© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/99 03. September 1999


Steptanz: Stiefelakrobaten ziehen Zuschauer in ihren Bann
Vom Donner mitgerissen
Erich Wächter

Lichteffekte versetzen das Publikum in besondere Stimmung, noch bevor die Tänzer auf der Bühne stehen. Die Bühne: Eine freie Fläche Holzboden, auf der sich gut tanzen läßt. Im Hohlraum unter der Bühne einige Mikrophone, die bedarfsweise die harten Schritte der Steptanzgruppe "Lord of the Dance" einfangen und zu den Verstärkeranlagen schicken. Auf Knopfdruck wird so die stumme Tanzfläche zur gewaltigen Trommel. Darauf: Eine virtuose Gruppe, die in verschiedenen Konstellationen und Intensitäten Steptanz zelebriert. Die Handlung tritt ganz in den Hintergrund und wird zum dünnen Rahmen für immer neue tänzerische Faszinationen. Und nicht nur bei "Lord of the Dance". Als Konkurrenten warten auf: "Stomp", "Riverdance", "The Tap Dogs" und – sozusagen in der dritten Liga – die Schuhplattlerformation vom Ausseer Land. Ihnen allen ist gemeinsam, Licht und synchrones Schrittwerk in einer Weise zu kombinieren, die den Zuschauer in ihren Bann zieht.

Eine Information zu den ebenfalls sehenswerten Tap Dogs beschreibt das so: Ein Trupp junger australischer TAP-Tänzer wirbelt kraftvoll und lautstark über ein Bühnenbild, das ohne weiteres als gelungenes Beispiel für Kunst am Bau durchgehen könnte. Rotierende Plattformen, stählerne Traversen und metallisch glänzende Seile bilden den Hintergrund für ein dynamisches Tanz-Event, das selbst hartgesottene Kenner der Szene in blankes Erstaunen versetzte. Das schwer-metallisch besohlte Stepgewitter aus der Schmiede von Dein Perry und Nigel Traffitt entwickelte sich zu einer echten Tanzsensation. In den Städten, in denen sie mit enormem akrobatischen Geschick und in Arbeitskluft über die Bühne donnerten, wurden die ansässigen Steptanzschulen von Jugendlichen geradezu überlaufen. Der Steptanz hat durch diese australische Formation zweifellos ein Revival und eine zeitgemäße Interpretation erfahren.

Vielleicht liegt die Zugkraft der Stiefelakrobaten aber auch in Eigenschaften des Gleichschritts, die wir uns nur ungern eingestehen. Kein Fuß im Publikum, der nicht rhythmisch mitwippt. Niemand, der nicht von den klaren Strukturen des Tanzdonners mitgerissen wird. Selbst Pazifisten und Antimilitaristen sind davor nicht gefeit. Jeder wird ergriffen von Elementen und Inszenierungen, die unter die Haut gehen und immer schon gingen.

Die Trommel ist das älteste und weitestverbreitete Instrument. Ihre integrative Kraft einte die Soldaten der Römer, die Landsknechte und alle anderen, die für den aktivistischen Gleichschritt gewonnen werden sollten. Auch bei den Friedensdemonstrationen, an der Startbahn West und bei den Protesten gegen Shell wurde getrommelt.

Erinnert sei an die innere Faszination jedwelcher Aufmärsche – nicht nur an die Veranstaltungen militärischer und paramilitärischer Verbände in Deutschland unter Hitler. Die Verwunderung fast einer ganzen Generation in der Nachkriegszeit darüber, unter Hitler mitgemacht zu haben, hätte leicht mit Blick auf die unzweifelhaft integrativ wirkenden Inszenierungen und Arrangemens aus Standarten, Lichtdomen und Massenchoreographien teilweise aufgelöst werden können. Die Mai-Veranstaltungen im gesamten Ostblock folgten ähnlichen Mustern. Und ihnen allen ist gemeinsam, daß sie nicht die Rationalität, sondern einen seltsamen Instinkt der Menschen ansprechen und von dieser Ansprache profitieren. Diesem Instinkt verdankt der Mensch sein Gefühl für Rhythmus und Musik, für Tanz und synchrones Auf-Treten.


 
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