© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/99 10. September 1999


Zwangsarbeiter: Sühne gegen Dollar
Zweifelhafte Motive
Heinrich Lummer

Nicht zehn Jahre danach, auch nicht nach zwanzig Jahren, nicht als die Wunden noch frisch waren, sondern so richtig begann es erst 50 Jahre danach. Da setzten diverse Kampagnen ein mit dem Ziel, "Schuld und Sühne" in Dollar auszudrücken. Vorher hatte Deutschland dem Staat Israel und und manchem osteuropäischen Land Wiedergutmachung geleistet. Diese Staaten sollten die pauschalen Leistungen individuell umsetzen. Es gab begründete Hoffnung, das Kapitel Wiedergutmachung, soweit es mit Dollar und D-Mark zu tun habe, könnte als abgeschlossen gelten.

Just als man in Deutschland das Gefühl bekam, nun könnte man ein normales Mitglied der Völkerfamilie werden, begannen die Aktionen zum Bau von Holocaust-Gedenkstätten. Und es begannen erneut Kampagnen, die Geld zum Ziel hatten.

Die erste Frage ist die nach dem Zeitpunkt. Warum kommt das so spät? Am fehlenden Gedächtnis kann es nicht gelegen haben. Es gibt nur zwei Erklärungen: Die Entwicklung im amerikanischen Judentum war von einem zunehmenden Verlust der Identität gekennzeichnet. Man brauchte und mobilisierte den Holocaust als identitätsstiftendes Ereignis. Die Opferrolle sollte entscheidender zum Prozeß der Selbsterkenntnis und Selbstfindung der amerikanischen Juden herangezogen werden. Diese Opferrolle kann man wirkungsvoller gestalten, wenn man die Täter erfolgreich identifiziert und für die Schuld einstehen läßt.

Die erste erfolgreiche Aktion dieser Art war die gegen Kurt Waldheim. Der Erfolg beflügelte. Ein Höhepunkt war die Auseinandersetzung mit den Schweizer Banken. Warum soll man ein erfolgversprechendes Spiel nicht fortsetzen? Amerika hat zudem genug Anwälte, die hier geneigt sind, ihr eigenes Süppchen zu kochen. Schließlich winken beachtliche Honorare.

Der andere Grund für den späten Zeitpunkt der Forderungen ist der Versuch, auf diese Weise eine Perpetuierung der Schulddiskussion zu bewirken, um daraus Kapital zu schlagen. Wie es scheint, wird dies auch fürderhin von Erfolg gekrönt sein. Ob dabei das Tetzelsche Motto: "Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Feuer springt", zur Geltung kommt, kann bezweifelt werden, denn offen ist die Frage, ob es sich um die letzte Aktion dieser Art handelt.

Die Bundesregierung tut jedenfalls gut daran, bei den Verhandlungen darauf zu bestehen, daß das Spiel ein Ende findet. Dies ist nicht die Forderung nach einem Schlußstrich in der Erinnerungsdebatte. Es ist die berechtigte Forderung, daß 54 Jahre nach Kriegsende Sühne nicht in Dollar geleistet werden sollte.

Ein besonderes Phänomen bei den Kampagnen ist die spezifische Beteiligung der amerikanischen Regierung und des Kongresses, die sich weitgehend mit diesen Aktionen identifizieren. Amerikanische Senatoren haben Briefe geschrieben und mit Boykottmaßnahmen gedroht. Diese Instrumentalisierung des amerikanischen Staatsapperates zugunsten jüdischer Organisationen ist ein Vorgang sui generis. Dies kam schon in der Bemerkung Helmut Kohls zum Ausdruck, die "amerikanische Ostküste" werde uns verfluchen, wenn wir das Holocaust-Denkmal nicht bauen. In jedem Falle stellt die Instrumentalisierung der amerikanischen Politik ein Problem dar, das weitreichende Folgen haben kann und keineswegs als vertrauensstiftende Maßnahme gesehen werden muß.

Eine beachtliche Nebenwirkung dieser Sühnedollar-Kampagnen besteht in der Beeinflussung der Stimmung in den betroffenen Ländern. Nach der Kampagne gegen die Schweizer Banken glaubte der israelische Botschafter, einen wachsenden Antisemitismus feststellen zu können. Das eben ist bei derartigen Aktionen mehr als 50 Jahre danach auch nicht anders zu erwarten. Doch die Menschen bezweifeln die ehrenwerten Motive bei einigen Beteiligten. Jedenfalls tragen die Tatsachen wie auch die Art und Weise der Geldbeitreibungen dazu bei, antisemitische Strömungen zu fördern oder zu begründen.

Nun muß man wegen solcher Begleiterscheinungen nicht auf berechtigte Forderungen verzichten. Aber nach mehr als 50 Jahren und im Hinblick auf die völkerrechtlichen Praktiken in einer langen und oft schlimmen Menschheitsgeschichte erscheinen diese Forderungen durchaus zweifelhaft. Ganz gleich, ob es sich dabei um Forderungen von "Sklavenarbeitern" oder Zwangsarbeitern handelt. Schließlich hat es auch viele Deutsche oder Deutschstämmige gegeben, die schuldlos als Zwangsarbeiter verschleppt wurden. Aber das waren nur Besiegte mit zweitklassigen oder gar keinen Rechten.

Noch sind wesentliche Fragen ungeklärt. Graf Lambsdorff hat keinen leichten Job. Offen ist die Höhe des Entschädigungsfonds, die Zahl der zu Entschädigenden, die Berechnung der entgangenen Entlohnung, wie auch die Frage nach einem Weg, der ein Ende der Zahlungen absichert.

Das beste wäre wohl gewesen, die Bundesregierung hätte den Rechtsweg beschritten. Dann hätte möglicherweise ein Gericht in Amerika seine Unzuständigkeit festgestellt oder gar die Unmöglichkeit, hier Recht zu sprechen.

 

Heinrich Lummer, ehemaliger Innensenator und Bürgermeister von Berlin, war bis 1998 CDU-Bundestagsabgeordneter.


 
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