© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/99 20. August 1999


Stefan George – Friedrich Wolters: Briefwechsel 1904 bis 1930
Der Paulus des Meisters
Baal Müller

In seinem letzten Gedichtband "Das Neue Reich" (1928) widmete Stefan George den folgenden Vierzeiler seinem Freund Friedrich Wolters: "Lass völker brechen unterm schicksalsdrucke / Gefeite beben nicht beim jähsten rucke.. / Vorm Herrn gilt gleich der in- und aussen-krieg / Wo solche sind wie du – da ist der sieg."

In epigrammatischer Kürze bringen diese Worte vieles von dem zum Ausdruck, was das Verhältnis Georges zu einem seiner umstrittensten Jünger ein Vierteljahrhundert lang bestimmte: zum einen Wolters’ reges politisches Interesse und Georges Mißbilligung der Niederungen, in die sich sein treuer Apologet dabei oft begab, zum anderen aber auch Georges Hochschätzung der Persönlichkeit Friedrich Wolters’, deren Entwicklung über seine Abwege und Irrtümer schließlich triumphiert habe. In der Literatur- und Geistesgeschichte hingegen hat sich diese Bewertung sehr zum Negativen hin verschoben: Während man andere prominente Freunde und Bewunderer Georges wie zum Beispiel Karl Wolfskehl, Friedrich Gundolf, Ernst Bertram oder Max Kommerell mit Recht als eigenständige und bedeutende Dichter und Wissenschaftler wahrnimmt, gilt Wolters – sofern er überhaupt noch zur Kenntnis genommen wird – bestenfalls als eine Art Ordensstifter und eifernder Prediger, der George als ästhetischen Messias und seine Dichtung als Bibel einer neuen Kirche feierte, oder schlimmer noch, als Ideologe und Propagandist. Vor allem an seinem 1930 erschienenen Hauptwerk "Stefan George und die Blätter für die Kunst" mit dem reichlich großspurigen Untertitel "Deutsche Geistesgeschichte seit 1890" schieden sich schon damals die Geister. Zwar konnte Wolfskehl wenigstens für Anlage und Komposition des Buches lobende Worte finden, doch insgesamt überwiegt, selbst im Freundeskreis Georges, die ablehnende Haltung. Kommerell etwa kritisierte den kirchlichen Anstrich, den Wolters dem George-Kreis verliehen habe, und die Verzerrung der Verehrung bedeutender Persönlichkeiten zu Devotion und Byzantinismus, und Gundolf nannte das Buch schlicht "verlogen". Solch scharfe Kritik ist um so bemerkenswerter, als George selbst – nicht nur durch immer wiederkehrende Mahnungen an Wolters, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, sondern auch durch seine Mithilfe bei der Abfassung – einen erheblichen Anteil an der Entstehung dieses Buches hatte. Auch in dieser Hinsicht zeigt sich der George-Kreis weitaus heterogener, als es bei einer oberflächlichen Betrachtung den Anschein hat.

Es gehört seit fast 50 Jahren zu den Verdiensten des in Amsterdam ansässigen, aber auf deutsch publizierenden Verlags Castrum Peregrini, das Erbe des George-Kreises sowie das Andenken von dessen Mitgliedern zu pflegen. Durch zahlreiche Editionen von Werken aus dem Kreis und seinem weiteren Umfeld, von autobiographischen Schriften und Briefen sowie von Forschungsliteratur hat das Castrum die abendländische Verwurzelung und geistesgeschichtliche Bedeutung des Kreises aufgezeigt und an viele Persönlichkeiten erinnert, die ihm angehörten oder nahestanden. Obwohl einige Forscher Georges Jünger immer noch "im Dunkeln oder im Halbschatten" verorten und "kaum individuelle Züge" ausmachen können (so etwa Stefan Breuer in seinem ästhetischen Fundamentalismus noch 1995), wurde das persönliche Profil zahlreicher Freunde Georges durch diese Editionspraxis deutlich und tritt hinter der oft schematischen und allzu stilisierten Maske des Jüngers hervor.

