© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/99 24. September 1999


Pankraz,
Kaiser Wilhelm und die Peepshow am Abend

Der Hohn, der dem Bundeskanzler Schröder von allen Seiten entgegenschlug, als er sich über eine gegen ihn gerichtete Porno-Satire in einer Fernseh-Peep-show beschwerte und gerichtliche Schritte androhte, wirkte etwas billig. "Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück", war der Tenor. Ein "Medienkanzler", der gelegentlich in Comedys und Unterhaltungsserien mitspiele und in seiner Rhetorik selber gern das Politische mit dem Privaten vermische, müsse dergleichen widerspruchslos hinnehmen. Außerdem gebe es bei uns Pressefreiheit, ein hohes Gut, das auch ein Kanzler zu respektieren habe.

Um gleich mit dem Letzten anzufangen: Daß es in der Bundesrepublik und speziell in ihrem Fernsehen Pressefreiheit gebe, hat fast nichts mit der Wirklichkeit zu tun, ist ein frecher Mythos. Jeder, der es wissen will, weiß es auch, weiß, daß im gegenwärtigen Deutschland riesige Bezirke der öffentlichen Meinungsbildung staatlich reglementiert und mit Paragraphen umstellt sind und daß jeder, der gegen das Reglement verstößt, Gerichtsurteil und Haft zu gewärtigen hat.

Speziell die elektronischen Medien spiegeln lediglich ein Spektrum wider, das vom Stalinismus bis zur katholischen Soziallehre, von Markus Wolf bis Edmund Stoiber reicht. Alles übrige ist dort verboten, tabuisiert, verketzert bis zum Exzeß. Zahllose Zensoren wachen darüber, daß sich daran nichts ändert.

Ein Vergleich der heutigen Bundesrepublik zum Beispiel mit dem Kaiserreich vor 1914 fiele schneidend zuungunsten der ersteren aus. Zwar gab es im Kaiserreich (wie auch im Königreich Großbritannien und in der Republik Frankreich) Prozesse wegen Majestäts- bzw. Präsidentenbeleidigung und wegen Pornographie, aber keine wegen politischer Meinungen. Marx, Proudhon, Shaw – sie alle konnten sagen, was sie zu sagen für nötig hielten. Der Verlag von Heinrich Mann hat noch mitten im Ersten Weltkrieg, 1916, eine Lizenz für den politisch hyperkritischen, extrem franzosenfreundlichen Roman "Der Untertan" erhalten.

Gegen Pornographie allerdings ging der Zensor gewissermaßen erbarmungslos vor. Gar Pornographie in Verbindung mit führenden Politikern wäre völlig undenkbar gewesen. Als vor einigen Jahren Titanic eine Fotomontage publizierte, die Helmut Kohl und Franz Josef Strauß miteinander in obszönem Beischlaf begriffen zeigte ("Wir wollten die Phrase von der ’Männerfreundschaft‘ satirisch kommentieren", sagte die Redaktion), gab es viel zustimmendes Gekicher; die Attackierten taten keinen Mucks. Im Kaiserreich wären die Redakteure zu hohen Strafen verdonnert worden, und alle hätten dem Urteil zugestimmt. Maximilian Harden und Karl Kraus sowieso, doch mit Sicherheit auch Tucholsky.

Hier liegt eben der Unterschied zwischen einst und heute. Die heutigen "Meinungsträger" sind illiberal, aber permissiv: früher war es umgekehrt. Man hatte einen "point d’honneur", weil man wußte, daß der Abbau der sexuellen (und religiösen) Schamgrenzen zur Entsublimierung aller Geistigkeit führen mußte, zu Vergröberung und Entwürdigung, zu gemeinem Massengeschmack. Es war dies eine in Jahrtausenden erhärtete Lebenserfahrung.

Wieso soll ein moderner Regierungschef sich nicht mehr auf diese Lebenserfahrung berufen dürfen? Daß seine unmittelbaren "bürgerlichen" Vorgänger stillhielten und sich in Sachen pornographischer "Satire" alles gefallen ließen, liefert nicht das geringste Argument. Die waren sichtlich eingeschüchtert und hatten vor der Macht der Medien vorab die Segel gestrichen. Ein Vorbild gaben sie damit gerade nicht.

Auch die Mediengeneigtheit des gegenwärtigen Kanzlers, sein Vergnügen an der populären Schauspielerei, seine Tendenz, die Grenzen zwischen Realpolitik und politischer Fiktion immer mehr einzuebnen, verurteilt ihn nicht dazu, sich und seine Frau im Fernsehen als geile, geschmacklose Porno-Puppen vorführen zu lassen. Politik als "Doku-Soap" aufzuziehen, ist natürlich falsch (Pankraz hat es in früheren Beiträgen oft kritisiert), aber lieber Doku-Soap-Politik als eine Politik, die vom Endlos-Gesabber pornographischer "Satiren" begleitet und regelrecht eingehüllt wird. Soll die Berliner Republik denn von vornherein als ein Bordell der alleruntersten Klasse aufgezogen werden?

Jeder Vernünftige kann sich nur freuen, wenn jetzt endlich auch einmal die "politische Klasse" entsprechende Gegensignale aussendet. Bedingung für ihren neuartigen Eifer muß selbstverständlich sein, daß auch für sie jener Umkehrschluß aus der Kaiserzeit Geltung behält: Je weniger Permissivität, um so mehr echte Liberalität, sowohl ideell wie auch institutionell.

In der Kohlzeit ist bekanntlich die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften zu einer Art politischer Zensurbehörde ausgebaut worden. Je weniger sich die dort untergebrachten Beamten noch getrauten, gegen pornographische Ausschreitungen vorzugehen, um so mehr wuchs ihr Eifer in Sachen politischer und zeitgeschichtlicher Literatur. Mißliebige Bücher, gegen die der Staatsanwalt nichts unternehmen konnte, fanden sich plötzlich von Bonn auf die Liste jugendgefährdender Schriften gesetzt, mit dem ganzen Rattenschwanz anschließender Verbote und Indizierungen. Dies also, beispielsweise, sollte sich in Berlin ändern.

Die Pornographie hingegen, besonders die Fernseh-Pornographie, mag ruhig wieder die harte Hand der Prüfstelle zu spüren bekommen. Angst, daß dadurch die Qualität unserer erotischen Literatur und überhaupt unserer erotischen Kultur leiden könnte, braucht man nicht zu haben. Im Gegenteil, wenn den medialen Gummifetischisten, den elektronischen Bettnässern und peepigen Stimmenimitatoren das Handwerk ein bißchen erschwert würde, bekämen vielleicht echte Erotiker wieder Arbeitsmut.


 
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