© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/99 03. September 1999


Zivildienst: Hans Eichel sieht erhebliche Einsparungen in kommenden Jahren vor
Sparwut gegen soziales Engagement
Anja Reichelt

Das Sparpaket von Finanzminister Hans Eichel (SPD) ist auf scharfe Kritik bei Opposition, Sozial- und Umweltverbänden, Gewerkschaften und nicht zuletzt den betroffenen Personen gestoßen. Vor allem die geplanten Einsparungen in sozialen Leistungen sowie die Anhebung diverser Steuersätze sind heftig umstritten.

Für weniger Furore, aber mindestens ebensoviel Verwirrung, sorgen die bevorstehenden Kürzungen im Zivildienst. Die allgemeine Unwissenheit und eine negative Berichterstattung in den Medien sind dafür verantwortlich, daß sowohl Zivildienstleistende als auch ihre zuständigen Dienststellen und die zu betreuenden Personen einschneidende Einbußen befürchten.

Noch in ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 1998 versicherte die SPD: "Wir werden die Gleichbehandlung von Wehr- und Zivildienst durchsetzen." Nach erfolgreicher Wahl änderte sich nichts. Doch am 3. August 1999 kündigte die zuständige Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Christine Bergmann (SPD), gegenüber der Presse an, der Zivildienst werde ab dem 1. Juli 2000 auf elf Monate verkürzt. "Damit erfüllen wir die politische Forderung, den Zivildienst dem Wehrdienst weiter anzugleichen", erklärte Bergmann entschuldigend.

Das Sparpaket und seine Folgen für den Zivildienst

Des weiteren enthält das "Zukunftsprogramm 2000" Planungen, die Zahl der Zivildienstleistenden im kommenden Jahr von derzeit 140.000 auf 124.000 zu senken. Das Ziel dieser Reform ist jedoch eine weitere Reduzierung auf 110.000 "Zivis" im Jahre 2003. Frau Bergmann betonte, daß diese Reduzierungen ausschließlich die Grünpflege, das Handwerk und den Bürodienst betreffen werden, die sozialen Dienste seien davon hingegen ausgenommen. Auf diese Weise werden bereits im kommenden Jahr zirka 660 Millionen Mark eingespart. Um aber das gewünschte Sparvolumen in Höhe von etwa einer Milliarde Mark zu erreichen, sollen sich auch die Zivildiensteinrichtungen stärker an der Finanzierung des sozialen Dienstes beteiligen. Pro Jahr erhöht sich so zwar die Kostenbeteiligung für die Beschäftigung eines Zivildienstleistenden um 865 Mark, was dem Bund jedoch eine Einsparung von etwa 101,2 Millionen Mark bringen wird. Außerdem sollen sowohl im Grundwehrdienst als auch im Zivildienst die vom Bund finanzierten Beiträge zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung gekürzt werden. In Zusammenhang mit der Dienstzeitverkürzung sollen dadurch weitere 284 Millionen Mark jährlich eingespart werden. Für den Dienstleistenden bedeutet das eine monatliche Kürzung seiner Rente um etwa eine Mark.

Nach bisherigem Stand der Verhandlungen treten die finanziellen Änderungen ab 1. Januar 2000 und die Dienstzeitverkürzungen bis spätestens 1. Juli 2000 in Kraft.

Einsparungen, vor allem bei unsinnigen und steuerverschwendenden Tätigkeiten, müssen sein. Darüber sind sich alle einig. Doch keiner der betroffenen Zweige sieht einen Anlaß, eigene Zivildienstplätze zu reduzieren. Vor allem Umweltschutzverbände kritisieren den Stellenabbau der dringend erforderlichen Zivildienstleistenden. So bezeichnete der Bundesgeschäftsführer des Naturschutzbundes Deutschland (NABU), Gerd Billen, die Sparpläne im Zivildienstberiech als "Schnapsidee". Die Kürzungen zeugen von einer gravierenden Unkenntnis der Situation, schließlich sei praktische Naturschutzarbeit für viele im Umweltschutz engagierten Gruppen gar nicht oder nur mit großen Einschränkungen möglich.

