© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/99 01. Oktober 1999


Interview: Jürgen Pinne, Präsident des Deutschen Steuerberaterverbandes
"Großkonzerne haben das Sagen"
Karl-Peter Gerigk

Herr Pinne, das Sparpaket der Regierung wird weiter kritisiert und diskutiert. Werden die Bürger unterm Strich entlastet?

Pinne: Nein, das kann auch gar nicht sein. Es ist gar keine Reform – hier wird nichts reformiert, sondern es werden nur Ausgaben gesenkt, Entlastungen nur für Familien in dem Rahmen, wie das Bundesverfassungsgericht dies vorgegeben hat. Positiv am Werk Eichels ist nur, daß hier ein Sparwille erkennbar ist, der notwendig ist, um unsere Staatsfinanzen wieder in Ordnung zu bringen. Dies ist der erste Schritt in eine richtige Richtung. Hinsichtlich der Steuerentlastungen besteht jedoch großer Zweifel, ob sie wirklich eintreten werden.

Es war auch die Absicht, das Dickicht des Steuerrechts zu lichten?

Pinne: Die Komplexität der Steuergesetzgebung nimmt mittlerweile ein dramatisches Ausmaß an. Dies ist in der Nachkriegsgeschichte im Steuerrecht noch nicht dagewesen. Der Paragraph 2b des Einkommensteuergesetzes zum Beispiel, wobei es um die Nichtanerkennung des Verlustvortrages geht, ist nicht nachzuvollziehen. Der Paragraph ist ungenau und ich denke sogar verfassungswidrig. Auch die Vorschrift zur Verschärfung des Schuldzinsenabzuges ist nicht handhabbar. Die Kammer der Steuerberater hat öffentlich dazu aufgefordert, diese Vorschrift nicht anzuwenden. Das ist ein Aufruf zum Steuerboykott und eine sehr dramatische Entwicklung. Es trifft vor allem wieder die Mittelständler, die schon in der alten Regierung eher stiefmütterlich behandelt wurden.

Wie müßte das Steuerrecht vereinfacht werden?

Pinne: Hierzu existiert ein Thesenpapier des Deutschen Steuerberaterverbandes. Ende Oktober werden wir bei unserer Tagung in Dresden neue Vorschläge machen. Wir haben den Sachverstand und stehen in unmittelbarem Kontakt mit den Betroffenen. Um so bedauerlicher ist es, daß unsere Vorschläge nicht hinreichend Berücksichtigung finden. Wir müssen zunächst dazu kommen, die Steuerlast insgesamt zu reduzieren, und dann müssen wir die Ausnahmen herausnehmen. Ich kann erst pauschalieren und vereinfachen, wenn die Steuersätze heruntergesetzt worden sind. Habe ich hohe Steuerstätze, muß ich die Mehrbelastungen der Steuerbürger steuerlich unterschiedlich berücksichtigen.

Es gibt Vorschläge des Bundes der Steuerzahler, die Zuwendungen des Bundes in Höhe von 34 Millionen Mark zurückzuschrauben.

Pinne: Dies gehört in den Bereich der steuerlichen Subventionen. Hier müssen in ganz erheblichem Maße Streichungen vorgenommen werden. Ich halte es jedoch für falsch, alle Förderungen im Rahmen von Steuern zu machen. Es können durchaus direkte Subventionen geleistet werden, so wie es zur Zeit durch die Eigenheimzulage geschieht. Hier wird Geld unmittelbar an den Steuerpflichtigen gezahlt.

Der Staat klagt über zu wenig Einnahmen, und Teile der Großindustrie zahlen kaum oder gar keine Steuern mehr. Wie kommt dies?

Pinne: Ich gehe davon aus, daß die Großindustrie schon seit Jahren die Politik bestimmt. Es wird auch eine großindustrielle Steuerpolitik zu deren Gunsten gemacht. Hinzu kommt, daß die Konzerne die Möglichkeit haben, ins Ausland auszuweichen, was der Mittelstand nicht kann.

Sollte die Industrie dann nicht mehr gesellschaftlichen Verantwortung zeigen – oder muß demnächst auch noch die Altersversorgung über Steuern finanziert werden?

Pinne: Von einer steuerfinanzierten Altersvorsorge gehe ich in naher Zukunft nicht aus. Ich habe auf dem Steuerberatertag in Aachen schon darauf hingewiesen, daß wir zu mehr Eigenverantwortung kommen müssen. Es ist jedoch eher das Gegenteil eingetreten. Wenn ich heute für mehr Selbstverantwortung plädiere und sage, daß der Bürger für sein Alter selbst vorsorgen muß, dann kann ich andererseits doch nicht die Erträge aus den Lebensversicherungen besteuern wollen. Das ist kontraproduktiv.

Die Sozialdemokraten setzen sich seit Schröder und dem Schröder-Blair-Papier eindeutig auch für einen Rückbau des Staates ein. Führt dies nicht auch zu Einbußen in der Versorgung gerade bei sozial Schwachen?

Pinne: Das denke ich nicht. Im Rahmen einer grundsätzlichen wirtschaftlichen Sanierung, bei der eine Umstrukturierung der Sozialpolitik mit der Modernisierung der Wirtschaftspolitik einhergeht, muß man, will man etwas erreichen, bei der Überversorgung der Bürger ansetzen. Dem Menschen muß wieder mehr Eigenverantwortung gegeben werden. Es kann nicht sein, daß man immer nach dem Staat ruft, um schließlich Almosen zu bekommen. Hier ist eine Versorgungsmentalität ausgebrochen, die es zu stoppen gilt. Wir haben heute über fünfzig Subventionstatbestände von der Mietförderung über Hausbeihilfen bis hin zu Brandbeihilfen. Clevere Leute nutzen das aus und nehmen den Staat mehr in Anspruch, als recht ist. Die Summe unserer Ansprüche ist höher als die Summe unserer Leistung. Das muß sich wieder ändern.

Die Steuern und Beihilfen werden aber auch auf Landes- und Kommualebene erhoben und geleistet.

Pinne: Der Staat muß hier mit seinem Ausgabenverhalten als Vorbild fungieren. Wir brauchen eine Reform auch bei den Ländern und bei den Bezügen und der Zahl der Abgeordneten. Es ist unvorstellbar, daß wir so eine hohe Zahl von Volksvertreten haben, die landauf, landab ihren Segen verteilen. Sie machen dem Wähler finanzielle Versprechungen, die sie dann einhalten müssen. So kommt es zu erhöhten Ausgaben und großen Unterschieden in den Steuergesetzen zwischen Kommunen und Ländern. Ich habe kein Verständnis dafür, daß die Abgeordneten Pauschalen erhalten für Aufwendungen, die sie nicht nachweisen müssen, und der Bürger auf der Straße jeden Pfennig seiner Werbungskosten belegen muß. Das muß geändert werden.

 

Jürgen Pinne, geboren am 12. September 1940, war nach seiner Banklehre zunächst als kaufmännischer Angestellter beschäftigt. Nach seiner Bestellung zum Steuerbevollmächtigten machte er sich 1970 selbständig. 1977 erfolgte die Bestellung zum Steuerberater, 1989 die zum vereidigten Buchprüfer. Seit 1990 ist er Präsident des Deutschen Steuerberaterverbandes e.V. in Bonn.


 
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