© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/99 10. September 1999


Guido Westerwelle
Flexibler Frontsoldat
von Philip Plickert

Mit jedem neuerlichen Wahldebakel kann man das Totenglöckchen der FDP (und auch ihres Vorsitzenden Wolfgang Gerhardt) lauter bimmeln hören. Sie ist nur noch in vier Landtagen mit überwiegend schwachen Fraktionen vertreten, die Verankerung in den Kommunalparlamenten ganz schwach. Die Abwahl im Bund im Herbst letzten Jahres hat es für die FDP als immerwährende Funktionspartei auch nicht leichter gemacht, da unter dem Wechsel auf die Oppositionsbänke ihre Attraktivität gerade für Spender und Förderer aus der Industrie beträchtlich gelitten hat.

Seit 1994 steht Guido Westerwelle als Generalsekretär an vorderster Front der Liberalen. Unter seiner Leitung arbeitete eine Programmkommission die Wiesbadener Grundsätze aus, welche seit 1996 die Freiburger Thesen als Grundsatzprogramm der FDP ersetzt haben. Diese Leitsätze beschreiben den Umbau des Wohlfahrtsstaates zu einer liberalen Bürgergesellschaft. General Westerwelle versucht seit dieser Zeit zusammen mit Parteichef Gerhardt, die FDP als moderne Protestpartei gegen den Umverteilerstaat in Stellung zu bringen, eine Art low-tax-Partei nach amerikanischem Vorbild. "Die Bürger verlangen zuviel vom Staat, und deshalb verlangt der Staat zuviel von den Bürgern", ist einer seiner Lieblingsaussprüche. Ursprünglich klangen seine Worte noch härter, doch seine abfällige Klassifizierung unseres politischen Systems als "Gefälligkeitsdemokratie" trug im heftige Kritik der Parteilinken ein.

Westerwelle besetzt bevorzugt die Themen Globalisierung der Wirtschaft, Bildung und Rentenpolitik. Den gewerkschaftlichen Vorwurf der "neoliberalen Kälte" kontert er mit dem Hinweis, eine liberale Wirtschaftspolitik schaffe Arbeitsplätze und dies sei die "sozialste Politik in Deutschland überhaupt". Um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, müßten die Menschen mehr Eigenverantwortung übernehmen. Vor allem aber sollten sie flexibel und mobil seien – ein Ratschlag, der aus dem Munde Westerwelles leicht komisch wirkt: Der wurde 1961 bei Bonn geboren, ging in Bonn zur Schule, hat in Bonn studiert, dort seine Referendariatszeit abgeleistet, als Rechtsanwalt gearbeitet und sitzt seit 1996 für den Wahlkreis Bonn in Bonn im Bundestag. Der Umzug nach Berlin fällt ihm da schon schwer.

Mit jeder weiteren Niederlage bei den anstehenden Wahlen erhöht sich der Leidensdruck bei den Liberalen. Parteichef Gerhardt gilt in der Partei als Mann auf Abruf. Doch wer wird sein Nachfolger? Döring, Solms und Brüderle wirken allesamt zu bieder, um den Typus des jung-dynamischen Erfolgreichen zu verkörpern, den die FDP als Zielgruppe ansprechen möchte. Und Möllemann hat keine Mehrheit in der Partei. Sollte also in ein paar Monaten Gerhardt aufgeben, dann könnte die Stunde Guido Westerwelles schlagen.


 
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