© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/99 27. August 1999


Kursdebatte in der CDU: Soll die Union die SPD beerben oder vor sich hertreiben?
Bremse oder Gaspedal
Dieter Stein

Seit dieser Woche hat Gerhard Schröder offiziell die Amtsgeschäfte in Berlin aufgenommen. Während Kanzler und Minister von Positano in Italien bis Spiekeroog in Deutschland Entspannung gesucht haben, wurde der Umzug von Bonn nach Berlin für die meisten Büros bewältigt. Nun werden die Arbeitsplätze an der Spree bezogen. Eigentümlich wie eine Atempause oder ein Interregnum wirkt die Zeit seit dem Wahlsieg der SPD im letzten Herbst bis heute. Der Amtsantritt mit den ersten chaotischen Entscheidungen, der Lafontaine-Rücktritt und der alles überschattende Kosovo-Krieg ließen einen Wechsel schwer erkennen.

Es hat fast den Eindruck, als nähme die Regierung Schröder überhaupt erst jetzt ihre Amtsgeschäfte richtig auf. Die vergangenen Monate waren genutzt worden, die Reihen nach der langen Zeit der Opposition und dem nunmehrigen Wechsel auf die Regierungsbank zu sortieren, sich in der neuen Rolle zurechtzufinden. Dabei blieben nicht nur Personen, sondern auch Positionen auf der Strecke. Das gemeinsame Programm-Papier von Gerhard Schröder mit Tony Blair markiert den pragmatischen Wechsel der Sozialdemokraten zur Reformpartei im Zeichen von Globalisierung und bankrotten Haushalten.

Gerhard Schröder ist es dabei gelungen, mit Lafontaine den klassischen Gewerkschaftslobbyismus auszuschalten. Das – im Grunde bescheidene – Sparpaket, das den Spießrutenlauf durch eine Reihe der kampferprobten Interessengruppen innerhalb und außerhalb der Partei absolviert hat, soll der erste große Prüfstein für die Leidensfähigkeit der Partei und Durchsetzungsfähigkeit Schröders werden.

Macht es Schröder gut, so vollzieht er in Ansätzen den Bruch mit dem Parteienstaat und sorgt für eine stärkere Durchsetzung des Gemeinwohls – wenn sich dies auch erst auf den bescheidenen Rückbau der Steuerlast beschränkt. Schröder muß als Sozialdemokrat dabei Vergangenheitsbewältigung betreiben. Die Aufblähung staatlicher Aufgaben und die Ausweitung der Steuerlast ist eine Hypothek linker Politik, die dann ab 1982 bereitwillig und mit Wonne von der Union unter Helmut Kohl fortgesetzt wurde.

Nun sind die Kassen aber bis zur Neige ausgeplündert, der Staat bankrott, weshalb nur mehr eine fundamentale Wende aus dem Dilemma von Überschuldung und Versorgungsstaat herausführen kann.

Es kann dabei nur verwundern, daß die Union angesichts dessen nicht die Chance wittert, die SPD in dieser Frage vor sich herzutreiben und Vorreiterin in einer Politik des Staats-Rückbaus zu sein. Eine vom nordrhein-westfälischen CDU-Vorsitzenden und ehemaligen "Zukunftsminister" Jürgen Rüttgers angestoßene "Modernisierungsdebatte" verweist die CDU allerdings lediglich auf den Platz der Nachlaßverwalterin der SPD. Unter dem Motto "Ran an die Wirklichkeit und nah an den Menschen" katapultiert sich Rüttgers ins sozialdemokratische Nirwana der siebziger Jahre. Als sei die Zerrüttung der Grundlagen von Ehe und Familie unter Heiner Geißler und Rita Süssmuth nicht bereits auf die Spitze getrieben worden, empfiehlt Rüttgers ("Seit den siebziger Jahren hat die Union keine neuen Ideen in der Familienpolitik gehabt") das "Einlassen auf neue gesellschaftliche Wirklichkeiten". Er will sogar entdeckt haben, daß man "konservativ sein" und "trotzdem nichts dagegen haben" kann, wenn "junge Leute vor der Ehe zusammenziehen". Eine wahrhaft revolutionäre Erkenntnis.

Der Wirklichkeit ist die Union jedoch begegnet, als sie die Unterschriftenkampagne gegen den Doppelpaß inszenierte. Und sie ist damit seitdem durch ein anhaltendes Stimmungshoch in der Bevölkerung belohnt worden. Dieses plebiszitäre Element, das dafür sorgte, daß die Union "nah bei den Menschen" ist, erinnerte alle Politiktreibenden daran, daß sie nicht dazu gewählt werden, Geld für spleenige und versnobte Ideen zu verbraten, sondern die Interessen des Volkes zu vertreten, derer, die sie gewählt haben.

Und diese Wähler wollen ein Ende der staatlichen Wegelagerei, der immer neuen Ausbeutungssysteme und unter dem Deckmantel des Sozialstaats versteckten Bevormundungen und eine Stärkung der Eigenverantwortung des Einzelnen und vom Staat autonomer Strukturen und traditioneller Gemeinschaften – unter anderem der Familie. Hier hätte die Union tatsächlich ihre originäre Aufgabe, wenn sie sich denn als "konservative Partei" verstünde.


 
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