© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/99 24. September 1999


FDP: Achim Rohde sieht FPÖ als mögliches Vorbild
Neue Programmatik
Karl-Peter Gerigk

Herr Rohde, die FDP ist bei den letzten Kommunal- und Landtagswahlen eingebrochen und blieb vielfach unter zwei Prozent. Brauchen die Liberalen eine neue politische Ausrichtung?

Rohde: Die FDP hat seit der Wiedervereinigung die Themen Wirtschaftspolitik und Ostpolitik, mit denen sie sich profilierte, verloren. Sie hätte sich seit 1990 um eine wirklich neue Programmatik bemühen müssen, was sie jedoch nicht getan hat. Es hat zwar viele Ansätze gegeben, jedoch wurden diese nicht in eine Programmatik umgesetzt. Ich erinnere mich noch genau an zwei Themenbereiche, die geeignet gewesen waren, sie programmatisch umzusetzten. Dies war einmal der Problembereich im Zusammenhang mit dem Lauschangriff. Die erste Frage war: Wie können wir die FDP im Bereich "Innere Sicherheit" positionieren? Die zweite Frage war die des Euro und der Globalisierung: Wie können wir die Kompetenz der FDP im Bereich "globale Wirtschaft" und "Nationalstaat" definieren? Dies sind jedoch nur zwei Beispiele für eine Vielzahl von Problemen. Die FDP hat sich nicht genug erneuert.

Was kritisieren Sie an der aktuellen Programmatik der FDP, zum Beispiel in den "Wiesbadener Grundsätzen"?

Rohde: Die hier artikulierten Grundsätze von "Bürgergesellschaft" und freier Wirtschaft hätten sich, wenn sie die Problemsicht der Bevölkerung getroffen hätten, sicherlich in den Wahlergebnissen niedergeschlagen. Statt dessen wird in der FDP beklagt, daß die anderen das liberale Gedankengut aufgenommen hätten. Wenn die anderen dies getan haben und wir mit unseren Beschlüssen nicht mehr gehört werden, müssen wir uns zu neuen Ufern aufmachen. Die FDP muß neue Themen formulieren. Wir haben unsere Avantgarde-Position der letzten Jahre verloren. Es hat keinen Sinn darauf hinzuweisen, daß die Politik der "Neuen Mitte" der SPD den liberalen Konzepten von vor 20 Jahren entspricht.

Was sind es denn für Probleme, die die Menschen nach Ihren Erfahrung bewegen?

Rohde: Wenn Sie mit den Leuten auf der Straße reden, werden ganz andere Dinge angesprochen, als sie vielleicht in den "Wiesbadener Grundsätzen" stehen. Hier wird das Sparpaket der Regierung kritisiert. Es geht auch um den Begriff der "Neuen Armut". Wir Liberale müssen uns Gedanken um die Armut machen und den Begriff der "Armut" neu definieren. Wenn ich mir die alten Menschen ansehe, die mit wenig Rente hohe Mieten und hohe Krankheitskosten zu zahlen haben, und man blickt auf der anderen Seite auf die hohe Zahl der Mitläufer und Sozialschmarotzer, dann kann man schon von sozialer Schieflage sprechen.

Wodurch ist diese Schieflage verursacht?

Rohde: Betrachten Sie sich nur das Kartell des "Bündnisses für Arbeit" aus Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Diese schließen oft Verträge zu Lasten Dritter und der Allgemeinheit. Betrachten Sie sich in diesem Zusammenhang aber die holländischen Liberalen oder die Freiheitlichen Österreichs — schon Margaret Thatcher hat dieses System aufgebrochen und damit "New Labour" den Weg gewiesen. Wir haben Beispiele, es besser zu machen. Aber wo sind unsere greifenden Konzepte, wo sind die deutschen Liberalen? Wenn schon Friedrich der Große den Einwanderern nach Brandenburg Steuerfreiheit gewährt hat, warum machen wir es dann nicht ähnlich? Wir benötigen neue programmatische Konzepte. Hierbei denke ich gerade an Existenzgründer und junge Leute, die sich selbständig machen wollen.

Glauben Sie, daß es im wesentlichen die Themen waren, welche der FDP die Verluste gebrachte haben, oder brauchen die Liberalen neue Köpfe an der Spitze?

Rohde: Ich glaube, daß dies unmittelbar zusammenhängt. Politik wird heute inszeniert.Wir müssen unsere Themen tranportieren – natürlich auch über gute Köpfe.

Brauchen die Liberalen ein neues Personalkonzept, oder sind der stellvertretende Parteichef Rainer Brüderle und Generalsekretär Guido Westerwelle gute Alternativen zu Wolfgang Gerhardt?

Rohde: Es genügt nicht, neue Herolde aufzustellen. Man wird gewählt, wenn die Leute einen für attraktiv halten. Und das wird entscheidend durch die Themen in der Programmatik mitbestimmt. Es ist eben nicht nur ein Personen-, sondern auch ein Sachprogramm.

Sind die Themen der Freiheitlichen in Österreich, die von Schicksalsgemeinschaft, Volk und Familie sprechen und hiermit Erfolg haben, eine Orientierung für die FDP?

Rohde: Die FPÖ ist für viele ein Schreckgespenst. Wir können von den holländischen oder auch den dänischen Liberalen lernen. Aber wir können auch von den Liberalen in Österreich lernen. Schicksalsgemeinschaft, Volk und Familie sind eine notwendige Ergänzung zum Verständnis einer Bürgergesellschaft. Den Bürger als isoliertes Einzelwesen gibt es nicht. Er ist Teil der Gemeinschaft.

 

Dr. Achim Rohde war bis 1995 Fraktionsvorsitzender der FDP im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Seit der Kommunalwahl vom 12. September ist er Mitglied im Rat der Stadt Neuss. Er gilt als ein Mann des nationalliberalen Flügels der FDP.


 
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