© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/99 24. September 1999


Berlin: Die Wahlen zum Abgeordnetenhaus im Oktober werfen ihre Schatten voraus
Arbeit für den Kombinatsleiter
Markus Schleusener

Wochenlang hatte die CDU in den Umfragen die Nase vorn. Am Wiedereinzug der FDP ins Abgeordnetenhaus zweifelte auch kein ernstzunehmender Beobachter. Eberhard Diepgen war der alte und neue Bürgermeister Berlins. Jürgen Engert fragte damals in einem Kommentar in den Tagesthemen: "Hand aufs Herz. Kennen Sie eigentlich den Spitzenkandidaten der SPD?"

Der Schock am Wahlabend saß um so tiefer, als die SPD mit Walter Momper am 29. Januar 1989 zur stärksten Kraft in der damals noch geteilten Stadt wurde. Die Berliner Abgeordnetenhauswahl endete mit einem Paukenschlag: Die FDP scheiterte mit 3,9 Prozent, die CDU verlor dramatisch. Erstmals seit zwanzig Jahren zog mit den Republikanern wieder eine rechte Partei in ein Länderparlament. Momper zögerte nicht lange und bildete eine rot-grüne Koalitionsregierung, die erst kurz vor der nächsten Wahl im Dezember 1990 wieder zerbrach. An diese alten Erfolge will der gebürtige Bremer anknüpfen. "Damals hat auch keiner einen Pfifferling auf mich gesetzt", verkündet er in der Stadt, deren Teilung ihm früher gleichgültig war.

Aber nach den Wahlschlappen der Sozialdemokraten glaubt der SPD keiner, daß sie das Rennen um das Rote Rathaus gewinnen könnte. Vielmehr droht der Partei eine weitere Niederlage, die sie zur drittstärksten Partei degradieren könnte. Umfragen sehen SPD und PDS bei etwa 18 Prozent gleichauf. Walter Momper ist kein Zugpferd, und von der Bundesebene bläst den Sozialdemokraten der Wind genauso ins Gesicht wie ihren Genossen in Thüringen, Sachsen oder dem Saarland. Auf Veranstaltungen müssen sich Vertreter der Partei für das Sparpaket und die Rentenlüge rechtfertigen, wie dereinst Vertreter von CDU und FDP für allen Unmut verantwortlich gemacht worden sind.

Auch die Kampagne der SPD ist lustlos. Ihre Werbefachleute haben mal wieder eine Ost-/West-Kampagne ins Leben gerufen. Im Osten plakatiert man "Rotes Rathaus. Ab 10. Oktober" oder "Zeitgenössische Politik. Walter Momper" und appelliert damit an die Sympathie der alten Genossen. Ein Plakat zeigt einen Schüler vor einem Rechner und verlangt "Mehr Mäuse für die Schule". Als würde die SPD nicht seit 1996 den Schulsenator stellen. Ein anderes zeigt Walter Momper, der wie ein DDR-Kombinatsleiter mit ein paar Arbeitern im Blaumann spricht, Motto: "Um Arbeit muß sich der Chef kümmern!" Viele fragen sich, ob damit Arbeit für den Spitzenkandidaten für den Tag nach der Wahl gemeint ist.

Seine Firma soll Momper in den Ruin getrieben haben, berichten innerparteiliche Gegner. Der gegen Momper unterlegene Fraktionschef Klaus Böger macht es Momper auch nicht leichter. Er legte das Wahlziel der SPD mit schier unerreichbaren 30 Prozent fest, was Momper sehr empört haben soll.

"Ob wir gewonnen haben, sehen wir, wenn die Zahlen vorliegen", wird der Immobilienmakler zitiert. Der ehemalige Regierungssprecher Klaus Bölling wurde in seiner Kritik am Genossen Momper noch deutlicher. Er verlangte den sofortigen Rücktritt Mompers. Unterdessen schwelgt Eberhard Diepgen in seinem Erfolg. Die CDU wird mit 37 bis 40 Prozent gehandelt.

