© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/99 27. August 1999


Mauergrundstücke: Zwangsenteignete wollen trotz des Karlsruher Richterspruchs weiterkämpfen
Enteignungsopfer fordern Gerechtigkeit
Jörg Fischer

Am 13. August 1999, zum 38. Jahrestag des Mauerbaus, errichteten Mitglieder der "Interessengemeinschaft ehemaliger Grundstücksbesitzer auf dem Mauerstreifen Berlin e.V." an der Swinemünder Straße 23 ein Plakat mit folgendem Text:

"An dieser Stelle stand einst ein vierstöckiges Wohnhaus. Zum Bau von Mauer und Todesstreifen raubte das SED-Regime das Grundstück und zerstörte das Haus bis auf die Grundmauern. Die damals 74jährige Eigentümerin und ihre Familie retteten sich in das Sprungtuch der Westberliner Feuerwehr, um der Verhaftung zu entgehen.

Nach der Wiedervereinigung wurde diese brutale Zwangsvertreibung für rechtens erklärt. Die rechtmäßigen Eigentümer sollen heute ihre von den Kommunisten geraubten Grundstücke zurückkaufen. Die Bundesregierung macht sich damit der Hehlerei schuldig. Wir, die von hier gegen Menschen- und Völkerrecht Zwangsvertriebenen, verurteilen diese Hehlerei mit geraubtem Eigentum als eine Schande für unser Land. Wir fordern: Bedingungslose Rückgabe der geraubten Mauergrundstücke."

Lange stand das Plakat nicht an seinem Platz. "Berliner Polizisten rückten mit Funkstreife und einem großen Lkw an und beschlagnahmten die 3 mal 1,20 Meter große Protesttafel", beschreibt der stellvertretetnde Vorsitzende der Interessengemeinschaft, Joachim Hildebrandt, den Vorgang in einem Gespräch mit dieser Zeitung. Er erstattete Anzeige wegen Diebstahl und bekam bei dieser Gelegenheit zu hören, daß der Text gegen Paragraph 90a des Strafgesetzbuches (Verunglimpfung) verstößt und deshalb polizeilich entfernt wurde. "Eine entsprechende Anklageschrift wurde mir allerdings noch nicht zugesandt", sagte Hildebrandt weiter. Er und sein Verein, der die Interessen von etwa 750 Betroffenen unterstützt, will trotz des Karlsruher Entscheides von vergangener Woche nicht aufgeben. "Wir gehen den dort aufgezeigten Instanzenweg. Da wir aber über keine großen finanziellen Mittel verfügen, sind wir auf Prozeßkostenbeihilfe angewiesen. "Er hoffe, dadurch "das ganze Verfahren sogar beschleunigen zu können". Auch zur Eröffnungssitzung des Bundestages am 6. September in Berlin will sein Verein wieder aktiv werden und vor dem Reichstag protestieren.

Das Grundstück Swinemünder Straße 23, Ecke Bernauer Straße in Berlin-Mitte ist heute Brachland. Das Haus von Ida Lungwitz, die mit 74 Jahren in die Freiheit sprang, wurde völlig abgerissen, um freies Schußfeld auf DDR-Flüchtlinge zu haben. 1977, inzwischen auf Soziallhilfe angewiesen, verstarb Frau Lungwitz im Alter von 90 Jahren. "Weder ihr noch sonst jemandem aus der Familie wurde bis heute auch nur ein Pfennig Entschädigung dafür angeboten, geschweige denn gezahlt", ergänzt Joachim Hildebrandt.

Käte Niemann war 54 Jahre alt, als sie vor nunmehr 38 Jahren ihr Grundstück auf dem Mauerstreifen zwischen Wilhelmsruh und Schönholz verlassen mußte. Das Haus mit Wirtschaftsgebäude, Bahnsteg 27, wurde dem Erdboden gleichgemacht. Sie hatte das Grundstück 1936 erworben, als sie mit ihrer Mutter und zwei Söhnen von Hamburg nach Berlin zog. Die heute 91jährige hofft noch immer, die Rückübertragung ihres Eigentums zu erleben. "In der heutigen Zeit steht ein neues Haus ja schon in einem halben Jahr schlüsselfertig", so ihr Kommentar.

Deshalb ist sie besonders darüber empört, daß ihr Land plötzlich kein Bauland sein soll. Das bescheinigt ihr das Bezirksamt Berlin-Pankow als Antwort auf einen Bauvorbescheids-Antrag. Die Behörde nimmt dabei Bezug auf die städtebauliche Planung in Berlin, wonach auf diesem Grenzabschitt ein Grünstreifen vorgesehen ist. Wenn der Stadtbezirk sein Vorhaben durchsetzt, käme es zu einer äußerst geringen Entschädigung, denn Bauland wäre ja ungleich teurer als Grünfläche. Frau Niemann hat daher den Verdacht, daß "dies der neueste Trick der Behörden sei, die Betroffenen zu betrügen".

Die Eheleute Saebsch, Bahnsteg 26, direkte Nachbarn von Käte Niemann oder die Familie von Joachim Ehlert am Bahnsteg 21, sie alle hat dort das gleiche Schicksal ereilt.

Der heute 55jährige Leiter einer Hausmeisterei kämpft seit 1990 ebenso engagiert wie verbissen um eine Rückübertragung. Seine Mutter, Elisabeth Ehlert, inzwischen auch schon 90 Jahre alt, lebt immer noch in der ihr damals zugewiesenen Wohnung und hofft, die Rückgabe ihres Grundstückes noch erleben zu können.


 
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