© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/99 17. September 1999


Kolumne
Courage-Kultur
von Ulrich Schacht

Die Erfindung eines Kulturministers für die Bundes-Republik Deutschland durch die Regierung Schröder war in staatsgestalterischer Hinsicht zwar ein überfälliger Akt, hat aber Teile der politischen und medialen Funktionselite Bonner Zuschnitts in tiefe Panik versetzt und über einen gazettalen Polemik-Parcours getrieben, der manchmal daran zweifeln ließ, ob die Leute noch wußten, was sie sagten.

Inzwischen ist es stiller um den so sinnlos befehdeten Polit-Job geworden, der im übrigen Europa Verfassungsnorm ist. Das kommt vor allem den Äußerungen des Mannes zugute, für den er erst geschaffen wurde: den Ex-Journalisten und Ex-Verleger Michael Naumann. Das Genußreiche für den Beobachter in diesem Zusammenhang ist, daß Naumann sowohl der Ironie- wie auch der Ideologie-Journaille zu antworten versteht: intelligent, eloquent, aber zugleich eisenhart in der Sache, um die es geht.

Zuletzt konnte man das an zwei Interviews beobachten, die er gab: einer evangelischen Monatszeitschrift sowie Günter Gaus und dessen legendärer TV-Sendung Zur Person, in der die Gäste grundsätzlich wie zu einer Vernehmung aufgebaut werden und Gaus die Hannoveranische Version des Großinquisitors von Dostojewski zu geben versucht: schneidende Stimme aus dem Dunkel, Scheinwerferlicht auf das Gesicht des Delinquenten. Wer Gaus dabei zugesehen hat, Naumann genau so nicht nur zu befragen, sondern zu überführen, ist Zeuge dafür geworden, was geschieht, wenn sich im Medienzeitalter bei einem Politiker Wissen mit Courage paart: der komplette Einsturz medialer Machtkulissen. Was auch immer Gaus an Sozial- und Volksgemeinschafts-Pretiosen der SED-Diktatur in sein imaginäres Museum für die schönere deutsche Geschichte zu schmuggeln versuchte, der Kulturstaatsminister überführte die starken Stücke des Polit-Antiquitäten-Händlers, darunter den "Palast der Republik", als wertlose Hohlkörper aus Blech, Ideologie oder Beton.

Mit derselben Konsequenz, die öffentlich kaum ein Unionspolitiker mehr aufzubringen wagt, hat er der evangelischen Kirche geraten, sich wieder mehr dem Mysterium des Glaubens zu widmen und den Geist der Bibel nicht permanent als Anleitung zu kruder Sozialtherapie mißzuverstehen.

Michael Naumann stammt übrigends aus Köthen, Sachsen-Anhalt, floh mit seiner Familie in den Westen, weil das Ministerium für Staatssicherheit seine Mutter verhaften wollte, und liest jeden Morgen ein Gedicht. Ein Schröder-Mann.

 

Ulrich Schacht war Chefreporter Kultur der "Welt am Sonntag". Heute lebt er als Schriftsteller und politischer Essayist in Schweden.


 
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