© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/99 27. August 1999


Oper: Zum 20. Mal fanden in Pesaro die Rossini-Festspiele statt
Heroisches und Komisches
Julia Poser

Schon zum 20. Mal gedenkt Pesaro, die hübsche kleine Stadt an der Adria, ihres größten Sohnes: Gioachino Rossini. Er wurde dort 1792 geboren und hat in seinem langen Leben – er starb 1868 in Paris – mit seinen 39 Opern eine ganze Epoche beherrscht.

Der erst 21jährige schrieb für das Teatro Fenice in Venedig nach Voltaires Roman die heroische Oper "Tancredi" und eroberte damit Europa im Sturm. Rossinis Biograph Stendhal hielt sie für sein größtes Werk, und selbst Richard Wagner bekannte, daß er die Melodie von Tancredis berühmter Kavatine "Di tanti palpiti" in den 3. Akt seiner "Meistersinger" übernommen hatte. "Tancredi" ist ein Werk von jugendfrischer Klarheit und geradezu kammermusikalischer Schönheit. Zarte Lyrik verbindet sich aufs Schönste mit hochdramatischen Szenen; reinen schlichten Melodien folgen Arien von großer Stimmvirtuosität.

Wie zu Rossinis Zeiten üblich, veränderte sein Librettist das tragische Ende der Voltaireschen Vorlage und machte ein glückliches daraus. Der hochgebildete Baron Luigi Lechi, ein Freund der Sängerin des ersten "Tancredi", bat Rossini einige Monate später, eine neue Schlußfassung für die Oper in Ferrara zu komponieren, mit dem von Voltaire vorgesehenen tragischen Tod Tancredis. Ein tief bewegender, leise verwehender Schluß, der aber den Italienern nicht gefiel und nie wieder aufgeführt wurde. Erst vor wenigen Jahren wurde die sogenannte Ferrara-Fassung wiederentdeckt, die nun vom Publikum begeistert angenommen wurde.

Altmeister Pier Luigi Pizzi gelang mit der tragischen Fassung eine unübertreffliche Inszenierung als Regisseur und Ausstatter. In sich schnell verwandelnden Bühnenbildern schuf Pizzi klassisch schöne Ansichten von Syrakus, die durch stimmungsvolle Beleuchtung noch verstärkt wurden. Soloszenen gestaltete er ebenso lebendig und kraftvoll wie bewegte Chorauftritte zwischen verfeindeten Kriegern im Syrakus des Jahres 1000.

Um endlich Frieden in der Stadt und Einigkeit angesichts der angreifenden Sarazenen zu erringen, soll Amenaide, die Tochter des Patriziers Argirio, mit dem früher feindlich gesinnten Orbazzano verheiratet werden. Amenaide liebt jedoch den verbannten Ritter Tancredi, der heimlich nach Syrakus zurückgekehrt ist. Mißverständnisse führen zu Gefangennahme Amenaides. Tancredi zweifelt an ihrer Liebe und stürzt sich in den Kampf mit den Sarazenen. Er siegt, stirbt aber schwer verwundet in Amenaides Armen.

Das junge Ensemble begeisterte das Publikum, das mit lang anhaltendem, stehendem Beifall die Sänger ehrte. Daniela Barcellona in der Titelrolle triumphierte mit warmtimbriertem, sicher geführtem Mezzo und bewältigte mühelos die anspruchsvolle Partie. Darina Takova als Amenaide bezauberte mit innigem strahlenden Sopran. Unvergleichlich schön die beiden großen Duette der Liebenden. Giuseppe Filianoti als Argirio überzeugte mit väterlicher Autorität und ausdrucksvollem Tenor in "Pensa, che sei mia figlia" (Denk dran, daß du meine Tochter bist), während der böse Orbazzano mit schwarzem Baß von Simone Alberghini gesungen wurde. Maestro Gianluigi Gelmetti, der – wie nur wenige Dirigenten – seinen Rossini kennt, feuerte das Orchesta della Toscana und den Prager Kammerchor zu einem Höchstmaß an Präzision, Transparenz und echter Italianità an. Ein unvergeßlicher Abend.

Rossinis Farsa "Adina" gehört trotz einiger schöner Melodien nicht zu seinen stärksten Werken. Kurioserweise hat er diese kleine Oper, eine Privatbestellung eines portugiesischen Freundes, nie gehört; sie wurde erst acht Jahre nach ihrer Fertigstellung in Lissabon aufgeführt. Eine Ouvertüre komponierte Rossini nicht, da "sie nicht extra im Vertrag vorgesehen" war. "Adin" ähnelt Glucks und Mozarts Serailopern – allerdings ohne die "Türkische Musik" mit viel Schellen- und Beckengeklingel.

Das Regiedebut des Bulgaren Moni Ovadio in Pesaro beschränkte sich auf Auftritte und Abgänge und peinlichen Ringelreihen des Eunuchenchors. Es imponierten jedoch drei Männerstimmen: Pietro Spagnoli als Kalif mit würdevollem Baß, Antonio Soragusa als Liebhaber Selim mit strahlend hellem Tenor sowie der Gärtner Mustafa des Roberto de Candia, der auch durch sein komisches Talent gefiel. Nur die Adina von Alexandrina Pendatschanska tat sich mit Rossinischer Leichtigkeit schwer. Ives Abel dirigierte eher korrekt als schwungvoll.

Eine Wiederholung von "Die Reise nach Reims" des Regisseurs Luca Ronoconi, eine Huldigungskantate zur Krönung Charles X. von Frankreich.

Eine jüngere Generation ausgezeichneter Rossini-Sänger stellt sich nun nach 15 Jahren in Pesaro vor. Elisabeth Norberg-Schulz als römische Dichterin Corinna und Eva Mei als Contessa de Folleville entzückten beide mit exquisiten Koloraturen. Enkeledja Shkosa in der Rolle der polnischen Marches Melibea zeigte einen reichen warmen Mezzo. Dem Versöhnungsduett zwischen ihr und dem russischen Conte di Libenskof, von Juan Diego Florez mit metallisch strahlendem Tenor gesungen, wurde begeistert applaudiert. Den größten Beifall erhielt jedoch Michele Pertusi für die schwierige Arie des unglücklich verliebten Lord Sidney "Ah, perché la conobbi?" (Warum nur bin ich ihr begegnet?). Der Erzkomödiant Bruno Pratico als deutscher Baron vom Trombonok war in glänzender Spiellaune, während Nicola Ulivieri als rotbestrumpfter Abbé Profondo die Marotten der Gäste geschwind persiflierte. Antonio Siragusa brillierte mit höhensicherem Tenor als unverbesserlicher Schürzenjäger Belfiro. Würdig vertrat Roberto Frontali als stolzer spanischer Grande sein Vaterland. Valeria Esposito gefiel als Wirtin zur "Goldenen Lilie" mit ihrem Tiroler Lied.

Meisterhaft dirigierte Daniela Gatti das Orchesta del Teatro Communale di Bologna mit viel Gespür für Rossinis brillante Musik. Auf Luca Ronconis modernistische Regiemätzchen hätte man allerdings gern verzichtet.


 
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