© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/99 24. September 1999


Zwangsarbeiter: US-Justiz stellt Ansprüche in Frage
Wende durch Gerichte
Ivan Denes

Am Montag, dem 13. September, haben zwei US-Richter an zwei verschiedenen föderalen Bezirksgerichten Urteile gefällt, die dem nunmehr über ein Jahr andauernden politischen Ringen um eine Lösung der Zwangsarbeiter-Entschädigung eine völlig neue Wende gaben. In dem Verfahren, das von ehemaligen Zwangsarbeitern bei Ford in Köln angeregt wurde – in dem Ford vom ehemaligen US-Außenminister Warren Christopher vertreten wurde – entschied Richter Joseph A. Greenaway, daß eine eventuelle Schuld des Unternehmens verjährt sei. In den zwei verschiedenen Verfahren gegen Siemens und Degussa entschied Richter Dickinson R. Debevois, daß Verträge zwischen den USA und Deutschland aus dem Jahr 1921 eine zwischenstaatliche Regelung des Streites vorschreiben.

Im Zuge der bisherigen Verhandlungen hat die deutsche Seite bekanntlich ihre moralischen Verpflichtungen anerkannt, aber finanzielle Zuwendungen über die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" der deutschen Wirtschaft von der Rechtssicherheit gegen weitere Klagen abhängig gemacht. Aus dieser Sicht könnten die zwei Richtersprüche, als Präzedenzfälle betrachtet, eine ausreichende Garantie darstellen, hätten nicht die Anwälte, allen voran der Münchner Michael Witti, angekündigt, man ginge unbedingt in Berufung. Wittis Sozius, Edward Fagan – ein Winkeladvokat, den selbst der inzwischen verstorbene Ignatz Bubis als Halsabschneider beschrieb, der sich auf der Jagd nach astronomischen Honoraren befinde – hat sofort angekündigt, notfalls werde man bis zum Höchsten Gericht der Vereinigten Staaten prozessieren.

Bei entsprechender Verhandlungsführung von deutscher Seite könnten diese Drohungen sehr wohl eine abwartende Haltung bestimmen – d.h. die endgültige Lösung vertagen, bis man durch den Spruch einer letztmöglichen amerikanischen Instanz die Gewissheit gewinnen würde, daß auch in Zukunft jede Klage scheitern werde. Sowohl der Sprecher der Stiftungsinitiative, Wolfgang Gibowski, wie auch Otto Graf Lambsdorff haben das Denken in Kategorien der political correctness derart intensiv beherzigt, daß sie sich nach Bekanntwerden der Urteile beeilten zu unterstreichen, daß die deutsche Wirtschaft sich ihrer moralischen Verantwortung bewußt bleibe und weiterhin bereit sei, die angepeilte humanitäre Leistung zu erbringen. Die deutsche Wirtschaft hat nämlich von Anfang an eine juristische Verpflichtung abgestritten, die zukünftigen Millionen oder Milliarden sollen als humanitäre good will-Leistung erbracht werden – und natürlich zu großem Teil von den Steuern abgeschrieben werden, was wiederum den Steuerzahler aufhorchen läßt.

Der World Jewish Congress (WJC) – dessen führende Persönlichkeiten gleichzeitig das entscheidende Wort in der Führung der Claims Conference (Jewish Material Claims Against Germany) und der World Jewish Restitution Organisation haben – hat auf Anhieb erkannt, wie radikal sich die Sachlage geändert hat. Wie bereits in der JUNGEN FREIHEIT berichtet, hat WJC-Generalsekretär Rabbi Israel Singer in Erwartung einer Anhörung im Repräsentantenhaus des Kongresses am 15. September versucht, den Bundeskanzler unter Druck zu setzen. Abhängig davon, wie das Ergebnis der Beratungen im Kanzleramt am 6. September ausgeht – an diesem Tag erörterten Gerhard Schröder und die Spitzen der deutschen Wirtschaft den gegenwärtigen Stand der Verhandlungen –, werde der WJC eine positive oder eine negative Zeugenaussage vor dem Bankenausschuß des Kongresses abgeben. Das gleiche galt für eine Anhörung vor der Hevesi-Kommission, am Tag darauf. Dieses ad hoc-Gremium, angeführt vom New Yorker Stadtkämmerer Alan Hevesi – einem ungarischen Juden, der einen Großteil seiner Familie im Holocaust verlor –, hat wiederholt mit einem Boykott der deutschen Unternehmen gedroht. Hevesi hat eine Gefolgschaft von etwa 900 Finanzbeamten in Städten und einzelnen Staatsverwaltungen.

