© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/99 27. August 1999


Spionage: Ein russischer General im deutschen Operationsgebiet
Die unsichtbare Front steht noch
Werner H. Krause

Auf einer Konferenz im Russischen Haus der Wissenschaften und Kultur in der Berliner Friedrichstraße, die sich mit Fragen der Beziehung zu Deutschland befaßte, stellte sich auch artig ein Mann unter seinem Namen Juri Kobaladze vor. Schlank, hochgewachsen, in seinem schmalen Gesicht ein Paar stets wachsame Augen, ahnte wohl kaum jemand der Anwesenden, mit wem er es da zu tun hatte.

Juri Kobaladze, General in der russischen Auslandsaufklärung SWR, die derzeit 15.000 Mitarbeiter umfaßt, die früher den Kern der ehemaligen 1. Hauptverwaltung des KGB in der Sowjetunion gebildet hatten, weilte im Operationsgebiet Nummer eins der russischen Spionage, in Deutschland. Als er schließlich von einem Journalisten auf seine Geheimdiensttätigkeit angesprochen wurde, bietet er von sich aus sofort ein Interview an, bei dem er sich als smarter Gesprächspartner erweist, der keinen Fragen ausweicht.

Der Journalist wollte ihn festnageln, der alte KGB-Kämpe, geschult in den Finessen marxistischer Dialektik, die Kunde rüberbringen, daß mit dem Ende des Kalten Krieges keineswegs die unsichtbare Front verschwunden sei. Im geradezu genüßlichen Ton meint Juri Kobaladze: "Ich bin ein Spion. Wir sammeln mit Hilfe unserer Kundschafter politische, militärische und wirtschaftliche Fakten, die für Rußland von Interesse sind." Einer Frage des Journalisten zuvorkommend, fügte er hinzu: "Bei unserer Aufklärung bedienen wir uns zum großen Teil unseres alten Agentennetzes." Es sei nach Beendigung des Kalten Krieges tatsächlich für kurze Zeit eingeschränkt gewesen, habe gewissermaßen in Habachtstellung verharrt, bis dann wieder eine Reaktivierung erfolgt sei.

Auf die Frage, ob man inzwischen schon wieder neue Agenten angeworben habe, gibt sich der General zunächst ein wenig zugeknöpft, um sich dann zu der sybillinischen Antwort zu bequemen: "Wenn ein Kundschafter Ihnen sagt, daß er niemanden anwirbt, dann lügt er." Auch dem Thema Staatssicherheit weicht Juri Kobaladze nicht aus, nachdem er zuvor jedoch unter Aufbietung all seines Charmes versichert: "Vor zehn Jahren wären Sie nicht an mich herangekommen, noch hätten Sie gewagt, solche Fragen an mich zu stellen, und auch ich hätte mich nicht auf ein Gespräch mit Ihnen eingelassen. Sie sehen also, das Ende des Kalten Krieges hat auch seine guten Seiten."

Dann betont er mit Nachdruck: "Vom MfS haben wir niemanden als besoldeten Mitarbeiter engagiert. Wer uns indessen aus freien Stücken unterstützt, den weisen wir nicht zurück." Schließlich setzt er noch hinzu, daß auch nach dem Untergang der Sowjetunion weiterhin gilt, daß wir Leute , die uns früher zu Diensten waren, nicht in Stich lassen. "Wenn beispielsweise jemand aus dem Apparat die Bitte an uns heranträgt, in Rußland leben zu wollen, steht dem nichts im Wege."

Immer mehr gelangt man im Bundesverteidigungsministerium zu der Erkenntnis, daß die russische Spionage in Deutschland bereits wieder so aktiv wie eh und je ist. Das Hauptbetätigungsfeld der russischen Spionage, die neben er SWR auch von dem Militärgeheimdienst GRU – der letztere hat nicht einmal seinen früheren Namen abgelegt – bestritten wird, liegt auf dem Gebiet der Industriespionage.

So ließ die kürzlich erfolgte Enttarnung des 52jährigen Ingenieurs Peter S., der bei dem DaimlerChrysler-Unternehmen Dasa beschäftigt war und dem russischen Geheimdienst über mehrere Jahre wichtige Angaben über deutsche militärische Technologien zugeleitet hat, beim Verfassungsschutz sowie der Staatsschutzabteilung des Bundeskriminalamtes die Alarmglocken schrillen.

Besonderes Interesse finden Bereiche wie Biotechnologien, Luft/Raumfahrt/Verkehrstechnik, Energie- und Umwelttechnik. Auszuspähen, was sich hier an neuen Entwicklungen abzeichnet und sich in Besitz der entsprechenden neuen Technologien zu bringen, dies ist das Operationsgebiet, auf dem sich weiterhin der Kalte Krieg unter veränderten Bedingungen abspielt.

Besonders ins Visier werden Technologiezentren, Unternehmensberatungen, Übersetzungsbüros, Datenbanken genommen. Führt man sich vor Augen, daß in Deutschland 2,1 Millionen Unternehmen existieren, von denen lediglich für 1.600 behördlicherseits ein Geheimschutz angeordnet wurde, so ist klar, daß es da Ansatzpunkte für Spionage in Hülle und Fülle gibt.

General Juri Kobaladze findet im übrigen nichts dabei, daß viele Angehörige des KGB, die einst unter Anwendung brutalster Mittel gegen Regimekritiker in der Sowjetunion vorgingen, mittlerweile ihre Tätigkeit in der postkommunistischen Ära fortsetzten. "Es gibt da für sie keinerlei Zwiespalt", sagt der General lakonisch.

Ihn selbst, der aus Tiblissi in Georgien stammt, erreichte die Anwerbungsofferte des KGB während seines Studiums an der Hochschule für Internationale Beziehungen in Moskau. Er willigte ohne längeres Überlegen ein, für die sowjetische Auslandsspionage tätig zu werden. 1977 entsandte ihn der Geheimdienst nach London, wo sein Wirken 1984 ein jähes Ende fand, als ein Überläufer aus dem Apparat sich den britischen Sicherheitsbehörden offenbarte und damit auch die Tarnung Kobaladzes aufflog.


 
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