© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/99 24. September 1999


Münchner Oktoberfest: Wo das Bier aus Containern fließt und nicht nur die Wirte viel zu tun haben
Glüß Gott beim Oktobelfest
Alois T. Bichler

"Ozapft is!" (Für Nicht-Bayern: Es ist angezapft.) So konnte vergangenen Samstag die ganze Welt dank live-Schaltungen auf TV und Radio miterleben, wie das Münchner Stadtoberhaupt traditionsgemäß das erste Faß Oktoberfestbier in München anzapfte. Das erste Faß? Wer wirklich glaubt, daß das Bier noch aus alten Holzfässern ausgeschenkt wird, muß enttäuscht werden. Das gibt es auf der Münchner Wiesn schon seit vielen Jahren nur noch in einem einzigen Festzelt, der Augustiner-Festhalle. Und die braucht dafür inzwischen sogar schon eine Sondergenehmigung vom städtischen Ordnungsamt. Alle anderen Bierhallen schenken Wiesn-Maß aus Containern aus.

Und wer meint, wenigstens das erste Faß, das des Münchner Oberbürgermeisters sei echt, dem sei nur soviel verraten: Weil es für den Münchner nichts Schlimmeres gibt als ein Stadtoberhaupt, das nicht einwandfrei und ohne Schaumbad anzapfen kann, "hilft" die Brauerei dem gestreßten Anstecher. Wie? Das bleibt das Geheimnis der Beteiligten.

Es ist streng untersagt, am ersten Wiesn-Samstag, vor dem "Anzapfen", das Punkt 12 Uhr stattfindet, Bier auszuschenken. Doch schon vorher haben die Sanitäter alle Hände voll zu tun. Die erste Bierleiche wurde heuer bereits vormittags gegen 10 Uhr auf der Wiesn-Sanitätswache eingeliefert. Das war aber nicht der einzige, der den Einzug der Polit-Prominenz im Schottenhamel-Zelt und die Böllerschüsse zur Eröffnung verpaßt hat. Denn die Not der bierlosen Zeit vor 12 Uhr macht erfinderisch: Mitgebrachter Gerstensaft aus Dosen – an sich ein Sakrileg in Bayern – sorgt schon vorher für Riesen-Stimmung in und vor den Zelten. Die Klo- und Putzfrauen wissen davon ein Lied zu singen.

Am ersten Wochenende ließen sich nach offiziellen Verlautbarungen des städtischen Frendenverkehrsamtes etwa 1,1 Million Besucher ihre Wiesn-Maß aus dem Container schmecken. Für alle Preußen: Es heißt "die Maß" und nicht, wie so oft und hartnäckig gebraucht, "der Maaas". Wie schreibt sich eigentlich die Maß Bier nach den neuen deutschen Rechtschreibregeln? Spätestens nach der zweiten derselben wird die Frage eher philosophischen Natur. Aber im Ernst: Nach kurzem Vokal wird "ß" zu "ss", heißt es. Also: "Auf der Wiesn trinken die Massen die Massen in Massen."

Ein Blick in den Duden enttäuscht den des Bayerischen Mächtigen: "Maß" steht dort, weil das "aaa" lang sei! Die Preußen lernen es halt nie. Geradezu dreist von der Duden-Redaktion, diese falsche Aussprache auch noch mit dem Hinweis in Klammern zu versehen: "österreichischer und süddeutscher Dialekt". Hätten die Damen und Herren aus Mannheim den Münchnern nur aufs Maul geschaut, dann wüßten sie auch, daß es "Mass" heißen müßte, weil das "a" in der Aussprache kurz ist. Wenn schon Rechtschreibverwirrung, dann bitte richtig!

Doch nicht nur bei der Sprache verwildern die Sitten auf dem Oktoberfest. Heuer durften beim Trachtenumzug sogar Japaner mitmarschieren. Kimono zwischen Lederhosen und tiefdekolletierten Dirndln. Eine Münchner Tageszeitung spöttelte deshalb in einer Schlagzeile: "Glüß Gott beim Oktobelfest!" Kräftig in die Tasche griff dafür eine japanische Brauerei. Japanische Tenteko-Trommler aus Yokohama haben vor der Ehrentlibüne, äh Tribüne, auf der der Ministerpräsident Platz genommen hatte, mit Trommelwirbeln böse Geister vertrieben. Angeblich soll Stoiber dabei versonnen gelächelt haben.

