© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/99 17. September 1999


Literatur in der DDR: Zwischen Anpassung und Widerstand
Ein literarischer Aufbruch von kurzer Dauer
Uwe Ullrich

Die ersten Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges waren vom Aufbauwillen vieler Menschen geprägt. Nun konnten auch Texte erscheinen und Kunstwerke der Öffentlichkeit vorgestellt werden, die während des zwölf Jahre dauernden Dritten Reiches nicht erscheinen durften, im Exil entstanden waren oder im Rückblick die vergangene Zeit künstlerisch oder literarisch aufarbeiteten. Schnell trennten sich die Inhalte künstlerischer Aussagen in den beiden Landesteilen Deutschlands.

Die Kunst und Literatur in der DDR unterlag von Beginn an ideologischen Kriterien stalinistischer Prägung. Plakativ hoben die vom Neubeginn gekennzeichneten Kunstrichtungen mit ihren jeweiligen spezifischen zeitgenössischen Mitteln und Methoden das Ziel des Arbeiter- und Bauernstaates, den Aufbau des Kommunismus und mit ihm eine frohe wie glückliche Zukunft, in den Vordergrund.

Nach einigen Lockerungen der Kulturpolitik in den fünfziger und zu Beginn der sechziger Jahre, verordnete das berühmt-berüchtigte 11. Plenum der SED im Dezember 1965 Schriftstellern und Künstlern strenge Maßstäbe für deren Arbeiten und Betätigungsfelder. Es folgte eine Zeit der intellektuellen Stagnation. Nach dem VIII. Parteitag der SED war eine neue Verhaltensweise an den Tag getreten, die man als einen Aufbruch bezeichnen kann. Erich Honecker referierte auf dem 4. Plenum der Staatspartei, dabei fielen die mehrdeutigen Worte: "Wenn man von der festen Position des Sozialismus ausgeht, kann es meines Erachtens auf dem Gebiet der Kunst und Literatur keine Tabus geben. Das betrifft sowohl die Fragen der inhaltlichen Gestaltung als auch des Stils."

Gleichsam als Bestätigung des neuen Kurses erschienen Romane von Stefan Heym ("Lassalle" und der von Anspielungen auf die parteihörige Geschichtsschreibung wimmelte "König David Bericht"), und selbst die lange verhinderte Veröffentlichung von Hermann Kants "Impressum" erfolgte. In der Zeitschrift Sinn und Form fanden wieder lebendige Debatten statt, wurden Erstveröffentlichungen – Ulrich Plenzdorf: "Die neuen Leiden des jungen W.", Volker Braun: "Eine unvollendete Geschichte" – publiziert. Doch der freie künstlerische Aufbruch dauerte nur kurze Zeit.

Am Nachmittag des 16. November 1976 verbreitete die amtliche Nachrichtenagentur ADN die Meldung, daß dem Sänger und Liedermacher Wolf Biermann die Staatsbürgerschaft der DDR entzogen worden sei. Auf die staatliche Anmaßung reagierten Künstler, Schriftsteller und andere Intellektuelle mit schriftlichem Protest und verließen nach dem erfolglosem Unterfangen die Republik. Einige blieben auf Antrag für immer im Westen, andere kaufte die Bundesrepublik aus dem Gefängnis frei. Wer im Land blieb, war für die hiergebliebenen Künstler und Schriftsteller der Zensor, der Begriff "Druckgenehmigungsverfahren" verhalf manchem Autor (selbst parteitreuen) zu Alpträumen, oder staatlich gelenkte Repressionen.

Ein Beispiel: Nach wochenlangen Vorbereitungen schlugen die Täter zu: Am Vormittag des 29. Oktober 1981 brachen Unbekannte das Schloß des Dresdner Künstleratelier von Helge Leiberg auf und verwüsteten die Räume. Die Eindringlinge drückten Farbtuben aus, beschmierten Teppiche und Möbel, begossen Wände und Betten mit Rotwein und zerschlugen mit einem Beil einiges Mobiliar. Der geschädigte Leiberg stellte Strafanzeige gegen Unbekannt. Doch bis zum Fall der Mauer konnten sich die Täter sicher fühlen. Jetzt sitzen die Stasi-Mitarbeiter vor Gericht und berufen sich schuldmildernd auf Befehle. Damals war der Eingriff in die Privatsphäre nur Teil eines groß angelegten Vorgangs gegen einige Künstler im Umfeld Leibergs. Unter anderem wurde das Gerücht in Umlauf gebracht, dieser oder jener arbeite mit der "Firma" zusammen. So sollte ein Keil zwischen die befreundeten und gemeinsam arbeitenden Künstler (Maler, Musiker und Autoren) getrieben werden.

Ein wesentlicher Teil schriftstellerischen oder künstlerischen Schaffens war die Auftragsarbeit. Diese Art des privaten und persönlichen Auftrages ist seit der römischen Antike bekannt und wurde zu allen späteren Zeiten – ohne Mäzene wären die meisten Museen der Gegenwart fast leer – gepflegt. Neu in der DDR war, daß der Staat in Form seiner gesellschaftlichen Bereiche als persönlicher Auftraggeber auftrat.

Gegenwärtig (bis Ende Oktober) bietet auf der Festung Königstein eine Ausstellung unter dem Titel "Enge und Vielfalt" im Auftrag entstandene Gemälde dar. Zusammenfassend kann man sich der Meinung des Kunsthistorikers Christoph Tannert anschließen, daß "die Geschichte der Kunst in der DDR eine Geschichte der ideologischen Keulen, der bewußt wirkenden Raffinements, der Anpassung, der Verzweiflungstaten und der unbändigen kommunistischen Träume ist". Uwe Ullrich

Literaturhinweis: Unter dem Titel "1989 – Chronologie der Wende" vertreibt die Sächsische Staatskanzlei (Tel.: 03 51/ 564 13 11) kostenlos Arbeitsmaterial über den gesellschaftlichen Umbruch in Sachsen. Der Hauptteil des Bandes ist eine chronologische Zusammenstellung von Ereignissen; Dokumente und Schilderungen vervollständigen das Bild des Wendeherbstes.


 
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