© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/99 17. September 1999


Widerstand: Leipzig ehrt den früheren Oberbürgermeister Carl-Friedrich Goerdeler
Randalierer stören Festakt
Alex Laubnitz / Frank Philip

Lautes Pfeifkonzert vor dem Neuen Rathaus in Leipzig, Schmährufe und ein Bettlaken mit der Aufschrift "Keine Ehrung für den Antisemiten und Nationalsozialisten Goerdeler". Fünfzig jugendliche "Antifaschisten" machten dem Ehrengast und Festredner Klaus von Dohnanyi und anderen Gästen das Leben zur Hölle. Schließlich platzte dem früheren Hamburger Bürgermeister, selbst Sohn eines im Dritten Reich hingerichteten Widerstandskämpfers, der Kragen: Er lief auf die Störer zu und entriß ihnen das Transparent. Die anschließenden Zusammenstöße der Polizei mit linksgerichteten Demonstranten und mehrere Festnahmen von Randalierern bedeuteten den absolutenTiefpunkt der Veranstaltung.

Der Leipziger Stadtrat hatte auf Veranlassung des damaligen Oberbürgermeisters Hinrich Lehmann-Grube vor drei Jahren beschlossen, Carl Friedrich Goerdeler ein Ehrendenkmal zu bauen. Goerdeler war ab 1930 bis zu seinem Rücktritt 1937 aus Protest gegen Willkürakte des Naziregimes Oberbürgermeister der Stadt Leipzig. Er sollte geehrt werden wegen seiner mutigen Beteiligung am Widerstand des 20. Juli. Dem New Yorker Künstlerpaar Jenny Holzer und Michael Glier war die Gestaltung des Denkmals übertragen worden.

Das Ehrenmal hat die Form eines mehrstufigen im Boden versenkten Trichters, in dessen Tiefe eine Glocke eingelassen ist. Diese soll viermal am Tage leuten. Der Glockenraum ist mit einem begehbaren Gitter abgedeckt. Sechs ebenfalls im Inneren des Ehrenmals eingelassene Scheinwerfer leuchten nachts aus dem geschwärzten Raum. Oberhalb des Trichters in kreisförmige Stufen sind Aphorismen und Zitate Goerdelers mit Bezug auf das NS-Regime und insbesondere die Judenverfolgung eingemeißelt. Im Innersten steht sein Satz aus dem Jahr 1945: "Ich liebe mein Vaterland mit Inbrunst, aber gerade deshalb empfinde ich die ganze Schmach seiner Entehrung, wie sie noch nie einem Volk durch eigene Bürger angetan worden ist."

Goerdeler, von seinem ganzen Wesen her dezidiert national, lehnte aus tiefer christlich-konservativer Überzeugung den rassistisch motivierten Pseudo-Nationalismus Hitlers ab. Auch in den Zeiten des politischen Terrors wandte er sich öffentlich gegen die Diskriminierung der Juden. Als er 1937 erfuhr, daß die örtliche NSDAP das Standbild des jüdischen Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy bei Nacht und Nebel entfernt hatte, legte er alle Ämter nieder. Er wollte nicht länger als Alibi-Konservativer zur Verfügung stehen.

Genau 55 Jahre nach der Verkündung des Todesurteils gegen Goerdeler am 8. September 1944 vor dem "Volksgerichtshof" wurde das Denkmal eingeweiht. Von Dohnanyi stellte in seiner Ansprache klar, daß Goerdeler trotz all seiner Zwiespältigkeit ein überzeugter Demokrat war, der sich in seinen konservativen und patriotischen Überzeugungen stets nach höchst moralisch-ethischen Ansprüchen richtete. Die Gratwanderung, in einem totalitären Staat wie dem Dritten Reich politisch tätig zu sein – um "Schlimmeres zu verhindern", wie seine Tochter in in ihren Erinnerungen darlegt – aber dennoch nicht mitschuldig am Unrecht zu werden, diese Gratwanderung war für Goerdeler Qual und Herausforderung zugleich.

Nach 1937 arbeitete er bei der Firma Bosch und reiste viel in ihrem Auftrag. Goerdeler sammelte führende Köpfe des zivilen und militärischen Widerstandes um sich und stand in Kontakt mit ausländischen Gruppen, um erträgliche Konditionen für einen Frieden nach einem gelungenen Putsch auszuhandeln. Das Attentat vom 20. Juli 1944 mißlang, und Goerdeler, auf den Hitler ein Kopfgeld von einer Million Mark ausgelobt hatte, wurde von einem Verwandten verraten, von der Gestapo verhaftet, von Freisler verurteilt und am 2. Februar 1945 hingerichtet.

Neben von Dohnanyi waren bei der Einweihung des Denkmals auch die engsten Angehörigen Goerdelers zugegen, sein ältester Sohn und seine Tochter. Dem heute 86jährigen Sohn, den die Nationalsozialisten in Sippenhaft nahmen und in mehreren Konzentrationslagern einsperrten, kreischte bei der Denkmalseinweihung ein kaum 16jähriger "Antifaschist" ins Ohr, er wolle ein neues Drittes Reich errichten und zähle zum "Rassistenpack".

Leipziger Bürger waren kaum anwesend, dafür neben Abgeordneten des Bundestages und des sächsischen Landtages eben jene Demonstranten. Diesen war es offenbar nicht möglich, trotz Meinungsverschiedenheiten respektvoll und mit Anstand der Würdigung Goerdelers beizuwohnen. Daß die Leipziger Polizei auf Anordnung der Stadtverwaltung den erwartungsgemäß rüpelhaften Demonstranten so viel Raum ließ – sie durften sich unmittelbar neben dem Denkmal und den Ehrengästen postieren – begünstigte den Eklat, nachdem Klaus von Dohnanyi ein Transparent entfernt hatte.

Ein von der PDS und anderen linken Gruppen getragenes "Bündnis gegen Rechts" stellte im nachhinein die Verhältnisse völlig auf den Kopf. In einer Presseerklärung heißt es: "Damit hat die Stadt Leipzig gezeigt, daß sie willens ist, ihren Geschichtsrevisionismus auch mit polizeilicher Gewalt gegen Kritik von Links durchzusetzen." Ausgerechnet gegen von Dohnanyi wurde eine Anzeige wegen Körperverletzung erhoben.

Symptomatisch für die Veranstaltung und das Gedenken an den konservativen Widerstand ist, daß sich auf den gravierten Platten ein Schreibfehler eingeschlichen hat. Dafür zwingt – wie ein Zeitungskommentator klug bemerkte – die trichterförmige Gestalt des Mahnmals den Besucher zu einer Geste der Hochachtung: Wer das Geheimnis des dunklen Schachtes ergründen und die Quelle der Glockenklänge ausfindig machen will, der muß sich ein wenig verneigen.

Auf der dem Mahnmal am nächsten liegenden Platte steht u.a.geschrieben: "Goerdelers Leben und politisches Verhalten (…) spiegeln auch, wie schwierig und komplex die deutsche Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war. Auch wenn ihn der Widerstand schwersten Gewissenskonflikten aussetzte, wurde Goerdeler für die Nationalsozialisten zu einem der gefährlichsten Oppostionellen. Seine eindrucksvollsten Äußerungen galten der Freiheit des Denkens und Handelns in Zeiten, als Widerspruch fast ganz verstummte."


 
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