© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/99 24. September 1999


Parteien: In Deutschland steht die FDP vor dem Aus, in Österreich ist die FPÖ zweitstärkste Kraft
Haiders langer Marsch
Philip Plickert

Während die linksliberale FDP in Deutschland in den letzten Zügen liegt, bei den jüngsten Landtagswahlen in Sachsen mit 1,1 Prozent zur Splitterpartei degradiert wurde, steuert ihr österreichisches Pendant, die FPÖ, auf einen ihrer größten Siege zu. Zwar ist es ein beliebter Sport, Wetten auf das Ende der FDP abzuschließen, doch diesmal ist es kein Spaß: Hält der Abwärtstrend an, dann ist der Wiedereinzug in den Bundestag bei der nächsten Wahl nicht gesichert. Die Union käme langfristig in eine strategische Defensive gegenüber der Linken.

Wie also könnte die FDP den endgültigen Absturz in die Bedeutungslosigkeit vermeiden? Ist der von der österreichischen FPÖ beschrittene Weg für sie gangbar? Politikwissenschaftler sprechen auch in Deutschland von einem rechtsliberalen Wählerpotential von bis zu 15 Prozent. Dieses warte nur auf eine marktwirtschaftliche und zugleich rechte Partei. Doch beim Schielen nach Haiders Erfolg darf man die Besonderheiten der politischen Landschaft in Österreich nicht vergessen.

Groß und stark wurde Haider als Hecht im Karpfenteich, der den unerträglichen Filz von Parteien und Wirtschaft anprangerte. Das Land befand und befindet sich noch heute fest im Griff der beiden "Staats"-Parteien SPÖ und ÖVP. Von deren Einflußsphären sprach man als der roten und der schwarzen "Reichshälfte".

Der Kurswechsel in rechte Gewässer gelang Haider bei seiner Wahl zum Parteichef 1986 unter Berufung auf die nationale Tradition der FPÖ. Damals stand es um die FPÖ ähnlich schlecht wie um die FDP heute. Doch Haider führte die FPÖ in 13 Jahren aus der Bedeutungslosigkeit zur zweitstärksten Kraft in Österreich! Und eine Kanzlerschaft Haiders liegt immer noch im Bereich des Möglichen.

Die von Haider reaktivierte nationale Traditionslinie existiert bei den deutschen Liberalen überhaupt nicht mehr. In mehreren Schritten wurde der rechte Flügel der FDP gestutzt. Außer einigen wenigen nationalen Exponenten ist kaum noch etwas übriggeblieben.

Wie ist nun die Lage in Österreich? Im verflixten 13. Jahr der rot-schwarzen Regierung in Wien kracht es gewaltig im Koalitionsgebälk. Angesichts alarmierender Umfragen stricken die Strategen der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) fieberhaft an Notprogrammen zur Rettung der Macht, sollte die Partei bei den Nationalratswahlen am 3. Oktober nur noch drittstärkste Kraft werden. Und genau dies sagen Meinungsforscher der ÖVP und ihrem blassen Spitzenkandidaten, Vizekanzler Wolfgang Schüssel, übereinstimmend voraus. Zusammen hätten ÖVP und FPÖ allerdings eine komfortable Mehrheit.

Nach den enormen Gewinnen der FPÖ bei der jüngsten Landtagswahl im Bundesland Voralberg – die Freiheitlichen steigerten ihren Stimmenanteil von bislang 18 Prozent auf nun über 27 Prozent – wird es nun auch dort eine formelle Koalition mit der Volkspartei geben. Dies entspricht dem allgemeinen Trend der ÖVP hin zu einer schwarz-blauen Koalition. Schüssel kündigte zwar einen "Gang in die Opposition" an, sollten die ÖVP-Verluste bei der Wahl eine zu klare Sprache sprechen. Doch nichts deutet auf eine linke Parlamentsmehrheit nach dem 3. Oktober hin.

Folglich bleiben für Österreich nur zwei Alternativen. Entweder eine Fortsetzung der großen Koalition oder ein Wechsel hin zu Schwarz-Blau. Möglich wäre folgendes Szenario: Nach einem ÖVP-Absturz am 3. Oktober wären die Tage des glücklosen Parteichefs Schüssel gezählt, und der dem rechten Flügel der ÖVP zugerechnete Familienminister Martin Bartenstein könnte den Weg frei machen für eine Zusammenarbeit mit der FPÖ. Im Gegenzug läßt die FPÖ der Volkspartei gnädig den Vortritt bei der Nominierung des Kanzlers. Es ist ein offenes Geheimnis, daß Haider nicht den FPÖ-Spitzenkandidaten Thomas Prinzhorn als Kanzler sehen will. Dieser soll bürgerliche Wähler auf die Seite der FPÖ ziehen. Ansonsten spielt er lediglich die Rolle des Lockvogels für die Volkspartei.

Gewinnen Haider und die FPÖ am 3. Oktober die Nationalratswahlen und kommt es zu einer schwarz-blauen Koalition, so dürfte dies nicht ohne Auswirkungen auf Deutschland bleiben. Daß die FDP in letzter Minute die Kraft zu einer Kurskorrektur findet, käme einem Wunder gleich. Sie wird nicht ausHaiders Erfolg lernen, weil sie nicht lernen will.


 
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