Die CDU macht professionellen Wahlkampf. Ein Wahlkampf-Team, bestehend aus mehreren jüngeren Parteimitgliedern, trifft sich täglich, um die Lage zu besprechen. Zur Guppe gehören Politologen, Werbefachleute und Parteifunktionäre. Der letzte US-Wahlkampf 1996 wurde vor Ort analysiert. Schon im Januar startete die Union ihre Kampagne mit der "Diepgen rennt"-Aktion, die von "Lola rennt" abgekupfert war. Dem 57jährigen wurde so nach 13 Jahren im Amt ein jugendliches Image verpaßt.

Das heißt nicht, daß Diepgen sich dadurch von der eigenen Basis entfernen würde. Erst in der vergangenen Woche glänzte er mit Angriffen auf die politische Linke beim "Tag der Heimat". Der alljährliche Auftritt bei den Vertriebenenverbänden ist ein Heimspiel für Diepgen. Und das Eintreten des Bürgermeisters gegen das Holocaust-Mahnmal hat ihm auch die Sympathien vieler Konservativer gesichert, auch wenn das Mahnmal jetzt gegen seinen Willen gebaut werden wird. Auch der Versuch Diepgens, die Stadt 1996 an Manfred Stolpe und die rote Mehrheit aus Brandenburg auszuliefern, scheint vergessen.

Der ganze Unmut über die Negativbilanz der Großen Senatskoalition, die schon seit neun Jahren die Stadt regiert, richtet sich gegen die Sozialdemokraten: der Skandal um den Großflughafen vor den Toren der Stadt, die Sparpolitik, das alltägliche Verkehrschaos oder der akute Lehrermangel an den Schulen.

Auf der Linken werden die Grünen mittlerweile zu sehr mit der SPD identifiziert, als daß sie davon profitieren könnten. Die als Fundamentalisten bekannten Berliner Grünen befinden sich in einem Abwärtstrend, der ihnen erstmals seit Jahren deutliche Verluste bringen könnte. Es kommt hinzu, daß sich Teile des extrem linken Flügels abgespalten haben, um mit Teilen frustrierter PDS-Mitglieder eine neue links-sozialistische Symbiose einzugehen: die Demokratische Linke. Diese Abspaltung ist durch Übertritte von Mandatsträgern in zwei Bezirksverordnetenversammlungen vertreten und wird Stimmen im linken Wählerlager paralysieren.

Der andere Wahlsieger – neben der CDU – dürfte die PDS werden. Die Partei hat so viel Geld, daß sie sogar in bürgerlichen Westbezirken Geschäftsstellen einrichtet. Trotzdem verkörpert sie die Spaltung der Stadt. Im Westen kommt die Union auf 50 Prozent, im Osten liegen die Postkommunisten bei über 30 Prozent. Damit wird auch eine CDU-Alleinregierung verhindert.

Die einzige kleine Chance, die große Koalition aufzubrechen, wäre ein Einzug der FDP ins Parlament, die sich allerdings bisher nicht zu einer Koalitionsaussage aufraffen konnte. Die Partei wird mit drei bis fünf Prozent gehandelt. Die Liberalen verweisen auf Köln, wo bei den Kommunalwahlen CDU und FDP in der traditionellen linken Hochburg erstmals mehrheitsfähig geworden sind. Der rechte Parteifügel hat für diese Woche eine Verschärfung des Wahlkampfes angekündigt, "weil die Bürger jetzt den Showdown zwischen rechts und links wollen". Der Stadt drohe die Unregierbarkeit, wenn sich die Sozialdemokraten nach einer weiteren Niederlage aus dem Senat zurückziehen sollten.

Eine unsichere Größe sind in Berlin die Rechten: Die Republikaner investieren in Berlin rund 600.000 Mark, präsentieren sich erstmals mit Großplakaten auf U-Bahnhöfen, wo zahlreiche ihrer Kandidaten abgebildet sind. Sie appellieren an die Protestwähler mit Parolen wie "Mal 'ne Harke zeigen" oder "Raus aus dem Schlamassel". Unter den "Sonstigen", die in Umfragen bei derzeit fünf Prozent angesiedelt werden, liegen sie vorn. Um die rechten Wählerstimmen werben weiterhin die NPD und der "Bürgerbund", eine Sammlung von Kleinstparteien, unter denen der Bund Freier Bürger (BFB) noch die bekannteste Gruppe sein dürfte.


 
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