© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/99 17. September 1999


Rechtsstaatlichkeit: Rainer Voss begründet die Notwendigkeit der Gewaltenteilung
"Rote Karte für Rechtsverletzung"
Karl-Peter Gerigk

Herr Voss, in Mecklenburg-Vorpommern verwaltet der Ministerpräsident zugleich auch das Justizministerium, im Saarland will sich der künftige Regierungschef Peter Müller ebenfalls den Justizbereich unterstellen, und in Nordrhein-Westfalen hat es den Versuch gegeben, das Innen- und das Justizministerium zu einem Ministerium zusammenzulegen. Wo sehen Sie hier Probleme?

Voss: Innen- und Justizministerium, um beim Beispiel Nordrhein-Westfalen zu bleiben, haben zum Teil sehr unterschiedliche Aufgabenbereiche. Im Innenministerium etwa wird die Polizei verwaltet, das Justizministerium ist unter anderem zuständig für die Staatsanwaltschaft. Es liegt auf der Hand, daß sich aus dieser Konstellation Interessenkonflikte ergeben können. Der Ministerpräsident wiederum bestimmt die Richtlinien der Politik, er ist die impulsgebende politische Kraft im Land. Wenn er das Justizministerium mitführt, ergeben sich ähnliche Konflikte. Er müßte sie dann quasi mit sich selbst austragen. Ich befürchte, daß dabei im Zweifelsfall politische Überzeugungen im Vordergrund stehen und die Interessen der Justiz hintangestellt würden.

Dürfen die Politiker die Judikative und Exekutive denn ohne weiteres zusammenfassen?

Voss: Ohne Zweifel nicht, unser Grundgesetz geht in Artikel 20, Absatz 3 explizit von einer Trennung der Gewalten aus. Dementsprechend ist auch jede Zusammenführung der politischen Verantwortung für das Handeln von Exekutive und Judikative sehr problematisch. Nicht von ungefähr gilt es als eine Errungenschaft der Stein-Hardenberg`schen Reformen von Anfang des 19. Jahrhunderts, daß die Verantwortung für Inneres und Justiz aus Gründen der Machtbeschränkung des Staates verschiedenen Ressorts zugeordnet wird.

Die Ministerpräsidenten denken hier wohl eher an die Effektivität des Apparates?

Voss: Das wird so begründet. "Effektivität" im Sinne eines reibungslosen Funktionierens darf jedoch hier nicht die vorrangige Rolle spielen. Die Rechtsprechung ist die dritte Gewalt im Staat. Sie hat unter anderem die anderen Staatsgewalten auf die Rechtmäßigkeit ihres Handelns zu kontrollieren. Die Justizminister sind in erster Linie Sachwalter der Justiz, das heißt sie sollten für die Unabhängigkeit der Gerichte eintreten und die Bindung der Staatsanwälte an den Legalitätsgrundsatz schützen.

Die Justizminister sind doch der Richtlinienkompetenz des Regierungschefs vpflichtet und in die Kabinettsdisziplin eingebunden.

Voss: Der Justizminister ist eher ein "unpolitischer" Minister, und zwar im folgenden Sinne: Er ist nicht in erster Linie dazu da, die Regierungspolitik umzusetzen, sondern hat zunächst die Aufgabe, die Verfassungs- und Rechtskontrolle innerhalb der Regierung auszuüben. Er muß also dort die "rote Karte" zeigen, wo Regierungshandeln geltendes Recht zu verletzen droht. Im übrigen hat er, wie gesagt, die Unabhängigkeit der Gerichte und das Legalitätsprinzip zu schützen.

Wäre es demnach für das Saarland nicht sinnvoll, wenn sich der Jurist Peter Müller das Justizministerium unterstellte?

Voss: Ich würde dies für in hohem Maße schädlich ansehen. Eben weil der Ministerpräsident die maßgebliche politische Kraft in der Regierung ist, würde der Eindruck entstehen, daß er vermehrt politischen Einfluß auf die rechtsprechende Gewalt ausüben wolle. In Mecklenburg-Vorpommern, wo diese Personalunion leider praktiziert wird, ist dies besonders fatal, da dort eine politisch bestimmte Justiz noch vor nicht allzu langer Zeit Normalität war.

Kann ein Justizminister überhaupt unpolitisch sein, wenn er in die Regierung eingebunden ist?