Anstelle von unüberlegten und zum Teil schädigenden Einsparungen sollte dort gekürzt werden, wo es wirklich angebracht ist. So werden zum Beispiel in "Einführungslehrgängen" der Zivildienstschule Schleife nicht Erste-Hilfe-Kurse und zivildienstspezifisches Wissen vermittelt, sondern Braunkohlewerke besichtigt und medienbezogene Themen diskutiert – auf Kosten der Steuerzahler.

Eine andere unverständliche Ausgabe entsteht durch die erhöhte Lohnzahlung im Krankheitsfall eines Zivildienstleistenden: Bei zweiwöchiger Krankheit stehen ihm im Monat 150 Mark mehr zu, als bei täglicher Arbeit. Kontinuierlich abgegebene Krankschreibungen sind daher nicht selten.

Kritisiert wird von Zivildienstleistenden auch, daß zwar der Zivildienst dem Wehrdienst finanziell, nicht jedoch zeitlich angeglichen wird. Sie sehen darin eine Benachteiligung der Ersatzdienstleistenden gegenüber den Bundeswehrsoldaten.

Erst 1961 wurde ein
Ersatzdienst eingeführt

Nach der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht am 19. März 1956 gab es immer wieder ethisch und moralisch begründete Anfragen nach einem vergleichbaren Dienst. Am 10. April 1961 traten dann die ersten 340 anerkannten Kriegsdienstverweigerer ihren zwölfmonatigen Ersatzdienst an.Während in der alten Bundesrepublik nie eine zeitliche Gleichstellung beider Dienste ermöglicht wurde, war dies in der ehemaligen DDR von Anfang an der Fall. Nachdem am 24. Januar 1962 auch in der DDR die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wurde, gab es – vor allem von seiten der Kirchen – Proteste gegen dieses Gesetz. Daraufhin wurden im November 1964 erstmals 220 Wehrpflichtige zum Ersatzdienst als "Bausoldaten" einberufen. Der ebenfalls achtzehnmonatige Dienst hatte den Bau militärischer Einrichtungen, wie zum Beispiel Kasernen, zur Aufgabe. Obwohl sich bis zum 1. März 1990 nichts an dieser Bestimmung änderte, hatte die NVA nie ernstzunehmende Probleme durch eine steigende Zahl an Kriegsdienstverweigerern.

In der alten Bundesrepublik versuchte man hingegen, die stetige Zunahme an Kriegsdienstverweigerungen durch eine längere Zivildienstzeit unattraktiv zu machen, um so die Zahl der Verweigerer möglichst klein zu halten.

Eine grundlegende Änderung kündigte sich am 1. August 1977 an, als jegliches Prüfverfahren gesetzlich abgeschafft wurde und eine schriftliche Erklärung ausreichte, um den Zivildienst anzutreten. Gleichzeitig wurde die Dauer erneut erhöht, diesmal auf 18 Monate.

Kaum ein halbes Jahr später, am 13. April 1978, wurde das Gesetz von 1977 für verfassungswidrig erklärt und die Möglichkeit der freien Dienstwahl ausgeschlossen. Die Tatsache, daß der Zivildienst bereits um ein Drittel länger als der Grundwehrdienst war, sollte die Glaubwürdigkeit der Gewissensentscheidung sichern, dennoch erfolgte am 1. Januar 1984 eine weitere Erhöhung auf 20 Monate. Erst nach der Wende, am 13. Juli 1990 wurde die Zeit auf 15 Monate herabgesetzt. Schon damals legte der Bundesrat Einspruch ein: Er forderte die gleiche Dauer sowohl für den Zivildienst als auch für den Wehrdienst. Der Forderung wurde jedoch nicht entsprochen, und so kam es am 22. Dezember erneut zu einem unverständlichen Gesetzentwurf: Der Grundwehrdienst wurde auf zehn Monate verkürzt, während der Zivildienst dreizehn Monate umfaßt. Viel Hoffnung setzten die Verfechter des Zivildienstes deshalb auf die neue Regierung, doch auch diese sieht sich bisher nicht in der Lage, den Wehr- und Zivildienst zeitlich gleichzustellen, obwohl mit einer Verkürzung der Zivildienstzeit finanzielle Mittel in Millionenhöhe eingespart werden könnten.

