© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/99 01. Oktober 1999


Medien: Gruner+Jahr bringt "National Geographic Deutschland" auf den Markt
Goldgelbes Fenster in die Welt
Gerhard Quast

Ich habe alles gelesen, was damals an Schrifttum über dieses Tier erhältlich war. Den Rest habe ich erfunden", bekennt der heute 59jährige Peter Benchley. Populär wurde der Romanschriftsteller durch seinen zum Kultbuch erhobenen Thriller "Der weiße Hai", den Steven Spielberg 1974 auf die Leinwand brachte. Weit über 20 Millionen Exemplare wurden von dem Roman verkauft. Buch und Film haben das Bild vom Menschen zerfleischenden Weißen Hai nachhaltig geprägt. Dem Autor selbst hat sein Roman den Vorwurf eingebracht, indirekt zur drohenden Ausrottung der Spezies beigetragen zu haben.

Jetzt hat Benchley Abbitte geleistet und wirbt um Verständnis für die Räuber des Meeres. Anders als sein Bestseller suggeriere, stelle der Weiße Hai den Menschen normalerweise nicht nach, schreibt Benchley in einem Beitrag für das National Geographic Magazin. Wissenschaftlich erwiesen sei vielmehr, daß der "Menschenhai" Menschen nur aus Versehen tötet, weil er sie mit einem Seehund oder Seelöwen verwechselt.

Daß Benchley sich für seine Kampagne ausgerechnet der Zeitschrift der altehrwürdigen National Geographic Society (NGS) bedient, die 1888 im Washingtoner Cosmos Club gegründet wurde, um "das geographische Wissen mehren und verbreiten" zu können, verwundert nicht, schließlich hat das renommierte Magazin nicht nur einen Leserkreis von schätzungsweise zwischen 40 und 50 Millionen – und ist damit unangefochten die größte populärwissenschaftliche Zeitschrift der Welt –, über die USA hinaus besitzt es auch einen fast schon legendären Ruf: Entstanden ist das National Geographic Magazin als kleine bescheidene Mitgliederzeitschrift, die anfangs unregelmäßig, später monatlich Reiseberichte, Aufsätze und Erinnerungen veröffentlichte. Das allererste Forschungsprojekt der National Geographic Society führte den Geologen Israel C. Russel 1890 an die Grenze zum Territorium Alaska. Der spannungsgeladene, in der erster Person abgefaßte Expeditionsbericht von der Entdeckung des Mount Logan war schließlich stilbildend für alle späteren Reportagen: Nicht dürre Fakten oder trockene wissenschaftliche Abhandlungen, sondern anschauliche Schilderungen sind bis heute Inbegriff des National Geographic Magazin.

Und daß es in den 111 Jahren kaum an spannendem Lesestoff gemangelt hat, dafür sorgte die Society mit ihren bis heute mehr als 6.400 selbst durchgeführten oder zumindest geförderten Forschungsprojekten. Waghalsige Expeditionen wie Robert E. Pearys Marsch zum Nordpol (1909) gehören ebenso in die Erfolgsbilanz wie Hiram Binghams Erforschung der jahrhundertelang verborgenen Inka-Stadt Machu Picchu (1911–1915), der erste Flug über den Südpol (1929), der Ballonflug von "Explorer II" in die Stratosphäre (1935) und die Entdeckung der 2.500 Jahre alten Olmec-Steinköpfe in Süd-Mexiko. Auch Jacques-Yves Cousteaus erster Unterwasserbericht (1952), die über 30 Jahre dauernden Schimpansenstudien von Jane Goodall im Gombe Nationalpark (von 1960 an) und Dian Fosseys Studie über Berggorillas in Ruanda (1967) können getrost auf das Konto der Gesellschaft gutgeschrieben werden. Und selbst die Berichte über die Entdeckung des Wracks der Titanic durch Robert Ballard (1985) und die Besteigung des Mount Everest (ohne Sauerstoffgerät) durch den Südtiroler Reinhold Messner (1978) waren zuerst im National Geographic Magazin zu lesen.

Allein 1998 vergab die Gesellschaft 250 Stipendien an Wissenschaftler in aller Welt, beispielsweise zur Erforschung des Lebensraums der Riesenschlangen in Venezuela oder zur Dokumentation von Felszeichnungen in der Sahara.

Schließlich: National Geographic war auch das erste Magazin der Welt, das Nachtaufnahmen von Wildtieren (1906), Makrofotos von Garteninsekten (1913) und farbige Unterwasserfotos (1926) veröffentlichte. Schon sehr früh gehörten Farbfotos in großer Anzahl wie selbstverständlich zu jedem Heft.

Anders als die Anfang des Jahrhunderts von Redakteur Gilbert H. Grosvenor eingeforderte "absolute Zuverlässigkeit" der Reportagen wurden die Regeln, daß "nichts gedruckt wird, das Partei ergreift oder umstritten ist" und über Länder und Leute "nur Freundliches berichtet" werde und "alles Unangenehme zu vermeiden" sei, inzwischen über Bord geworfen. In den siebziger Jahren wurde den Verantwortlichen klar, daß die Heile-Welt-Sicht der Vergangenheit der Wirklichkeit nicht gerecht wird. Seither blicken die Reportagen von National Geographic auch auf die unübersehbaren Schattenseiten, sind Umweltverschmutzung und Artensterben gewichtige Themen des goldgelb eingefaßten Hochglanzmagazins.

Seit einigen Jahren nun befindet sich das National Geographic Magazin auf Expansionskurs. Neben dem in einer Auflage von fast neun Millionen Exemplaren verbreiteten amerikanischen Original erscheinen seit 1995 auch fremdsprachige Ausgaben: in Japanisch (150.000), Spanisch (300.000), Italienisch (160.000), Griechisch (80.000) und Hebräisch (60.000). Seit dieser Woche gibt es nun auch landessprachliche Ausgaben für Frankreich, Polen und den gesamten deutschsprachigen Raum. Sie erscheinen als Lizenzausgaben der gemeinnützigen National Geographic Society und werden gemeinsam vom Hamburger Verlag Gruner+Jahr und der spanischen Verlagsgruppe RBA Editores S.A herausgegeben. Damit der deutschen Ausgabe ein "kraftvoller Start" beschert wird und Erfolgszahlen nicht lange auf sich warten lassen, werden die 500.000 in den Handel gebrachten Magazine von einer 20-Millionen-Mark-Werbekampagne begleitet. Kurzfristig rechnet Gruner+Jahr mit Verkaufszahlen von mindestens 150.000 Exemplaren, erläuterte Rolf Wickmann, Vorstandsmitglied des Hamburger Verlags bei der Vorstellung der Oktober-Ausgabe.

Diese erste Ausgabe von National Geographic Deutschland unterscheidet sich vom amerikanischen Original nur in drei Beiträgen, die ergänzend zu den acht Hauptthemen – Universum, Massai, Mumien, Nashornvögel, Trinidad, Kaschmir, U-Boot-Wrack und Rodeo – von der neunköpfigen Hamburger Redaktion beigesteuert wurden. Auch in Zukunft stammen vier Fünftel der Reportagen aus Washington, betont Chefredakteur Klaus Liedtke. Allerdings werden die Übersetzungen aus der amerikanischen Ausgabe grundsätzlich zeitglich in Deutschland publiziert.

In seiner Antrittsrede betonte der erste Präsident der Gesellschaft, Gardiner Green Hubbard, Ziel sei nicht nur, Forschungsvorhaben zu unterstützen, sondern auch "das so gewonnene Wissen unter den Menschen zu verbreiten, auf daß wir alle mehr erfahren von der Welt, in der wir leben". Diesem Vorsatz ist das National Geographic Magazin bis heute auf beste Weise treu geblieben.

"National Geographic Deutschland" ist zum Einführungspreis von 5 Mark erhältlich. Abonnenten kostet die Ausgabe 4,50 Mark. Eine Ausstellung "Die Fotografien:111 Jahre Abenteuer und Entdeckung" wird in Berlin gezeigt bis 9. Oktober in der Staatsbibliothek, Potsdamer Straße 33-37, und vom 14. bis 31. Oktober im Automobil Forum, Unter den Linden


 
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