Nach dem Richterspruch änderte sich schlagartig der Ton. Von einer eventuellen "negativen Zeugenaussage" des WJC vor dem Kongreß war nichts mehr zu hören. Israel Singer stieg schnell vom hohen Roß und begnügte sich mit der auch vom deutschen Fernsehen in extenso ausgestrahlten Predigt auf der Gedächtnisfeier für Bubis (die der bekannte jüdische Kommentator Yori Yanover mit der ironischen Bemerkung verzeichnete: "Endlich ist es amtlich: er war ein Heiliger!"). Offenbar auf Hinweis der Herren vom WJC, die ihn geistig steuern (die New Yorker Reuters-Redakteurin Joan Gralla, die als Propagandakanal für den WJC-Direktor Elan Steinberg dient, beschrieb das mit dem Ausdruck, der WJC habe "Hevesis Ohr") hat auch der New Yorker Stadtkämmerer stark zurückgesteckt. Während im Kongreß und vor dem Hevesi-Gremium heftigste Angriffe gegen die französischen und österreichischen Banken geritten wurden, lobte man die Verhandlungsbereitschaft der deutschen Wirschaft – obwohl Graf Lambsdorff mit dramatischer Stimme gewarnt hatte, wenn in absehbarer Zeit keine Einigung erzielt werde, könnte es zu schwerwiegenden Entwicklungen in den deutsch-amerikanischen Beziehungen kommen – lies: Umsetzung der Boykottdrohungen. Und Herr Gibowski von der Stiftung argumentierte: "Wir sind überzeugt, daß das amerikanische Volk versteht, daß die deutschen Unternehmen in den Vereinigten Staaten Arbeitsstellen schaffen und Geschäfte in den Vereinigten Staaten betreiben, und als solche sind sie auch amerikanische Unternehmen. Ein Boykott würde der amerikanischen Wirschaft und dem Konsumenten schaden, und wir können wahrlich nicht glauben, daß die Leute derartiges tun würden. Und warum sollten sie auch derartiges wollen? Wir sagen doch, es gibt hier etwas, was wir tun sollten für die Leute, die unter den Nazis gelitten haben."

Als Hevesi mit Boykott der Schweizer Banken gedroht hatte, wurden unter den wahrlich nicht heißblütigen Eidgenossen noch Stimmen laut, die von einem Gegenboykott sprachen.

Dafür liegt keine Not vor, denn würde der WJC seine Muskeln tatsächlich spielen und Hevesi einen Boykott ausrufen lassen, würde die WTO-Charta (Welthandelsorganisation) verletzt, was umgehend zur Verurteilung der USA führen würde. Niemand weiß das besser als der Staatssekretär im US-Finanzministerium und Sonderbeauftragte Präsident Clintons für Restitutionsfragen, Stuart Eizenstat, selbst ein orthodoxer Jude, der auch in der Vergangenheit wiederholt vor Boykottdrohungen gewarnt hat. Aber kann man von Graf Lambsdorff, von Herrn Gibowski, von den Herren aus den Chefetagen der deutschen Wirtschaft in der gegenwärtigen Lage einen militanten Einsatz zur Wahrung der Eigeninteressen erwarten?

Sie bemerken gar nicht, daß sie einem Papiertiger gegenüberstehen. Die Herren Edgar Bronfman, Elan Steinberg, Israel Singer sitzen zwar einer Organisation vor, dem World Jewish Congress. Zur Amtszeit seines weltweit respektierten Präsidenten Nahum Goldman (1953-1977) hatte der WJC tatsächlich eine übergreifende Bedeutung, zumal Goldman zur Gründung der Claims Conference (1952) und zum Adenauer/Ben Gurion-Abkommen von Luxemburg (1952) entscheidend beitrug. Seitdem hat sich die Lage grundsätzlich gewandelt. Stellt man einem Kenner der amerikanisch-jüdischen Szene die Frage nach der Bedeutung des WJC, wird darauf hingewiesen, daß es sich um eine von mehreren amerikanisch-jüdischen Organisation handelt, mit etwa 100.000 Mitgliedern, zu vergleichen mit dem American Jewish Committee, dem American Jewish Congress, aber nicht zu vergleichen mit der Conference of Presidents of Major American Jewish Organisations – der repräsentativen Organisation der mächtigen jüdischen Gemeinschaft in den USA. Von einer weltweiten Repräsentation des Judentums durch den WJC kann keine Rede sein. Die größte jüdische Gemeinde Westeuropas, die französische, liegt in offener Fehde mit dem WJC – eben wegen dessen Einmischung in französische Restitutionsfragen. Die jüdische Gemeinde der Schweiz hat wiederholt gegen das Vorgehen des WJC protestiert.

Ignatz Bubis war, in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland, Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses und Vizepräsident des WJC. Vor wenigen Tagen hat der große alte Mann des Axel Springer Verlages, Ernst Cramer – ein hervorragender Kenner der jüdischen Szene – in einem Beitrag in der Welt den aufsehenerregenden Vorschlag formuliert, den Zentralrat, den bundesdeutschen Ableger des WJC, nach dem Tod von Bubis samt und sonders aufzulösen. Vor 1933 hat es in Deutschland auch keine zentrale jüdische Organisation gegeben. Der Zentralrat sei aus dem von den Nazis bestellten Judenrat hervorgegangen. Er habe sich selbst überlebt. Hinter diesem Vorschlag ist unschwer zu erkennen, welche Bedeutung Ernst Cramer dem World Jewish Congress beimißt.


 
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