Nach Artikel 12a Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes darf die Dauer des Ersatzdienstes die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen. Auf die diesbezügliche Verfassungsklage der SPD-Bundestagsfraktion und verschiedener Bundesländer im Jahre 1984 entschied das Bundesverfassungsgericht am 24. April 1985, daß bei der "Dauer" die besonderen Belastungen der Grundwehrdienstleistenden zu berücksichtigen seien. Diese "besonderen Belastungen" beinhalten vor allem die Zeit der anstehenden Wehrübungen, die Verfügungsbereitschaft, die unterschiedlich belastende Ausgestaltung des Dienstes und den Nachweis der Gewissensentscheidung. Doch die heutige Pflichtwehrübungsbelastung des mit dem Zivildienstleistenden vergleichbaren Grundwehrdienstleistenden "W10" beträgt im Durchschnitt drei Stunden.

Zum zweiten ist ein möglicher Dienst in Verfügungsbereitschaft im Zivildienst nur dann akzeptabel, wenn er gleichzeitig auch für Grundwehrdienstleistende angeordnet wird. Auch die jeweilige Ausgestaltung des Dienstes belastet nach § 4 Absatz 1 Ziffer 2 Zivildienstgesetz Grundwehrdienstleistende und Zivildienstleistende in gleichem Maße. In über 40 Prozent aller Kriegsdienstverweigerungsverfahren werden Unterlagen nachgefordert oder Rückfragen gestellt, weil die Anforderungen nach § 5 des Kriegsdiensverweigerungsgesetzes nicht für eine Anerkennung ausreichend sind. Dies entspricht der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes (2 BvF 2, 3, 4/83 und 2/84).

Deshalb fordert Ulrich Finckh, der Vorsitzende der Zentralstelle Kriegsdienstverweigerer, in dem "Gesetzgebungsvorschlag zur Angleichung der Zivildienstdauer an die tatsächliche Grundwehrdienstdauer" vom 25. Juni 1999: "Der Zivildienst dauert einen Tag länger als der Grundwehrdienst." (Ein Tag als maximaler Wehrübungsbelastungsausgleich.) So könnten seiner Ansicht nach die Einrichtungen von den aufgebürdeten Belastungen in Höhe von 101,2 Millionen Mark befreit und weitere 70 Millionen gespart werden.

Eine deutliche Mehrheit ist gegen eine Berufsarmee

Doch auch bei der Bundeswehr wird gespart. So hat Verteidigungsminister Rudolf Scharping am Donnerstag voriger Woche bekanntgegeben, daß die Anzahl der Soldaten von derzeit 329.000 auf 321.000 reduziert werden soll.

Insgesamt leisten also im nächsten Jahr rund 40.000 junge Männer weniger Wehr- und Zivildienst. Und jedes Jahr wächst die Zahl derer, die weder Wehr- noch Zivildienst leisten müssen. Berechtigt ist deshalb der Einwurf, daß unter diesen Umständen keine "Wehrgerechtigkeit" besteht, wenn 40.000 Wehrpflichtige nicht einmal mehr einberufen werden, während andere zu einem Dienst verpflichtet werden.

Bereits im vorigen Jahr forderten deshalb die Bündnisgrünen erstens eine Verringerung der Truppenstärke auf 200.000 und zweitens die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht und die Errichtung einer reinen Berufsarmee. Während sich gerade mal 51 Prozent der Wahlberechtigten gegen eine Reduzierung der Bundeswehrsoldaten aussprachen, waren immerhin 67 Prozent gegen eine Berufsarmee.

Das Dilemma, daß das soziales Engagement – die Arbeit mit älteren, behinderten oder kranken Menschen – aus der Sicht der Zivildienstleistenden gegenüber den Wehrdienstleistenden "bestraft" wird, wird also noch einige Zeit bestehenbleiben.


 
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