Dies gilt auch für den sowohl als Castrum Peregrini-Heft als auch in gebundener Form vorgelegten "Briefwechsel 1904 bis1930" zwischen Stefan George und Friedrich Wolters. Seine Veröffentlichung setzt die 1997 mit der Publikation von Vorarbeiten Wolters’ zu seinem Hauptwerk begonnene Beschäftigung mit dem "Paulus" des George-Kreises fort: insgesamt 260 Briefe, zumeist von Wolters an George, wurden aus den größtenteils in der Stuttgarter Landesbibliothek verwahrten Nachlässen ediert. Sie belegen, daß Wolters’ Charakter weitaus sensibler, fragiler und in gewisser Weise anlehnungsbedürftiger war, als es dem äußerlichen Bild des unerschütterlich auf George eingeschworenen "Kirchenfürsten" und Patriarchen entsprach. Lange mußte der 1876 in Uerdingen geborene und 1930 in München verstorbene Historiker, der George erstmals 1904 begegnete, um die Gunst des Meisters werben, bis sein Ehrgeiz endlich belohnt wurde. Während seine Briefe oft weit ausschweifend und von peinlichster Hochachtung des verehrten Dichters geprägt sind, zeigen diejenigen Georges oft apodiktische Kürze und enthalten meist sachliche Mitteilungen oder pädagogische Mahnungen, sich nicht mit zweitrangigen Projekten zu verzetteln. An solche Fleißarbeiten hat Wolters seine Arbeitskraft jedoch nicht zuletzt deshalb oft verschwendet, weil er hoffte, gerade durch sie Georges Gunst zu erringen, die gewandteren und begabteren Naturen wie Hofmannsthal, Gundolf und Kommerell leichter zufiel. Aufgrund seiner, an ihnen gemessen, bescheideneren Fähigkeiten hat er sich niemals auf vergleichbare Weise von George vereinnahmt gefühlt; vielmehr zeigen seine Briefe, wie er gerade durch den Ansporn des Meisters seine Kräfte zu konzentrieren und auszuschöpfen lernte, wobei ihm durchaus beachtliche Leistungen gelangen. Neben der Blättergeschichte sind dies vor allem seine Übersetzungen mittelalterlicher Dichtung, die gemeinsam mit Gundolf erfolgte Herausgabe der "Jahrbücher für die geistige Bewegung" (1910-12) sowie seine "Vier Reden über das Vaterland" (1927). Verschiedene Beiträge in den Jahrbüchern charakterisieren ihn als scharfen Kritiker der historistischen und positivistischen Wissenschaftsauffassung seiner Zeit, deren in seinen Augen blutleeren und entseelten Schematismen er eine neue schöpferische Potenz von dichterischem Ursprung entgegenhält, ohne allerdings seine eigene Partizipation an den kritisierten Denkmustern zu reflektieren. Nachdem die Jahrbücher unter seiner Ägide zu einem wichtigen Organ der antiszientifischen und antirationalistischen Haltung nicht nur des Kreises, sondern einer ganzen Generation wurden, erfolgte in den nach dem Ersten Weltkrieg gehaltenen Reden eine Politisierung und Radikalisierung, die Wolters in das Umfeld der Konservativen Revolution führte. Seine Briefe aus dem Krieg, den er als Soldat auf dem Balkan erleben mußte, zeigen einerseits, wie manches zuvor nur abstrakt Gedachte konkrete Gestalt gewinnt, offenbaren andererseits aber die ideologische Deformation, die seine Einschätzung des Krieges einschließlich seiner angeblichen Wirkungen besaß und die von George selbst zu keiner Zeit geteilt wurde. Aus heutiger Perspektive ist nicht zuletzt seine Einschätzung der Balkanvölker interessant, deren Archaik und relative Exotik ihn faszinierten. Weitaus am günstigsten beschreibt er in seinen Briefen sowohl die Serben als auch die Albaner. Erstere sind sehr "zäh im widerstand" und "beweglichen geistes", aber "fanatisch bis zur unklugheit und unduldsam bis zum eignen schaden"; die Albaner lobt er vor allem ihres Aussehens wegen, das ihre hellenische Abkunft verrate: "Sie sind nicht so zierlich wie die türken, aber hochschenklig, schlank von hüften, um die sie einen roten gurt tragen, stark von brust und schultern, ohne breit wie die bulgaren zu sein und endlich so schön und edel von mienen (…)." Wenigstens in einer Hinsicht hat sich der Aufenthalt auf dem Balkan für Wolters gelohnt; er gelangte zu der Erkenntnis: "Hier leben jetzt noch genug menschen, die diesen göttlichen typus haben." Baal Müller

 

Stefan George – Friedrich Wolters: Briefwechsel 1904-1930. Mit einer Einleitung von Michael Philipp. Castrum Peregrini Presse, Amsterdam 1998, 332 Seiten, 68 Mark


 
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