Voss: Natürlich ist jeder Justizminister Politiker, sonst würde er nicht in der Regierung sitzen. In dem von mir beschriebenen Sinne meine ich aber sehr wohl, daß ein Justizminister sich im Konfliktfall schützend vor die Justiz zu stellen hat. Im übrigen ist es auch deswegen erforderlich, daß es einen für die Belange der Judikative zuständigen Minister gibt, weil die Justiz – bedauerlicherweise – keine Selbstverwaltung kennt.

Ist es denn erforderlich, in allen Ministerien die juristische Kompetenz zu steigern – also mehr Juristen einzustellen?

Voss: Sicherlich nicht. Ich sehe eher ein Problem darin, daß die rechtsprechende Gewalt von der Exekutive mit Geringschätzung behandelt wird. Wir müssen sehr darauf achten, daß es bei einem Zustand ausgewogener Balance bleibt, und daß nicht eine der Staatsgewalten unter dem Einfluß einer anderen gehalten wird.

Wird heute auch die Ausbildung der Juristen in diesem eher politischen Sinne vorgenommen – ist sie zu politisch?

Voss: Das denke ich nicht. Das juristische Studium vermittelt zunächst das juristische Handwerk, sodann natürlich auch die tragenden Prinzipien unserer Rechtsordnung, vor allem des Grundgesetzes. Das Grundgesetz bekennt sich zu einer bestimmten Werteordnung. Wenn Sie darin eine "politische" Implikation sehen, dann will ich nicht darüber streiten. Ich – für meine Person –halte jedenfalls das Grundgesetz für die beste Verfassungsordnung, die wir je in Deutschland hatten. Ich halte es für unverzichtbar, daß junge Juristen in ihrer Ausbildung diese wertgebundene Verfassungsordnung kennen und durchdringen lernen.

Wie steht es um die politische Auslese von Richtern?

Voss: Die Frage stellt sich allenfalls bei der Übertragung höchster Richterämter. Der Deutsche Richterbund ist durchaus der Meinung, daß hier mehr Transparenz vorstellbar wäre. Andererseits ist es eine ständige positive Erfahrung, daß parteipolitische Gesichtspunkte bei der höchstrichterlichen Rechtsprechung keine entscheidende Rolle spielen. Daß Richterinnen und Richter gerade auch in diesen Ämtern von ihren persönlichen Grundüberzeugungen geprägt sind und daß diese auch in ihre Rechtsprechung einfließen, sehe ich nicht als Nachteil an

Können Sie sich eine bessere Absicherung der Unabhängigkeit der Justiz vorstellen?

Voss: Ich würde mir mehr Eigenständigkeit für die Judikative wünschen, und zwar dadurch, daß der dritten Staatsgewalt eine klare Selbstverwaltung zugebilligt wird. Vorbilder dafür gibt es in anderen europäischen Ländern, etwa in England, Frankreich oder auch in Spanien und Italien. Die Justiz würde dann dem Parlament gegenüber selbstverantwortlich für ihre Belange und Bedürfnisse eintreten müssen. Ein Justizminister, der, wie derzeit, diese Verantwortung für die Justiz wahrnimmt, wäre dann entbehrlich.

Gilt das auch für die europäische Ebene?

Voss: Im Augenblick ist es so, daß die nationalen Gerichte das europäische Recht anzuwenden haben. Bei Unklarheiten über die Auslegung können sie es dem Europäischen Gerichtshof vorlegen. Dieser entscheidet aber auch über die Auslegung des nationalen Rechtes und seiner Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht. Die Frage der politischen Verantwortung für die Belange des Europäischen Gerichtshofes durch einen europäischen Justizminister stellt sich derzeit nicht, da wir eine europäische Regierung nicht haben. Karl-Peter Gerigk

 

Rainer Voss wurde 1941 in Düsseldorf geboren. Er studierte Medizin und Jura in Heidelberg und Mainz. Seit 1972 ist er im richterlichen Dienst und seit 1973 in verschiedenen Positionen des Deutschen Richerbundes tätig. Von 1989 bis 1994 war er Vorsitzender der Europäischen Richtervereinigung und von1994 bis 1996 Präsident der internationalen Richtervereinigung. Seit 1992 ist er Vorsitzender des Deutschen Richterbundes (DRB) in Bonn.


 
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