Die großen Zelte haben ein feuerpolizeilich zulässiges Fassungsvermögen von rund 10.000 Besuchern. Welche Gefühle ein Wiesn-Wirt, also der Betreiber eines dieser Zelte, vor, während oder gleich nach dem Oktoberfest hat, das entzieht sich der Kenntnis der Allgemeinheit. Doch eines ist sicher: Den Weg zum Sozialamt kennt keiner der Wiesn-Barone, wie sie im Volksmund genannt werden. Auffallend ist nur, daß die meisten in den Wochen nach dem Oktoberfest abtauchen. Man munkelt, daß sie mit dem Zählen der Geldscheine beschäftigt sind.

Ein bis heute nicht gelüftetes Mysterium ist auch, wie man Mitglied dieser obersten Wirte-Kaste wird. Jeder Gastronom träumt davon. Ein wenig Protektion und die richtige Frau oder der richtige Schwiegervater sind diesem Karrieresprung sicher nicht hinderlich. Nur so ist es zu erklären, daß lediglich alle zehn Jahre mal ein neuer Name auftaucht, nicht selten ein Sproß oder Angeheirateter einer schon vorher etablierten Clique. Das wurmt nicht nur die chancenlosen Bewerber ohne nutzbringende Verbindungen. Ihro königlich-bayerische Hoheit höchstselbst, Prinz Poldi von Bayern, bemüht sich seit vielen Jahren vergeblich. Und das, obwohl die Stadt das Oktoberfest im letzten Jahrhundert seinem unmittelbaren Vorfahren zu verdanken hat.

Doch weil die königlich-bayerische Brauerei in Kaltenberg, also außerhalb der Tore Münchens ihren Sitz hat, bleibt der Wittelsbacher Prinz ausgesperrt. O tempora, o mores! So weit ist es also im republikanischen Bayern gekommen. Das kommt davon, daß man es zugelassen hat, daß ausgerechnet von preußischen Rätekommunisten 1918 eine Revolution in München inszeniert wurde.

Dabei war der Bayer 1918 mit seinem Herrschaftshaus durchaus zufrieden. Eine Revolution gab es bis dato in Bayern allenfalls, wenn der Bierpreis erhöht wurde. Die Chroniken sind voll von Berichten über Verwüstungen kompletter Wirtshausmobiliare. Doch das ist Vergangenheit. Heutzutage wird der Bierpreis auf der Wiesn von Vertretern des Stadtrates, dem Oberbhürgermeister und den Wiesn-Wirten in streng geheimer Sitzung ausgekartelt. Die Biergemeinde, allen voran die Münchner Presse, entrüstet sich jedes Jahr von neuem und droht mit Abstinenz. Doch sechs Millionen Wiesn-Besucher können nicht irren...

Auch in diesem Jahr hat man sich mit einem Preis von etwa 12 Mark pro Maß abgefunden. Vor allem wohl auch deswegen, weil versprochen wurde, im Jahr 2000 die Preis nicht zu erhöhen. Dafür winkt im nächsten Jahr eine besondere Herausforderung, denn das Oktoberfest 2000 wird nicht wie üblich 16, sondern ganze 18 Tage dauern. Weil der 3. Oktober, der Nationalfeiertag, so günstig auf einen Dienstag fällt, wird das größte Volksfest der Welt im kommenden Jahr auch das längste seiner Geschichte sein.

Von dieser Rekord-Wiesn profitieren natürlich nicht nur die Brauereien. Die Hotels, Geschäftsleute, Taxifahrer und freilich auch die Damen vom ältesten Gewerbe reiben sich schon heute die Hände. Für alle bedeuten diese zwei Wochen Hochkonjunktur. Kein Bett momentan frei, heißt es auch in den gewissen Etablissements. Um den großen Andrang zu bewältigen, bekommen die Damen Verstärkung aus Frankfurt, Berlin, Hamburg und anderen deutschen Städten. Denn Stoßverkehr herrscht zu Wiesn-Zeiten nicht nur auf der Wiesen.


 
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