© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/99 24. September 1999


Dokumentation: Der Brief des Vatikan an die deutschen Bischöfe (Auszug)
"Tötung eines wehrlosen Menschen"

Es wurde die Frage gestellt, ob es der Intention des Heiligen Vaters entspricht, die Beratungsbescheinigung mit dem von ihm gewünschten Zusatz zu versehen und zugleich zu dulden, daß ihn die staatlichen Stellen faktisch ignorieren und den Schein auch mit diesem Zusatz als ausreichend für die straffreie Durchführung der Abtreibung gelten lassen wollen. (…) In seinem Schreiben vom 3. Juni 1999 hat der Papst klar seinen Wunsch geäußert, daß die kirchlichen oder der Kirche zugeordneten Beratungsstellen keine Bescheinigung mehr ausstellen, die zur Durchführung straffreier Abtreibungen verwendet werden kann. Entscheidend für die Wertung des Problemes ist die Frage (…), "ob der am Ende stehende Text weiterhin die Verwendung des Scheins als Zugang zur Abtreibung gestattet". (…) Würde der Schein weiterhin als Zugang zur Abtreibung dienen, wäre der in den vergangenen Wochen von vielen erhobene Vorwurf berechtigt, daß die Kirche eine bloß theoretische Aussage ohne reale Konsequenzen macht. (…)

Der vom Papst in seinem Schreiben vom 3. Juni 1999 geforderte Zusatz bildet nicht nur einen kraftvollen letzten moralischen Aufruf an die Frau, an den Arzt und an die Gesellschaft, den Schein nicht zur straffreien Abtreibung zu gebrauchen. Die Intention des Papstes ist auch darauf gerichtet zu bewirken, daß der Schein nicht mehr geeignet ist, den Zugang zu Abtreibung nach STGB § 218 a (1) zu eröffnen. Es ist nicht zu sehen, wie die Kirche in der Beratung nach §§ 5 ff. des Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes vom 21. August 1995 bleiben kann, falls die staatlichen Stellen den genannten Zusatz faktisch ignorieren. (…)

Der Schein, der zukünftig von den kirchlichen oder der Kirche zugeordneten Beratungsstellen im Rahmen des "Beratungs- und Hilfeplans" ausgehändigt wird, darf nach dem Schreiben des Heiligen Vaters vom 3. Juni 1999 einzig und allein als Dokumentation der Ausrichtung der kirchlichen Beratung auf das Leben und als Garantie für die Gewähr der versprochenen Hilfeleistungen dienen. (…) Die beiden unterzeichneten Kardinäle bitten Hirten und Gläubige, auf polemische Äußerungen zu verzichten und das ungeborene Leben mit ganzer Kraft zu schützen und zu verteidigen. Alle Glieder der katholischen Kirche sind einmütig davon überzeugt, daß die Abtreibung in keinem Falll eine Lösung ist, sondern – wie es im Zweiten Vatikanischen Konzil heißt – ein verabscheuungswürdiges Verbrechen (…), nämlich die direkte und freiwillige Tötung eines unschuldigen, wehrlosen Menschen. (…) Verbunden in der Sorge um die Kirche und die Menschen in Deutschland, verbleiben wir mit den besten Grüßen im Herrn (…)

Josef Kard. Ratzinger, Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, Angelo Kard. Sodano, Staatssekretär seiner Heiligkeit


 
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