© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/99 20. August 1999


Bayreuther Festspiele: Keith Warners "Lohengrin"-Inszenierung hinterläßt einen zwiespältigen Eindruck
Der Erlöser ist ein Mensch wie du und ich
Werner Dremel

Ob Mozart oder Wagner, ob "Fidelio" oder "Nabucco" – die Zerstörer sind am Werk! Vernichtung durch Inszenierung, durch Regie, Bühnenbild und Kostüm! Wie das geht? Nun: Soweit verfremden, daß man das Werk nicht mehr erkennt, bis man nicht mehr vom Autor oder Komponisten, sondern nur noch vom Regisseur spricht! In diesem Sinne herausragend: Münchens "Parsifal" und Salzburgs "Giovanni". Aber die Reihe kann beliebig fortgesetzt werden, ob Theater oder Oper, ob Berlin, Frankfurt, Hamburg, Bochum, ob Paris, London, Amsterdam, Wien …

Richard Wagner wird nun auf zwei Ebenen sturmreif geschossen – durch Werkzerstörung und durch Personendiffamierung. Wie gern würde man das auch bei Mozart, Beethoven oder Bruckner tun, aber, Gott sei Dank für sie, sie haben nicht – wie Wagner – über Kultur, Geschichte, Religion, Politik geschrieben; es fehlt also der Ansatz! In Zeiten, in denen es an eigener Kreativität mangelt, befaßt man sich um so mehr mit den Genies der Vergangenheit. Aber nicht nur durch Wiedergabe ihrer Werke – was höchst erfreulich ist –, sondern durch hirnlastige Interpretationen und intellektuelle Zerfaserung von deren Persönlichkeit.

Richard Wagners Werk ist wie kein zweites der Opernliteratur archetypisch angelegt. Erde, Feuer, Wasser, Licht, Dunkel, Liebe, Haß, Erlösung sind Urbilder der Menschheit, die er an einzelnen Personen und Handlungen verifiziert, gegenständlich macht. Bei "Lohengrin", "Parsifal" und dem "Ring" kommt der Mythos dazu, das Nicht-Faßbare, Transzendentale, Metaphysische. So kann man als wesentliches Qualitätsmerkmal einer Inszenierung ihre Nähe zum Archetypischen und zum Mythos nernehmen, wie sie beides sozusagen zum Betrachter "transportiert". Gedanklich überfrachtete, sophistisch ausgefeilte Realisationen machen per se Urbild und Mythos schlechter begreiflich als mehr bildhafte, intuitive.

Greift man einmal in zwanzig Jahre Bayreuther Inszenierungen hinein, so sind Produktionen der zweiten Art Ponelles "Tristan", Herzogs "Lohengrin" oder Kirchners "Ring". Der "Lohengrin" von Keith Warner (Regie) und Stefanos Lazaridis (Bühnenbild) gehört zweifellos zur ersten Art. Für den Regisseur ist Lohengrin kein Erlöser, der dementsprechend auch nicht aus lichten Fernen kommt (der "Mythos"), sondern ein Mensch wie du und ich. Wenigstens wird durch einen riesigen Würfel, der sich einen Spalt öffnet und hellsten Schein entläßt, das "mystische" Ereignis angedeutet. Aber Lohengrin entsteigt nicht dem Licht, sondern ist schon da, schält sich aus der Menschenmenge auf die Bühne, eben einer unter vielen, gleicher unter gleichen. Ratlos, gewissermaßen beiläufig, geht er dann im 3. Akt wieder ab – in den Gral, wie er zwar verkündet, was ihm aber niemand abnimmt. So wird auch das archetypische Gegensatzpaar Nacht und Tag, Dunkel und Licht mehr oder weniger gegenstandslos; es ist folgerichtig immer dunkel in Brabant, sprich auf der Bühne. "Lohengrin", ein Nachtstück!

Wie der Außerirdische, so ist auch der Irdische bei Warner der Macht und Größe beraubt. Heinrich der Vogler, der gewaltige Sachsen-Kaiser, ein "Mehrer des Reichs", ist ein gebrechlicher Greis, der sich mühsam durchs Geschehen schleppt, mit dem Schwert als Krücke. Was sollen da noch alle Lobgesänge seiner Mannen und Lohengrins auf seinen Ruhm und seine Stärke! Dagegen ist Ortrud eine zentrale Größe, eine Domina, der ihr Mann Telramund absolut hörig ist. Interessant ist auch die Sicht des Verhältnisses der eigentlichen Erzfeindinnen Ortrud und Elsa: Sehnsüchtig streckten sie sichaus der Ferne den Arm entgegen, und am Schluß ruht Elsa in Ortruds Armen! Gemeinsames Leid versöhnt – zumindest hier!

Die Bilderwelt von Lazaridis ist dunkel, wie gesagt, ein Nachtstück. Eine abgestorbene schwarze Landschaft, mit sich verdunkelndem Mond oder auch Sonne illustriert die Ausweglosigkeit des Geschehens. Soweit schlüssig, dem Gesamtkonzept durchaus kongenial. Zentrales Requisit ist eine riesige, mitten ins Bild gestellte Plattform, gewissermaßen eine Bühne auf der Bühne, die bestimmte wichtige Szenen vom Ganzen abheben soll – sehr artifizell übrigens. Auch König Heinrich und seine Sachsen, nicht die Brabanter, stehen in eherner, eindrucksvoller Phalanx auf einer Ebene über dem Geschehen, die einmal sogar vierfach übereinander erscheint. Warum eigentlich? Es muß viel ausgelegt werden in dieser Inszenierung Warners und Lazaridis’.

Es ist eine intellektuelle Produktion, die häufig unschlüssig ist. Dauernde Erklärungsbedürftigkeit ist nicht gerade ein Zeichen bedeutender Regie – Wagners Stoffe sind so gewaltig, daß sie aus sich heraus wirken, die Inszenatoren heben sein Anliegen durch Personenführung und Bühnenbild lediglich hervor. In diesem Sinne hinterläßt dieser "Lohengrin" einen höchst zwiespältigen Eindruck.

Antonio Pappano dirigierte konstrastreich und voller Spannung, präzise und dabei doch mystisch "knisternd" bei den Lohengrin-Motiven. Der gerade in dieser Oper gewaltige Choreinsatz kam mit der gewohnten Wucht und Schönheit. Das Spielensemble war durchwegs beeindruckend: Roland Wagenführer singt einen weit mehr – sehr klangvollen – lyrischen als heldenhaften Lohengrin (was natürlich zu dieser Regieauffassung sehr gut paßt), Melanie Diener als Elsa hat eine wundervoll klare, lyrische Sopranstimme – ein gelungenes Protagonistenpaar, die wirklich positive Überraschung dieser Neuinszenierung.

Auch die Antagonisten können sich hören und sehen lassen: Gabriele Schnaut ist eine stimmgewaltige Ortrud – sie wird im "Ring" von 2000 die Brünhilde singen –, die auch eine beachtliche, ausgefeilte, ambivalente Spezialleistung liefert. Im Spiel gleichwertig, im Gesang leider weniger, ist Jean-Philippe Lafont als Telram. John Tomlinson singt einen mächtigen König Heinrich, wobei die Stimme peinlich im Gegensatz zur Figur steht, wie sie Warner auffaßt, und Roman Trekel ist ein gut verständlicher, gewichtig-wichtiger Heerrufer, auf den es wirklich ankommt.


 
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