen Lebens einerseits und der völligen Abhängigkeit des Menschen von der göttlichen Ordnung andererseits. In diesem inneren religiösen Ringen zwischen Jenseitssehnsucht und Daseinsbejahung ist es das früh erlebte Leid des Menschen – seine Daseinsnot in der Vereinzelung und äußeren wie inneren Preisgegebenheit –, das den Schriftsteller zum leidenschaftlichen Mitfühlenden und Mitleidenden und zum großen Menschenbildner werden ließ


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen